nicht rechtskräftig

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliches Unfallversicherung. Berufskrankheit. HIV-Infektion im Mutterleib. Versicherungsschutz der Leibesfrucht. Tatbestandswirkung. Feststellungswirkung. Drittwirkungsbindung

 

Leitsatz (redaktionell)

Mit dem Grundsatz, wonach dem ungeborenen Kind Versicherungsschutz aus der Gleichheit der Gefahrenlage, die aus der natürlichen Einheit von Mutter und Kind entsteht, von Rechts wegen zu gewähren ist (vgl. BVerfG, SozR 2200 § 539 Nr. 35), ist nicht zu vereinbaren, dass ein Unfallversicherungsträger für die Frage, ob und wann während der Schwangerschaft ein Versicherungsfall eingetreten ist, bezüglich der Mutter und des Kindes unterschiedlich entscheidet. Die Feststellung eines Versicherungsfalls der Berufskrankheit bei der Mutter (hier: HIV-Infektion im Rahmen der Tätigkeit als Krankenschwester) entfaltet daher Drittwirkungsbindung zu Gunsten ihres Kindes.

 

Normenkette

RVO §§ 555a, 551

 

Verfahrensgang

SG München (Entscheidung vom 28.02.2003; Aktenzeichen S 20 U 14/99)

 

Nachgehend

BSG (Aktenzeichen B 2 U 90/05 B)

 

Tenor

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 28. Februar 2003 wird zurückgewiesen.

II. Die Beklagte hat dem Kläger die Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Tatbestand:

Der 1990 geborene Kläger macht die Folgen einer HIV-Infektion als Berufskrankheit geltend. Die Infektion ist während der Schwangerschaft von der infizierten Mutter übergegangen.

Die Mutter des Klägers war als Krankenschwester berufstätig und zog sich die Infektion in ihrer beruflichen Tätigkeit zu. Die Infektion wurde erstmals im Rahmen eines Schwangerschaftstests im November 1989 festgestellt. Die Mutter verstarb an den Folgen der Infektion am 14.12.1997.

Ein von der Beklagten eingeholtes Gutachten ergab, dass die Infektion bei der Arbeit mit HIV-Patienten in der Intensivstation zwischen Mai 1983 und August 1990 geschehen sei. Der Infektionszeitpunkt liege wahrscheinlich zwischen 1983 und 1985, ein späterer Infektionszeitpunkt sei jedoch möglich. Die Beklagte legte intern den Versicherungsfall auf den 05.12.1989.

Mit Schreiben vom 16.04.1998 wandte sich die Beklagte an den Witwer, Vater des Klägers und dessen gesetzlicher Vertreter, und führte zunächst aus, vorbehaltlich einer endgültigen Entscheidung des Rentenausschusses werde die HIV/AIDS-Erkrankung der zwischenzeitlich verstorbenen Ehefrau als Berufskrankheit anerkannt. Als Tag des Versicherungsfalles werde voraussichtlich der 05.12.1989 festgestellt werden. Damit zu seinen Hinterbliebenenansprüchen und denen des Klägers Stellung genommen werden könne, werde um Ausfüllung der beigefügten Vordrucke gebeten. Dem Vater des Klägers gewährte die Beklagte mit Bescheid vom 27.04.1999 als Sonderrechtsnachfolger der Verstorbenen eine Dauerrente. Bei seiner Frau habe eine HIV-Infektion bestanden, diese Erkrankung sei eine Berufskrankheit. Maßgebender Zeitpunkt für die Berechnung des Jahresarbeitsverdienstes sei der 05.12.1989. Dies sei der Tag des Beginns der Krankheit im Sinne der Krankenversicherung. Unterhalb des Briefkopfes und oberhalb des Entscheidungsausspruches war vermerkt: "Berufskrankheit: W. H. , geboren 1958, vom: 05.12.1989."

Dem Vater und gesetzlichen Vertreter des Klägers schrieb die Beklagte am 24.04.1998, dass für den Kläger kein Versicherungsschutz nach § 555a RVO bestanden habe. Die Zeugung des Klägers sei erfolgt, nachdem sich seine Mutter während ihrer versicherten Tätigkeit infiziert habe. Dies sei mit Wahrscheinlichkeit zwischen 1983 und 1985 gewesen. Die Festsetzung des Tages des Versicherungsfalls auf den 15.12.1989 im Schreiben vom 16.04. 1998 ergebe sich aus der sozialgerichtlichen Rechtsprechung, nach der zwischen dem Zeitpunkt der Infektion und dem Zeitpunkt des Eintritts des Leistungsfalls zu unterscheiden sei. Der 05.12.1989 sei der festgestellte Termin des Leistungsfalles in der Erkrankungssache der Verstorbenen. Hiergegen legte der Vater des Klägers Widerspruch ein und wies darauf hin, dass im Schreiben der Beklagten vom 24.04.1998 der Versicherungsfall auf den 05.12.1989 festgesetzt worden sei. Mit Widerspruchsbescheid vom 15.12.1998 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück und führte im Rahmen der Begründung unter anderem aus, dass der Leistungsfall im Schreiben vom 16.04.1998 versehentlich als Tag des Versicherungsfalls bezeichnet worden sei.

Im anschließenden Klageverfahren hat das Sozialgericht ein Gutachten von dem Internisten Prof.Dr.G. vom 11.06.2001 über den Zeitpunkt der HIV-Infektion eingeholt. Der Sachverständige kommt bei unterschiedlichen Fragestellungen durch das Sozialgericht zu dem Ergebnis, über den Zeitpunkt der Infektion könne man nur spekulieren, ein späterer Zeitpunkt als 1985 sei nicht auszuschließen, der Verlauf spreche jedoch für eine Infektion deutlich vor der Schwangerschaft. Im Weiteren kommt der Sachverständige zunächst zu dem Ergebnis, es sei äußerst unwahrscheinlich, dass die Infekti...

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