Entscheidungsstichwort (Thema)

Kindergeld bei Ausländern

 

Leitsatz (redaktionell)

Es ist fraglich, ob § 62 Abs. 2 EStG insoweit mit dem Grundgesetz vereinbar ist, als die Gewährung von Kindergeld im Falle eines gestatteten oder geduldeten Aufenthalts aus humanitären Gründen von über drei Jahren noch von zusätzlichen Voraussetzungen abhängig gemacht wird.

 

Normenkette

GG Art. 3, 20; EStG § 62 Abs. 2

 

Nachgehend

BVerfG (Beschluss vom 06.11.2009; Aktenzeichen 2 BvL 4/07)

 

Tatbestand

Das Verfahren betrifft die Nichtgewährung von Kindergeld für die Monate ab Januar 2005 an Ausländer, die sich tatsächlich bereits seit mehreren Jahren legal (gestattet oder geduldet) im Bundesgebiet aufhalten, weil sie die zusätzlichen Voraussetzungen für die Kindergeldgewährung gemäß § 62 Abs. 2 Nr. 3 EStG nicht erfüllen. Das vorlegende Gericht hält die der Versagung zugrunde liegende Regelung für verfassungswidrig.

I. Bis zum Ende des Jahres 1989 wurde Kindergeld gleichermaßen an deutsche und ausländische Familien gezahlt. Die Kindergeldgewährung war allein davon abhängig, dass die Familien ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hatten. Ab 1990 wurde der Kindergeldanspruch für Ausländer von einer einjährigen Wartefrist und einer günstigen Aufenthaltsprognose abhängig gemacht. § 1 Abs. 3 BKGG lautete in der ab 1991 gültigen Fassung: „Ausländer, die sich ohne Aufenthaltsgenehmigung im Geltungsbereich dieses Gesetzes aufhalten, haben einen Anspruch nach diesem Gesetz nur, wenn sie nach den §§ 51, 53 oder 54 AuslG auf unbestimmte Zeit nicht abgeschoben werden können, frühestens jedoch für die Zeit nach einem gestatteten oder geduldeten ununterbrochenen Aufenthalt von einem Jahr.”

In der vom BVerfG mit Beschluss vom 6. Juli 2004 1 BvL 4/97, 1 BvL 5/97, 1 BvL 6/97 (BVerfGE 111, 160, BFH/NV 2005, Beilage 2, 114) für verfassungswidrig erklärten Neuregelung des § 1 Abs. 3 BKGG durch das Erste Gesetz zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms (1. SKWPG) vom 21. Dezember 1993 (BGBl I S. 2353) für die Jahre 1994 und 1995 hieß es demgegenüber: „Ein Ausländer hat einen Anspruch nach diesem Gesetz nur, wenn er im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung oder Aufenthaltserlaubnis ist. …” Der Besitz einer Aufenthaltsbefugnis oder eine bloße Duldung berechtigten danach nicht zum Bezug von Kindergeld. Ziel der Neuregelung war es, den Kindergeldanspruch auf Ausländer zu begrenzen, von denen zu erwarten war, dass sie auf Dauer in Deutschland blieben (BTDrucks 12/5502).

Seit der Systemänderung des Kindergeldrechts durch das JahresStG 1996 vom 11. Oktober 1995 (BGBl I S. 1250) war der Anspruchsausschluss von Ausländern ohne Aufenthaltsberechtigung oder -erlaubnis in § 62 Abs. 2 Satz 1 EStG und in § 1 Abs. 3 Satz 1 BKGG geregelt. Danach hing der Anspruch eines Ausländers auf Kindergeld davon ab, dass er im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung (§ 27 AuslG 1990) oder Aufenthaltserlaubnis (§ 15 AuslG 1990) war. Eine Aufenthaltsbewilligung (§§ 28, 29 AuslG 1990), Aufenthaltsbefugnis (§ 30 AuslG 1990) oder eine Duldung (§§ 55, 56 AuslG 1990) berechtigten – ebenso wie bei der Vorgängerregelung – hingegen nicht zum Bezug von Kindergeld. Zudem hatte der Gesetzgeber Sonderregelungen zur steuerlichen Freistellung des Existenzminimums von Familien eingefügt. Zur historischen Entwicklung des Kindergeldrechts für Ausländer im Einzelnen verweist der vorlegende Senat auf die Darstellung im BVerfG-Beschluss vom 6. Juli 2004 1 BvL 4/97, 1 BvL 5/97, 1 BvL 6/97 (BVerfGE 111, 160, BFH/NV 2005, Beilage 2, 114).

Das BVerfG hat in dem o. a. Beschluss vom 6. Juli 2004 entschieden, dass § 1 Abs. 3 Satz 1 BKGG in der Fassung des Ersten Gesetzes zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms (1. SKWPG) vom 21. Dezember 1993 (BGBl. I 1993, 2353), durch den Ausländer von Kindergeld ausgeschlossen wurden, die lediglich im Besitz einer Aufenthaltsbefugnis waren, mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar ist. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass der betreffende Ausländer seinen ausländerrechtlichen Status nicht beeinflussen könne, befand das BVerfG, dass eine an der Art des Aufenthaltstitels ausgerichtete Differenzierung zwischen ausländischen Eltern nicht durch Gründe von hinreichendem Gewicht gerechtfertigt sei. Denn der Gesetzgeber dürfe bei der Bestimmung der Art und Weise des Familienleistungsausgleichs nicht allein aus fiskalischen Erwägungen eine Gruppe von Personen, gegenüber denen der Staat aus Art. 6 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 1 GG grundsätzlich zu einem Ausgleich verpflichtet sei, von einer bestimmten Leistung ausschließen, die anderen gewährt werde. Bei Ausländern, die legal in Deutschland lebten, sei unabhängig von der Art des Aufenthaltstitels zu berücksichtigen, dass sie – wie auch Deutsche – in gleicher Weise durch die persönlichen und finanziellen Aufwendungen bei der Kindererziehung belastet seien. Soweit es Ziel der gesetzlichen Neuregelung gewesen sei, Kindergeld nur solchen Ausländern zu gewähren, die sich auf Dauer in Deutschland aufhal...

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