Rz. 1b

Die Beanstandung von Pflichtbeiträgen führt i. d. R. zu Lücken im Versicherungsverlauf, die sich für Versicherte sowohl auf ihre Rentenansprüche (z. B. bei der Prüfung von Wartezeiten oder von versicherungsrechtlichen Voraussetzungen) als auch auf ihre Rentenhöhe negativ auswirken können. Zur Abwendung unerwünschter Rechtsfolgen räumt § 202 Versicherten Dispositionsmöglichkeiten ein, die es ihnen ermöglichen, zu Unrecht gezahlte Pflichtbeiträge in freiwillige Beiträge umzudeuten (Satz 1) oder durch Beitragserstattung und (Nach-) Zahlung von freiwilligen Beiträgen (Satz 2) versicherungsrechtliche Lücken zu schließen sowie Leistungsansprüche zu erhöhen.

Die Vorschrift korrespondiert mit § 26 Abs. 2 SGB IV und dient dem sozialrechtlichen Schutz von Versicherten, die auf die Wirksamkeit bereits gezahlter Pflichtbeiträge vertraut haben.

2.1 Umdeutung in freiwillige Beiträge (Satz 1)

 

Rz. 2

Nach § 202 Satz 1 und 3 gelten bereits abgeführte Pflichtbeiträge als freiwillige Beiträge, wenn diese

  • in der irrtümlichen Annahme der Versicherungspflicht (§§ 1 bis 4, 229, 229a) gezahlt,
  • (nur) deshalb beanstandet,
  • aber nicht zurückgefordert worden sind und
  • die Berechtigung zur freiwilligen Versicherung (§ 7) in der Zeit bestanden hatte, für die die Beiträge als gezahlt gelten sollen.

Eine Umdeutung von Pflichtbeiträgen i. S. v. § 202 Satz 1 ist grundsätzlich für den gesamten Zeitraum zulässig, in dem Beiträge in der irrtümlichen Annahme der Versicherungspflicht gezahlt worden sind; eine Beschränkung auf Teilzeiträume durch den Versicherten ist allerdings ebenfalls möglich. Die ursprünglich gezahlten Beiträge gelten bei einer Umdeutung i. S. v. § 202 Satz 1 als wirksam gezahlte freiwillige Beiträge, und zwar mit ihrem bisherigen Beitragswert. Dies gilt selbst dann, wenn sie nicht in Höhe der nach § 167 erforderlichen Mindestbeitragsbemessungsgrundlage für freiwillige Beiträge gezahlt worden sind.

§ 202 Satz 1 räumt Versicherten aus Vertrauensschutzgründen bezogen auf ihre künftige Alterssicherung ein "höchstpersönliches Gestaltungsrecht" ein, das z. B. auch von Verrechnungsersuchen anderer Sozialleistungsträger (§ 28 SGB IV) unberührt bleibt; gleiches gilt für etwaige Forderungen Dritter (z. B. bei Vorliegen von Abtretungen oder Pfändungs- und Überweisungsbeschlüssen).

2.1.1 Irrtümliche Annahme von Versicherungspflicht

 

Rz. 3

Die Wirksamkeit zur Zahlung von Pflichtbeiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung setzt u. a. eine Versicherungsberechtigung voraus, die sich im Einzelnen aus §§ 1 bis 4, 229 oder 229a ergibt.

Beiträge wurden in der irrtümlichen Annahme der Versicherungspflicht gezahlt, wenn die Voraussetzungen für das Eintreten von Versicherungspflicht (§§ 1 bis 4, 229, 229a) entweder in der Person des Versicherten oder aufgrund der Art seiner Beschäftigung oder Tätigkeit nicht erfüllt gewesen sind oder die Voraussetzungen für eine Versicherungspflicht als "Sonstiger Versicherter i. S. v. §§ 3, 4 Abs. 3" nicht vorgelegen haben. Gleiches gilt, wenn sich trotz Vorliegens der in §§ 1 bis 4, 229 oder 229a genannten Voraussetzungen Ausschlussgründe für das Eintreten von Versicherungspflicht ergeben (z. B. bei Versicherungsfreiheit des Versicherten gemäß §§ 5, 230 oder Befreiung von der Versicherungspflicht gemäß §§ 6, 231).

Bei Prüfung der Ursache für die irrtümliche Pflichtbeitragszahlung ist nicht rechtserheblich, ob der Versicherte selbst, sein Arbeitgeber, die Beitragseinzugsstelle, ein Sozialleistungsträger oder ein Träger der Pflegeversicherung rechtsfehlerhaft gehandelt haben.

2.1.2 Beanstandung von Beiträgen als Folge der irrtümlichen Annahme der Versicherungspflicht

 

Rz. 3a

Die Anwendung von § 202 setzt voraus, dass die Beanstandung der Beiträge ausschließlich auf der irrtümlichen Annahme der Versicherungspflicht beruhte. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass Pflichtbeiträge, die (auch) deshalb beanstandet worden sind, weil sie außerhalb der in § 197 Abs. 1 und 3 i. V. m. der in § 25 SGB IV genannten Verjährungsfristen gezahlt wurden, nicht von dieser Schutzvorschrift erfasst werden und – bei Erstattungsfähigkeit i. S. v. § 26 Abs. 2 SGB IV – auf Antrag zu erstatten sind.

2.1.3 Keine Rückforderung der umzudeutenden Pflichtbeiträge

 

Rz. 4

Voraussetzung für die Umdeutung von zu Unrecht gezahlten Pflichtbeiträgen in freiwillige Beiträge ist u. a., dass die tatsächlich gezahlten Beiträge von denjenigen, die an der Beitragstragung beteiligt gewesen sind, nicht zurückgefordert wurden. Nach der Rechtsprechung des BSG ist die in § 202 Satz 1 geregelte Umdeutung von Pflichtbeiträgen in freiwillige Beiträge nur in voller Höhe, also in Höhe des tatsächlich gezahlten Beitrags, zulässig (BSG, Urteil v. 25.9.1969, 12 RK 444/68); dies gilt auch dann, wenn mehrere Personen/Stellen an der Beitragstragung beteiligt waren.

Zu Unrecht gezahlte Beiträge sind gemäß § 26 Abs. 2 Satz 1 SGB IV grundsätzlich zu erstatten. Dabei steht der Erstattungsbetrag demjenigen zu, der die Beiträge getragen hat (§ 26 Abs. 3 Satz 1 SGB IV). Die Anwendung von § 202 Satz 1 könnte deshalb bei einer Beitragstragung durch den Versicherten und seinen Arbeitgeber (§ 168 Abs. 1 Nr. 1 bis 7) daran scheitern, dass der Arbeitgeber seinen Beitragsanteil zurückfordern möchte, während der Versicherte ein Interesse an ...

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