Entscheidungsstichwort (Thema)

Akteneinsicht im Steuerermittlungsverfahren

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Nach der Abgabenordnung (AO) besteht kein gesetzlich normierter Anspruch des Steuerpflichtigen auf Akteneinsicht im Steuerermittlungsverfahren.

2. Der Steuerpflichtige hat im Steuerermittlungsverfahren lediglich einen Anspruch darauf, dass über seinen Antrag auf Akteneinsicht im Wege pflichtgemäßen Ermessens entschieden wird.

3. Im Rahmen der Ermessensabwägung ist zwischen dem Interesse des Steuerpflichtigen an einer vollständigen Akteneinsicht und der möglichen Gefährdung der im laufenden Ermittlungsverfahren gewonnenen Erkenntnisse und Beweismittel durch das Einsichtsverlangen abzuwägen.

 

Normenkette

AO § 91; AEAO zu § 91 Abs. 4; GG Art. 103 Abs. 1; HDSG § 8 Abs. 1

 

Streitjahr(e)

2000

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Gewährung von Akteneinsicht in die Ermittlungsakten der Steuerfahndungsstelle des Beklagten.

Gegen den Kläger wurde die Einleitung eines Steuerermittlungsverfahrens gemäß §§ 85, 208 Abs. 1 Nr. 3 der Abgabenordnung (AO) angeordnet. Mit

der Durchführung des Steuerermittlungsverfahrens wurde ein Bediensteter

der Steuerfahndungsstelle des Beklagten beauftragt.

In der Folgezeit bat der rechtliche Vertreter des Klägers um die Gewährung von Akteneinsicht in die Ermittlungsakten der Steuerfahndungsstelle. Der Beklagte lehnte die begehrte Akteneinsicht ab. Der Kläger hat gegen die entsprechende ablehnende Verfügung zunächst Einspruch eingelegt und nach erfolglosem Einspruchsverfahren Klage erhoben.

Nach Ansicht des Klägers verkenne der Beklagte, dass er nach pflichtgemäßem Ermessen über die beantragte Akteneinsicht zu entscheiden habe. Insbesondere ergebe sich aus § 91 Abs. 4 Satz 2 des Anwendungserlasses zur AO, dass die Finanzbehörde bei beantragter Akteneinsicht nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden habe. Der Beklagte habe jedoch sein Ermessen nicht ausgeübt, sondern strikt behauptet, es gebe schlicht kein Akteneinsichtsrecht. Damit habe er nicht sein Entschließungsermessen und erst recht nicht sein Auswahlermessen erkannt und infolgedessen auch nicht ausgeübt. Die strikte Versagung der beantragten Akteneinsicht sei daher allein aus diesem Grund schon rechtswidrig.

Dies gelte umso mehr, als im Streitfall ein Beraterwechsel erfolgt sei.

Stattdessen hätte der Beklagte nach Ansicht des Klägers und unter Berücksichtigung des pflichtgemäßem Ermessens gemäß § 5 AO sachgerecht über das Akteneinsichtsgesuch entscheiden müssen. Hierbei hätte der Beklagte insbesondere in seine Überlegungen einstellen müssen, dass die Ermittlungspflicht der Finanzverwaltung und die Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen einschließlich des Akteneinsichtsrechts sich nicht gegenseitig ausschließen. Die einzig sachgerechte Ermessensentscheidung wäre daher die Gewährung der Akteneinsicht in die vollständigen Ermittlungsakten gewesen. Denn die Akteneinsicht fördere auch die Sachverhaltsermittlung und diene damit letztendlich der Behörden in eigener Ermittlungspflicht. Der Kläger stützt sein Recht auf Akteneinsicht auf den Beschluss des Bundesfinanzhofs vom 16.5.2000, VII B 2000/98, Bundessteuerblatt II 2000, 541 ff.

Nach Ansicht des Klägers ergebe sich im übrigen das Recht auf Akteneinsicht direkt aus § 8 Abs. 1 Nr. 1 des Hessischen Datenschutzgesetzes. Danach habe jeder nach Maßgabe dieses Gesetzes ein Recht auf Auskunft und Benachrichtigung über die zu seiner Person gespeicherten Daten. Nach § 18 Abs. 5 des Hessischen Datenschutzgesetzes könne jeder bei der speichernden Stelle Akteneinsicht in die von ihm bezeichneten Akten verlangen, die auf ihn personenbezogene Daten, die in Akten gespeichert sind, darstellten.

Das Land Hessen habe die Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr im Hessischen Datenschutzgesetz in nationales Recht transformiert. Dadurch werde diese Richtlinie bindendes Recht im Bundesland Hessen, sodass der Beklagte als Landesbehörde daran zwingend gebunden sei.

Im Gegensatz zu strafrechtlichen Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaften und Gerichtsakten seien die Besteuerungsakten und Betriebsprüfungsakten einschließlich der Fallhefte nicht in § 3 des Hessischen Datenschutzgesetzes dem Anwendungsbereich dieses Gesetzes entzogen worden. Die Auskunfts- und Einsichtsrechte in die vollständigen Ermittlungsakten ergeben sich daher unmittelbar aus § 18 Abs. 1 bzw. Abs. 4 des Hessischen Datenschutzgesetzes.

Diese Akteneinsicht dürfe der Beklagte auch nicht nach § 18 Abs. 4 oder Abs. 5 Satz 3 des Hessischen Datenschutzgesetzes verweigern. Durch die Einsichtnahme würden nämlich keine Rechte Dritter bzw. Geheimhaltungsinteressen Dritter tangiert.

Nach Ansicht des Klägers irre der Beklagte, soweit er unterstelle, dass die Normen der §§ 30 f. AO eine vollständige und abschließende Regelung hinsichtlich des Datenschutzes enthielten. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Schriftsätze des Kläg...

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