Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfassungsmäßigkeit der Besteuerung von privaten Veräußerungserträgen

 

Leitsatz (redaktionell)

An der Verfassungsmäßigkeit des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG zur Besteuerung privater Veräußerungsgeschäfte (Wertpapiere) im Veranlagungszeitraum 2003 bestehen ernstliche Zweifel.

 

Normenkette

EStG § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, § 3 Nr. 40j; GG Art. 3 Abs. 1; FGO § 69 Abs. 3

 

Tatbestand

In seiner Einkommensteuererklärung für 2003 erklärte der Antragsteller einen Gewinn aus dem An- und Verkauf von Aktien in Höhe von 2.315,11 EUR, den das Finanzamt als Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften nach §§ 22 Satz 1 Nr. 2, 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 3 Nr. 40j, 3c Abs. 2 EStG zur Hälfte mit 1.157,-- EUR der Besteuerung zu Grunde legte. Gegen den Einkommensteuerbescheid für 2003 vom 17.09.2004 legten die Antragsteller unter Berufung auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 09.03.2004 2 BvL 17/02, HFR 2004, 471 bzw. NJW 2004, 1022 Einspruch mit der Begründung ein, die Besteuerung sonstiger Einkünfte aus der Veräußerung von Aktien sei auch in 2003 verfassungswidrig. Den gleichzeitig gestellten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Einkommensteuerbescheides lehnte das Finanzamt ab, da es keine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG gebe. Über den Einspruch hat das Finanzamt bislang noch nicht entschieden.

Mit Schriftsatz vom 19.10.2004 beantragten die Antragsteller gerichtliche Aussetzung der Vollziehung. Da sich am Besteuerungsverfahren sonstiger Einkünfte aus der Veräußerung von Aktien auch im Jahr 2003 nichts geändert habe, sei deren Besteuerung auch in diesem Jahr verfassungswidrig. In 2003 bestünden ebenfalls in Folge von Kontrollhemmnissen strukturelle Mängel beim Besteuerungsverfahren, so dass die Besteuerung der Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften nicht entsprechend des Grundsatzes der Gleichmäßigkeit der Besteuerung durchgesetzt werde bzw. worden sei. Die dadurch verursachte Belastungsungleichheit gefährde die Verfassungsmäßigkeit der Besteuerung dieser Einkünfte. Insofern bestünden Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG.

Ein erhebliches Vollzugsdefizit bei der Besteuerung von Gewinnen aus Wertpapierverkäufen sei auch von den Finanzgerichten Düsseldorf (Beschluss vom 27.07.2004 8 V 806/04 A (E), DStRE 2004, 957) und des Landes Brandenburg (Beschluss vom 24.05.2004 3 V 974/04, DStRE 2004, 956) angenommen worden, die eine Aussetzung der Vollziehung in ähnlich gelagerten Fällen gewährt hätten.

Die Antragsteller beantragen sinngemäß,

die Vollziehung des Einkommensteuerbescheides 2003 vom 17.09.2004 in Höhe von 368,-- EUR auszusetzen.

Das Finanzamt beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Der Antrag ist begründet.

Bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage bestehen ernstliche Zweifel im Sinn des § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 Finanzgerichtsordnung -FGO- an der Rechtmäßigkeit des Einkommensteuerbescheides der Antragsteller für 2003 vom 17.09.2004. Es besteht eine Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfrage, ob § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG verfassungsgemäß ist oder ob diese Vorschrift - wie die Vorgängervorschrift in § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1b EStG a.F. - wegen Unvereinbarkeit mit Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz nichtig ist. Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit dieser Vorschrift ergeben sich bereits aus dem Vorlagebeschluss des Bundesfinanzhofes - BFH - vom 16.07.2002 IX R 62/99, Bundessteuerblatt - BStBl - II, 2003, 74, der zu dem Urteil des BVerfG vom 09.03.2004 a.a.O. geführt hat. In Abschnitt B.III.4 b und c dieses Beschlusses nimmt der BFH nämlich auch zur Rechtslage ab dem Veranlagungszeitraum 1999 Stellung und führt aus, dass der gleichmäßige Belastungserfolg weder durch § 45d Abs. 1 EStG noch durch organisatorische Maßnahmen hergestellt werden könne; außerdem sei die der Gewährleistung von Gleichheit im steuerlichen Belastungserfolg gegenläufige Vorschrift des § 30a Abgabenordnung unangetastet geblieben. Diese Erwägungen haben in einem den Veranlagungszeitraum 2000 betreffenden - mit dem vorliegenden Streitfall vergleichbaren - Fall dazu geführt, dass der BFH ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der auch hier einschlägigen Vorschrift des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG bejaht und Aussetzung der Vollziehung gewährt hat (vgl. BFH-Beschluss vom 04.08.2003 IX B 45/03, BFH/NV 2004, 37).

Die Unsicherheit bei der hier für das Jahr 2003 zu beurteilenden Rechtsfrage ist durch die Ausführungen in Abschnitt D.III.2. des Urteils des BVerfG vom 09.03.2004 a.a.O. nicht beseitigt worden. Dort lehnt es das BVerfG lediglich ab, die Nichtigkeitserklärung bezüglich der für 1997 und 1998 geltenden Gesetzesfassung auch auf die hier einschlägige Norm des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG zu erstrecken, weil sich die Relation zwischen Norm und Vollzugsrealität so verändert haben könnte, dass ein zur Verfassungswidrigkeit führendes strukturelles Vollzugsdefizit nicht ...

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