Rz. 7

Die bloße Ungewissheit über die Sach- oder Rechtslage rechtfertigt noch nicht den Abschluss eines Vergleichsvertrages. Denn vorrangig hat die Behörde den Untersuchungsgrundsatz nach § 20 zu beachten, wonach sie von Amts wegen den Sachverhalt zu ermitteln, die materielle Wahrheit zu erforschen und dazu alle für die Entscheidung wesentlichen Tatsachen festzustellen hat. Insoweit ist der Grundsatz der Bindung der Verwaltung an Recht und Gesetz gemäß Art. 20 Abs. 3 GG vorrangig. Davon kann gemäß Abs. 1 unter bestimmten Voraussetzungen abgesehen werden. Abs. 1 berechtigt die Behörde allerdings nicht, vollständig von den gegebenen Möglichkeiten, den Sachverhalt zu ermitteln, abzusehen. Erst nachdem die Behörde ihre Ermittlungspflicht in einem nach dem Einzelfalle gebotenen Umfange erfüllt hat, kann der Abschluss eines Vergleichsvertrages in Betracht kommen. Eine Ungewissheit des Sachverhalts liegt damit erst dann vor, wenn eine erhebliche Tatsache nicht bekannt und entweder nicht mehr oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand feststellbar ist. Dies ist auch dann anzunehmen, wenn im Rahmen eines Prozesses bestimmte Beweisschwierigkeiten auftreten könnten. Eine solche Ungewissheit der Sachlage muss grundsätzlich bei allen Vertragspartnern bestehen, zumindest aber bei der Behörde, denn bei alleiniger Ungewissheit auf Seiten des Bürgers ist der Abschluss eines Vergleichsvertrages ausgeschlossen. Durch das Tatbestandsmerkmal "bei verständiger Würdigung des Sachverhalts" wird weiter eine gewisse Objektivierbarkeit der Ungewissheit gefordert. Sie muss aus der Sicht des objektiven Beobachters bestehen und darf nicht leicht zu beheben sein. Es ist also erforderlich, dass die Behörde im konkreten Falle unter pflichtgemäßer Abwägung des Für und Wider zu der Auffassung gelangt, dass eine weitere befriedigende Aufklärung der Sach- oder Rechtslage nicht ohne unverhältnismäßigen Aufwand an Mitteln und Zeit möglich sein würde und sich aus diesen Gründen für den Abschluss eines Vergleichsvertrages entscheidet. Soweit der Behörde ein Ermessens- oder Beurteilungsspielraum beim Erlass des Verwaltungsaktes zusteht, ist ein Vergleichsvertrag immer schon dann zulässig, wenn die Berücksichtigung der weiteren Aufklärung entgegenstehender Schwierigkeiten bei einer Entscheidung durch Verwaltungsakt nicht ermessensfehlerhaft wäre (BVerwGE 17 S. 87, 94).

 

Rz. 8

Ungewissheit über die Sachlage wird häufig bei Sachverhalten vorliegen, die sich in Vertreibungsgebieten oder im Ausland – insbesondere den ehemaligen Ostblockstaaten – ereignet haben (z. B. in der Kriegsopferversorgung oder im Rentenrecht hinsichtlich der Nachweise von Beitrags-, Anrechnungs- und Ersatzzeiten). Die gesetzlichen Vorschriften sehen hier allerdings neben Beweiserleichterungen teilweise die Anrechnung von pauschalen Zeiten vor.

 

Rz. 9

Ungewissheit über die Rechtslage setzt zuerst einmal voraus, dass die Beteiligten von einem unstreitigen Sachverhalt ausgehen. Sie kann z. B. dann vorliegen, wenn über eine Einzelfrage unterschiedliche gerichtliche Entscheidungen ergangen sind und eine höchstrichterliche Rechtsprechung noch nicht besteht (divergierende Meinungen in Rechtsprechung und Literatur). Auch die Auslegung von unbestimmten Rechtsbegriffen und Fragen des behördlichen Beurteilungs- und Ermessensspielraumes (vgl. insoweit die Komm. zu § 38 SGB I) bieten sich besonders für eine vergleichende Regelung an. Jedoch ist der Begriff der Ungewissheit der Rechtslage grundsätzlich eng auszulegen, da es zu den Aufgaben der öffentlichen Verwaltung gehört, noch nicht geklärte Auslegungsfragen zu entscheiden (und ggf. gerichtlich überprüfen zu lassen).

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