Rz. 158

Der Grundsatz der vorsichtigen Bilanzierung erfordert eine bedeutsame Abweichung vom Realisationsprinzip. Nach dem Realisationsprinzip wären auch Verluste erst auszuweisen, wenn sie durch ausreichende Konkretisierung eingetreten sind. Um dem Vorsichtsprinzip Rechnung zu tragen und die Ausschüttung nur vorläufiger, letztlich durch Verluste wieder aufgezehrter Gewinne zu vermeiden, greift das Imparitätsprinzip ein. Dieses Prinzip besagt, dass im Gegensatz zu nichtrealisierten Gewinnen nichtrealisierte Verluste auszuweisen sind (zur Nichtgeltung des Realisationsprinzips für Rückstellungen vgl. Rz. 352).

Das Imparitätsprinzip ist keine systemwidrige Ausnahme vom Realisationsprinzip, sondern resultiert ebenso wie das Realisationsprinzip aus dem Vorsichtsprinzip: Es entspricht der Vorsicht eines ordentlichen Kaufmanns, Gewinne erst auszuweisen, wenn sie realisiert sind, Verluste aber bereits dann, wenn sie verursacht (d. h., das Vermögen bereits gemindert haben), aber noch nicht voll realisiert sind. Es geht also um die Offenlegung von zum Bilanzstichtag entstandenen Verlusten.[1] Das wird deutlich, wenn man als Bilanzzweck die Bestimmung des ausschüttbaren (entnahmefähigen) Betrags annimmt: Ein noch nicht realisierter Gewinn kann noch nicht ausgeschüttet werden, da er noch nicht endgültig vorhanden ist, also noch entfallen kann. Dagegen entspricht es der Vorsicht, keine Gewinnausschüttungen vorzunehmen, wenn bereits verwirklichte Tatbestände den künftigen Ausweis von Verlusten erwarten lassen. Der aus anderen Quellen entstandene Gewinn wird daher durch den Ausweis der (drohenden) Verluste neutralisiert, um insoweit eine Ausschüttung zu vermeiden.[2]

Das Imparitätsprinzip ist aus steuerrechtlicher Sicht nicht durch die Verfassung geschützt. Es dient in erster Linie dem Schutz der Gläubiger und nicht der Herstellung einer gerechten Lastenverteilung aufgrund des Prinzips der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit.[3] Das Imparitätsprinzip kann daher steuerrechtlich vom Gesetzgeber eingeschränkt werden, ohne dadurch Grundrechte des Stpfl. zu beeinträchtigen.

 

Rz. 159

Grundsätzlich ist der Imparitätsgrundsatz auch für die Bestimmung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und damit des steuerlichen Zugriffs auf die Vermögensmehrung geeignet. Wenn das Imparitätsprinzip dazu dient, den Zugriff des Anteilseigners auf die Vermögensmehrung (Gewinn) im Interesse der langfristigen Erhaltung des für die Existenz erforderlichen Vermögens zu begrenzen[4], dann bedeutet dies nichts anderes, als dass die wirtschaftliche Fähigkeit des Unternehmens, Vermögensabflüsse (hier an den Gesellschafter) tragen zu können, bestimmt wird. Aus dieser an die wirtschaftliche Fähigkeit des Unternehmens anknüpfenden Sicht macht es aber keinen Unterschied, ob der Vermögensabfluss an den Gesellschafter oder den Fiskus erfolgt; aus der Sicht des Unternehmens liegen beide Vermögensabflüsse entweder im Rahmen der vorhandenen Leistungsfähigkeit, oder sie liegen außerhalb dieser Leistungsfähigkeit und sind daher existenzgefährdend. Nach dem Vorsichtsprinzip, und dem daraus abgeleiteten Imparitätsprinzip, und aus der Sicht des Unternehmens sind daher Leistungsfähigkeit zur Ausschüttung an den Gesellschafter und Leistungsfähigkeit zur Zahlung von Steuern identisch. Aus der Sicht des Unternehmens gibt es nur eine einzige wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, Vermögensabflüsse ohne Existenzgefährdung tragen zu können, seien sie Ausschüttung, seien sie Steuerzahlungen. Es geht daher nicht um die Definition des "wahren Gewinns" (was ohnehin nur eine Leerformel wäre), sondern um die Definition desjenigen Betrags, den das Unternehmen abgeben kann, ohne seine Existenz zu gefährden. Dieser Betrag ist die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und ist für die Bestimmung der maximal möglichen Gewinnausschüttung und für die mögliche Steuerzahlung identisch. Wenn bestimmte Vermögensabflüsse an den Gesellschafter/Inhaber als Ausschüttung oder Entnahme existenzgefährdend sind, können nicht Vermögensabflüsse in gleicher Höhe an den Fiskus der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit entsprechen.[5] Es mag sein, dass die Sicherheit und Gleichmäßigkeit der Abrechnung (Objektivierung) und deren problemlose und nachvollziehbare Durchführung (Vereinfachung) wesentliche steuerliche Grundsätze sind und Vorrang vor einer betriebswirtschaftlichen Richtigkeit haben[6], dies darf aber nicht so weit gehen, dass unter Berufung auf eine "Objektivierung" dem Unternehmen im fiskalischen Interesse Leistungen abverlangt werden, die der Gesellschafter bzw. Inhaber als Ausschüttung/Entnahme nicht verlangen könnte, da dies die Existenz des Unternehmens gefährden würde. Ein so verstandenes Vorsichtsprinzip ist daher auch im Bilanzsteuerrecht unverzichtbar.

 

Rz. 160

Der Ausweis nichtrealisierter Verluste erfolgt auf folgenden Ebenen:

  • Auf der Aktivseite durch Ansatz des niedrigeren Teilwerts bei Anlage- und Umlaufvermögen (Einzelheiten vgl. § 6 Rz. 335ff.); auch die regelmäßigen Abschre...

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