Leitsatz

Weder aus Art. 24 noch aus Art. 29 des Staatenlosenübereinkommens (StlÜbk) ergibt sich ein Anspruch auf Kindergeld (Fortführung der Rechtsprechung zu den gleichlautenden Bestimmungen der Genfer Konvention).

 

Normenkette

§ 62 Abs. 2 EStG

 

Sachverhalt

Der Kläger ist staatenlos und besitzt seit 1998 eine Aufenthaltsbefugnis, d.h. keine Aufenthaltserlaubnis oder -berechtigung nach dem AusländerG. Die Familienkasse lehnte daher den Kindergeldanspruch für die beiden Kinder des Klägers ab.

Das FG gab der Klage mit der Begründung statt, Staatenlose seien hinsichtlich der Besteuerung Deutschen gleichgestellt (Art. 29 StlÜbk). Das gelte auch für das Kindergeld, da dieses seit 1996 nach § 31 S. 3 EStG als Steuervergütung gezahlt werde (FG Köln, Urteil vom 10.06.1999, 2 K 93/99, Haufe-Index 781140, EFG 1999, 1139).

 

Entscheidung

Der BFH lehnt einen unmittelbar auf das StlÜbk gestützten Kindergeldanspruch ab. Die Sache wurde an das FG zurückverwiesen. Dieses muss prüfen, ob die dem Kläger vor 2005 nach dem damaligen AusländerG erteilte Aufenthaltsbefugnis als ausreichender Aufenthaltstitel nach dem ab 2005 geltenden AufenthaltsG anzuerkennen ist und ob der Kläger berechtigt erwerbstätig war bzw. entsprechende Leistungen bezog.

 

Hinweis

§ 62 Abs. 2 EStG stellt für nicht freizügigkeitsberechtigte Ausländer – das sind Ausländer, die nicht EU-Bürger oder Staatsangehörige eines anderen EWR-Staats oder der Schweiz sind – die zusätzliche Anspruchsvoraussetzung des Besitzes eines Aufenthaltstitels auf.

1. Der BFH hat bereits entschieden, dass dies auch für Ausländer mit der Rechtsstellung eines Flüchtlings gilt. Ein Flüchtling kann sich demgegenüber nicht unmittelbar auf die GenferFlüchtlingskonvention vom 01.09.1953 (BGBl II 1953, 559) berufen. Denn daraus lässt sich kein Kindergeldanspruch unter Befreiung von den besonderen Anspruchsvoraussetzungen des § 62 Abs. 2 EStG ableiten (BFH, Urteil vom 25.10.2007, III R 90/03, BFH/NV 2008, 286).

2. Nach dem nunmehr ergangenen Urteil gelten diese Grundsätze auch für Staatenlose. Die entsprechenden Artikel des Staatenlosenübereinkommens (StlÜbk) vom 28.09.1954, verkündet mit Gesetz vom 12.04.1976 (BGBl II 1976, 473), sind wortgleich mit der Genfer Konvention. Es gilt daher auch hier Folgendes:

Staatenlose sind zwar hinsichtlich der Bestimmungen zur sozialen Sicherheit (auch bezüglich des Familienunterhalts) Deutschen gleichzustellen. Das gilt jedoch nicht für Leistungen, die ausschließlich aus öffentlichen Mitteln bezahlt werden, wie dies beim Kindergeld der Fall ist. Ein Anspruch lässt sich daher nicht auf Art. 24 Abs. 1 Buchst. b (i) (ii) StlÜbk stützen.

Obwohl das Kindergeld seit 1996 nach den Grundsätzen des Familienleistungsausgleichs regelmäßig nach steuerlichen Vorschriften gewährt wird, ergibt sich ein Kindergeldanspruch auch nicht aus Art. 29 StlÜbk.

Nach Art. 29 StlÜbk dürfen Staatenlose nicht höher als Deutsche besteuert werden. Dies trifft jedoch bei der Nichtgewährung des Kindergelds nicht zu. Denn der Staatenlose wird nicht höher als ein Deutscher besteuert. Das Existenzminimum seiner Kinder sowie der Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf werden durch die Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG von der Steuer freigestellt – ebenso wie dies bei einem Deutschen ganz oder teilweise durch das Kindergeld bewirkt wird. Soweit das Kindergeld darüber hinaus der Förderung der Familie dient, besteht kein Anspruch aus Art. 29 StlÜbk, da es sich insoweit um eine von der Steuerbelastung abgekoppelte Sozialleistung handelt, die ausschließlich aus öffentlichen Mitteln bestritten wird (Art. 24 Abs. 1 Buchst. b [i] [ii] StlÜbk).

3. Der Kindergeldanspruch richtet sich somit auch für Staatenlose nach § 62 Abs. 2 EStG. Die ab 01.01.2006 rückwirkend für alle nicht bestandskräftigen Fälle geltende Neuregelung stellt in Härtefällen (Krieg im Heimatland usw.) entsprechend den verfassungsrechtlichen Vorgaben auf die Integration in den deutschen Arbeitsmarkt ab (§ 62 Abs. 2 Nr. 3 EStG).

Der BFH hält die Neuregelung – entgegen FG Köln, Vorlagebeschluss vom 09.05.2007, 10 K 1690/07 (Haufe-Index 1763580, EFG 2007, 1247) – für verfassungsgemäß. Es ist sachgerecht, einen Daueraufenthalt erst bei dreijährigem Aufenthalt und Erwerbstätigkeit anzunehmen.

Dabei ist das Kriterium der Erwerbstätigkeit nicht derart unbestimmt, dass es gegen das Rechtsstaatsprinzip verstößt. Auch die Rückwirkung ist verfassungsrechtlich unbedenklich. Denn die vom BVerfG (Beschluss vom 06.07.2004, 1 BvL 4/97, BFH/NV 2005, Beil. 2, 114) angeordnete "Weitergeltungssanktion" gilt nur für das BKKG, nicht für das steuerrechtliche Kindergeld.

Schließlich sieht der BFH auch keinen Widerspruch zur Rechtsprechung des EGMR und des EuGH.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 22.11.2007, III R 60/99

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