Entscheidungsstichwort (Thema)

Kostenentscheidung nach Hauptsacheerledigung bei Klageerhebung nach Feststellung der Verfassungswidrigkeit des Kinderfreibetrages und vor Erlass des Familienförderungsgesetzes

 

Leitsatz (redaktionell)

Durch die Zurückweisung des Einspruchs nachdem die Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts über die Verfassungswidrigkeit des Kinderfreibetrags ergangen und bevor die Auswirkungen auf den Streitfall durch das Gesetz zur Familienförderung geklärt waren, hat das Finanzamt trotz Vorläufigkeitsvermerk Anlass zur Klage gegeben und damit die Kosten des Verfahrens im Falle des Obsiegens zu tragen.

 

Normenkette

FGO § 138 Abs. 1, 2 S. 1

 

Streitjahr(e)

1990

 

Tatbestand

Mit der am 01.03.1999 bei Gericht eingegangenen Klage wandten sich die Kläger hinsichtlich der, bei einem Kinderfreibetrag von 3.024 DM ein zu versteuerndes Einkommen von 131.755 DM ausweisenden Einkommensteuerfestsetzung 1990 (festgesetzte Einkommensteuer 33.006 DM) „gegen die Verfassungswidrigkeit der Familienbesteuerung ab dem Jahr 1983” und verwiesen insoweit auf die Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts vom 10. November 1998 (2 BvR 1852/97 u.a.). Ferner beantragten die Kläger, das Verfahren auszusetzen oder ruhen zu lassen, bis der Gesetzgeber eine Neuregelung der Familienbesteuerung vorgenommen habe. Die Beteiligten haben den Rechtstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt und wechselseitige Kostenanträge gestellt. Wegen der Einzelheiten wird auf die im Klageverfahren eingereichten Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen sowie Beschlüsse und Verfügungen des Gerichts Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

Nachdem die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, war nur noch über die Kosten des Rechtsstreits zu entscheiden. Gemäß § 138 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO - ist die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens nach billigem Ermessen zu treffen; der bisherige Sach- und Streitstand ist zu berücksichtigen. Nach § 138 Abs. 2 Satz 1 FGO sind die Kosten der Behörde u.a. aufzuerlegen, soweit sich ein Rechtsstreit dadurch erledigt, dass dem Antrag des Klägers durch Änderung des angefochtenen Bescheides stattgegeben wird, wobei nach § 138 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 137 FGO auch der obsiegenden Partei die Kosten ganz oder teilweise auferlegt werden können, wenn das Obsiegen auf Tatsachen beruht, die der Obsiegende früher hätte geltend machen oder beweisen können und sollen, oder die Kosten auf einem Verschulden des Beteiligten beruhen. Bei der Ermessensentscheidung nach § 138 Abs. 1 FGO, im Rahmen derer dem Gericht ein weiter Ermessensspielraum eingeräumt ist, sind neben dem Sach- und Streitstand auch andere Gründe zu berücksichtigen, z.B. wenn dies nach allgemeinem Gerechtigkeitsempfinden sachgerecht ist. Das Gericht darf neben dem bisherigen Sach- und Streitstand auch den Grund, der zur Erledigung geführt hat, würdigen. Insbesondere andere materielle Grundsätze des Kostenrechts können herangezogen werden, etwa die Frage, wer durch sein Verhalten Anlass zur Klageerhebung gegeben hat (vgl. Gräber-Ratschow, Kommentar zur FGO, 7. Aufl. 2010, § 138 Anm. 48 mit Rechtsprechungsnachweisen).

Nach dieser Maßgabe erscheint es ermessensgerecht, im Streitfall dem Beklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

Denn nach der Rechtsprechung des BFH (vgl. im Einzelnen BFH-Urteil vom 16. Februar 2005 VI R 37/01, BFH/NV 2005, 1323) wurde die vorliegende Klage zum einen zulässig erhoben, wobei den Klägern - auch im Falle des Bestehens eines Vorläufigkeitsvermerks nach § 165 Abgabenordnung (AO) - ein Rechtsschutzinteresse zur Seite stand (vgl. hierzu auch Hessisches Finanzgericht, Urteil vom 25. Januar 2001, 11 K 1547/99, NJW-RR 2001, 933). Im Streitfall hatte das BVerfG die Musterverfahren schon vor Erlass der Einspruchsentscheidung vom 07.01.1999, in welcher auch die Regelung der Höhe des Kinderfreibetrages streitig war, entschieden (Beschlüsse vom 10. November 1998 in BVerfGE 1999, 246, 273, BStBl II 1999, 174, 194). In diesen Verfahren hatte es die auch von den Klägern geltend gemachte Verfassungswidrigkeit der Familienbesteuerung festgestellt. Der Beklagte hatte den Einspruch zurückgewiesen, nachdem diese Beschlüsse ergangen und bevor die Auswirkungen auf den Streitfall - durch das Gesetz zur Familienförderung (FamFöG) vom 22. Dezember 1999 - geklärt waren. Im Zeitpunkt der Klageerhebung war deshalb offen, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen die Kläger eine verfassungsgemäße Steuerentlastung beanspruchen konnten. Denn auf Grund der Beschlüsse des BVerfG in BVerfGE 1999, 246, 273, BStBl II 1999, 174, 194 war unsicher, ob auch die wegen eines Vorläufigkeitsvermerks materiell nicht bestandskräftigen Bescheide wegen der Verfassungswidrigkeit der Familienbesteuerung geändert würden. Das FamFöG vom 22. Dezember 1999 wurde erst später - nachdem die Kläger bereits Klage erhoben hatten - erlassen. Daher fehlte den Klägern im Zeitpunkt der Klageerhebung das Rechtsschutzbedürfnis nicht. Vorl...

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