2.1 Normzweck

 

Rz. 3

Schutzgut der Vorschrift ist die Leibesfrucht. Sie wird in den Schutzbereich der Unfallversicherung einbezogen. Die Vorschrift geht auf einen Beschluss des BVerfG zurück (Beschluss v. 22.6.1977, 1 BvL 2/74, BGBl. I S. 2065 = BVerfGE 45 S. 376; entgegen BSG, Urteil v. 23.6.1959, 2 RU 257/57, BSGE 10 S. 97; zugleich zur Abgrenzung vom Zivilrecht: BGH, Urteil v. 20.12.1952, II ZR 141/51, BGHZ 8 S. 243). Mutter und Kind bilden während der Schwangerschaft eine Einheit, so dass die Gefahrenlage für beide dieselbe ist. Der Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip fordert den Versicherungsschutz der Unfallversicherung für beide, die Mutter und die Leibesfrucht (Schönberger/Friedl, BG 1984 S. 708).

2.2 Schädigung der Leibesfrucht

 

Rz. 4

Der Wortlaut der Vorschrift beschreibt die Schädigung der Leibesfrucht als Versicherungsfall und stellt das Kind einem Versicherten gleich, d. h. als hätte es selbst einen Versicherungsfall erlitten. Die Leibesfrucht erhält einen eigenen Entschädigungsanspruch (vgl. Ricke, in: KassKomm, SGB VII, § 12 Rz. 3; Rapp, in: LPK-SGB VII, § 12 Rz. 3; Schmitt, SGB VII, § 12 Rz. 8). Die Ansprüche der Leibesfrucht sind unabhängig von ggf. bestehenden Ansprüchen der Mutter.

2.3 Versicherungsfall der Mutter

 

Rz. 5

Voraussetzung des Versicherungsfalles der Leibesfrucht ist, dass er die ursächliche Folge eines Versicherungsfalles der Mutter ist. Rechtssystematisch handelt es sich um einen gesetzlich geregelten Fall eines Folge-/Zweitschadens nach einem Unfall der Mutter (vgl. LSG Saarland, Urteil v. 5.5.1992, L 2 U 3/91, HVBG-Info 1993 S. 652), wie sich aus der Stellung im ersten Kapitel des 3. Abschnitts nach den mittelbaren Folgen des Versicherungsfalls und der Auslegung des bis zum 31.12.1996 geltenden Rechts (§ 555a RVO), dem auch § 12 entsprechen soll, ergibt (BT-Drs. 13/2204 S. 79). Die Mutter muss mithin einen Arbeitsunfall nach § 8 oder eine Berufskrankheit nach § 9 einschließlich der Erweiterungen in § 10 und § 11 erlitten haben. Der Versicherungsfall der Berufskrankheit in § 12 ist nach der weitaus überwiegenden Meinung (vgl. Keller, in: Hauck/Noftz, SGB VII, K § 12 Rz. 3; Ricke, in: KassKomm, SGB VII, § 12 Rz. 4; Schwerdtfeger, in: Lauterbach, UV, § 12 Rz. 10) umfassend zu verstehen. Er umfasst auch die sog. "Wie-Berufskrankheiten" nach § 9 Abs. 2. Dies ergibt sich insbesondere aus dem Sinn und Zweck des § 12. Die gegenteilige Ansicht von Kater (Kater/Leube, Gesetzliche Unfallversicherung, § 12 Rz. 11), dass § 12 Satz 2 die Eignung für den Eintritt einer Listenkrankheit, nicht einer "Quasi-Berufskrankheit" nach § 9 Abs. 2 betrifft, ist abzulehnen. § 12 Satz 2 betrifft nicht die sog. "Wie-Berufskrankheiten", sondern die Berufskrankheiten, die weitere Voraussetzungen wie beispielsweise die Aufgabe aller Tätigkeiten erfordern (vgl. BK Nrn. 1315, 2101, 2104, 2108, 2109, 2110, 4301, 4302 oder 5101 der Anl. 1 zur BKV). Sie muss den Nachweis erbringen, dass ein Arbeitsunfall vorlag. Dies gelang der Mutter des Verletzten nicht. Die unstreitig eingetretene Rötelninfektion war keine Berufskrankheit, weil der Beschäftigungsbetrieb ein Internat eines Staatlichen Aufbaugymnasiums für Mädchen nicht zu den in Spalte III zu Nr. 37 der Anlage i.d.F. der 6. BKVO enumerativ aufgeführten Unternehmen zählte. Sie vermochte auch nicht nachzuweisen, dass die Rötelninfektion während einer Arbeitsschicht, unfallartig bei ihrer Arbeit als Küchenhilfe im Gymnasium eingetreten war (vgl. BSG, Urteil v. 30.4.1985, 2 RU 7/84, HVBG-Info 1985 S. 81; LSG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 9.4.1986, L 3 U 122/85, HVBG-Info 1986 S. 1037).

 

Rz. 6

Stellt ein Unfallversicherungsträger gegenüber der Mutter den Zeitpunkt des Eintritts einer Berufskrankheit (hier: HIV-Infektion einer Krankenschwester) fest, gilt diese Feststellung auch zugunsten des Kindes, das während der Schwangerschaft infiziert wurde (Bayerisches LSG, Urteil v. 11.10.2004, L 2 U 152/03, ASR 2005 S. 35). Dies folgt aus der Feststellungswirkung, welche Gerichte und Verwaltungsbehörden gegenseitig und untereinander an Entscheidungselemente, an tatsächliche Feststellungen und rechtliche Wertungen in Urteilen und Verwaltungsakten bindet (vgl. dazu auch: Sehnert, NZS 2000 S. 437). Eine solche Drittbindungswirkung kann dieselbe Behörde aus einem Verwaltungsakt zugunsten des einen Adressaten auch gegenüber einem anderen Adressaten binden, sofern die erste Entscheidung einen entsprechenden Tatbestands- oder Feststellungsinhalt hat und eine gesetzliche Regelung eine einheitliche Behandlung des Tatbestands oder der Feststellung gebietet. Mit § 12 ist es nicht zu vereinbaren, dass ein Unfallversicherungsträger für die Frage, ob und wann während der Schwangerschaft ein Versicherungsfall eingetreten ist, bezüglich der Mutter und des Kindes unterschiedlich entscheidet.

2.4 Einwirkungen mit genereller Eignung, Berufskrankheiten hervorzurufen

 

Rz. 7

Wird allein die Leibesfrucht geschädigt, die Schwangere hingegen nicht, so ist der Versicherungsfall der Schwangeren ebenfalls gegeben (allg. Ansicht: Ricke, in: KassKomm, SGB VII § 12 Rz. 5; Schmitt, SGB VII, § 12 Rz. 7). Satz ;2 erw...

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