Leitsatz

1. Eine französische Kapitalgesellschaft in der Rechtsform einer "société par actions simplifiée" (SAS) war bis zum 15.12.2004 nicht als "Gesellschaft eines Mitgliedstaats" i.S.v. Art. 2 Buchst. a i.V.m. Buchst. f des Anhangs der Richtlinie 90/435/EWG anzusehen. Dividendenzahlungen an eine solche Gesellschaft durch ihre deutsche Tochtergesellschaft erfüllten damit weder unmittelbar noch analog die Voraussetzungen des § 43b Abs. 2 Satz 1 EStG 2002 i.V.m. Anlage 2 Nr. 1 zu § 43b EStG 2002 (Anschluss an EuGH, Urteil vom 1.10.2009, C-247/08, Gaz de France, Slg. 2009, I‐9225, BFH/NV 2009, 1949).

2. Die KSt für Kapitalerträge i.S.v. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG 2002, die nach § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG 2002 i.V.m. § 31 Abs. 1 Satz 1 KStG 2002 dem Steuerabzug unterliegen, ist bei einer beschränkt steuerpflichtigen Kapitalgesellschaft als Bezieherin der Einkünfte nach § 32 Abs. 1 Nr. 2 KStG 2002 durch den Steuerabzug abgegolten. Dividenden, die an Gesellschaften mit Sitz in anderen Mitgliedstaaten ausgeschüttet werden, werden infolgedessen wirtschaftlich einer höheren Besteuerung unterworfen als Dividenden, die an Gesellschaften mit Sitz in Deutschland ausgeschüttet werden. Darin liegt ein Verstoß gegen die Kapitalverkehrsfreiheit des Art. 56 Abs. 1 EG (Anschluss an EuGH, Urteil vom 20.10.2011, C-284/09, Kommission ./. Deutschland, BFH/PR 2011, 454, BFH/NV 2011, 2219 sowie Senatsurteil vom 22.4.2009, I R 53/07, BFH/NV 2009, 1543, BFH/PR 2009, 333).

3. Die nachträgliche Erstattung einbehaltener und abgeführter KapESt kann, wenn die Voraussetzungen des § 50d Abs. 1 EStG nicht erfüllt sind, die Einbehaltung und Abführung aber gegen unionsrechtliche Grundfreiheiten verstößt, auf eine analoge Anwendung von § 50d Abs. 1 EStG gestützt werden. Zuständig für die Entscheidung über ein solches Erstattungsbegehren ist das FA, nicht das BZSt (Bestätigung und Fortführung der ständigen Senatsrechtsprechung). Eine vorherige Freistellung von der Pflicht zur Einbehaltung und Abführung von KapESt nach § 50d Abs. 2 EStG ist unter diesen Umständen hingegen ausgeschlossen.

 

Normenkette

§ 20 Abs. 1 Nr. 1, § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 3, § 43b Abs. 1, Abs. 2 Satz 3, § 49 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. a, § 50d Abs. 1 und Abs. 2 EStG 2002; § 2 Nr. 1, § 8b, § 31 Abs. 1, § 32 Abs. 1 Nr. 2 KStG 2002; § 5 Abs. 1 Nr. 2 FVG; § 20 Abs. 3 und 4 AO

 

Sachverhalt

Die Klägerin ist eine in Frankreich ansässige Kapitalgesellschaft in der Rechtsform einer "société par actions simplifiée" (SAS). Sie ist alleinige Anteilseignerin einer inländischen GmbH, der F‐GmbH.

Am 13.6.2002 stellte die Klägerin beim BfF (seit dem 1.1.2006: BZSt) einen Antrag auf Erteilung einer Freistellungsbescheinigung von der deutschen Abzug­steuer auf Kapitalerträge nach § 43b Abs. 1 i.V.m. § 50d Abs. 2 EStG 2002. Am 27.6.2002 erteilte das BfF daraufhin eine Freistellungsbescheinigung für den Zeitraum vom 13.7.2002 bis zum 31.5.2005. Darin bescheinigte das BfF, dass die F‐GmbH als Schuldnerin der Kapitalerträge berechtigt sei, den Steuerabzug für die Kapitalerträge der Klägerin i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG nach dem DBA-Frankreich in ermäßigter Höhe von 5 % des Bruttoertrags vorzunehmen. Die F‐GmbH hatte daraufhin – am 12.8.2002 – KapESt i.H.v. 5 % der an die Klägerin geleisteten Dividendenzahlungen angemeldet.

Mit ihrem Einspruch gegen die erteilte Freistellungsbescheinigung beanspruchte die Klägerin die volle Freistellung von der Abzugsteuer. Das BfF lehnte das ab, weil die SAS als Rechtsform weder in der Mutter/Tochter-Richtlinie noch in der daraufhin umgesetzten Anlage 2 zu § 43b EStG 2002 aufgeführt sei.

Während des anschließenden Klageverfahrens bescheinigte das BZSt der Klägerin, dass die F‐GmbH als Schuldnerin für Kapitalerträge, die in der Zeit vom 16.12.2004 bis 23.5.2005 zugeflossen seien, berechtigt sei, den Steuerabzug für die Kapitalerträge i.H.v. 0 % der Bruttoerträge vorzunehmen. Grund für diese Änderung war die Einbeziehung auch der SAS in den Katalog der Gesellschaften i.S.d. Richtlinie 90/435/EWG in Anlage 2 zu § 43b EStG 2002 durch das Richtlinien-Umsetzungsgesetz vom 9.12.2004 (BGBl I 2004, 3310) mit Wirkung vom 16.12.2004 an. Im Übrigen verblieb es bei der Ablehnung, die beantragte Bescheinigung zu erteilen.

Die fortgeführte Klage blieb erfolglos (FG Köln, ­Urteil vom 28.1.2010, 2 K 4220/03, Haufe-Index 2323107).

 

Entscheidung

Das blieb sie auch vor dem BFH. Letztlich scheiterte die Klage allerdings nicht in der Sache, sondern aufgrund des eingeschlagenen Verfahrensweges: Zuständig sei nicht das BZSt, sondern allein das FA. Dieses müsse über einen entsprechenden und ­unionsrechtlich auch gebotenen Erstattungsantrag entscheiden. Eine vorherige KapESt-Freistellung komme unter den Gegebenheiten der Regelungslage indes so oder so nicht – weder beim BZSt noch beim FA – in Betracht.

 

Hinweis

Das Urteil enthält drei Kernaussagen: Die ersten beiden betreffen in erster Linie das Unionsrecht und durch sie werden lediglich Entscheidungsvorgaben des EuGH umgesetzt. Die dritte Aussage bet...

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