Rz. 4

Aus dem Begriff "Vorauszahlungen" ergibt sich, dass es sich um eine Steuerschuld handelt, bei der noch nicht feststeht, ob es sich um eine endgültige Belastung des Stpfl. handelt. Nach § 37 Abs. 1 EStG handelt es sich um Zahlungen auf eine voraussichtlich entstehende oder, bei der nachträglichen Erhöhung der Vorauszahlungen nach Abs. 4, auf eine voraussichtlich entstandene Steuerschuld. Für die endgültige Höhe der Steuerschuld des jeweiligen Vz sind daher nicht die Vorauszahlungen maßgebend, sondern nur die Jahressteuerschuld, die bei der Veranlagung festgesetzt wird.

 

Rz. 4a

Sowohl steuerschuldrechtlich – aber auch verfahrensrechtlich – ist die Vorauszahlungsschuld eine selbstständige Schuld, deren Vorläufigkeit darin zum Ausdruck kommt, dass sie ihre Wirkung zeitlich vor der Festsetzung der Jahressteuerschuld entfaltet. Schuldrechtlich entsteht sie vor der Entstehung der Jahressteuerschuld und wird auch vor der Jahressteuerschuld fällig, verfahrensrechtlich wird sie hierbei vor der Festsetzung der Jahressteuerschuld in einem eigenständigen Verfahren festgesetzt. Ihre Vorläufigkeit zeigt sich insbesondere darin, dass sie ab Festsetzung der Jahressteuerschuld ihren selbstständigen Charakter verliert. Die Vorauszahlungsschuld ist damit eine aufschiebend bedingte Schuld, die ihren selbstständigen Charakter durch Erlass des Jahressteuerbescheids mit dessen Bekanntgabe verliert.[1] Nach Erlass des Jahressteuerbescheids kann deshalb ein Vorauszahlungsbescheid nicht mehr erlassen bzw. vollzogen werden.[2]

 

Rz. 5

Aus diesen Ausführungen ergibt sich das Verhältnis der Vorauszahlungsschuld zur Jahressteuerschuld. Die Leistung der Vorauszahlungen stellt keine Zahlung der Jahressteuerschuld, sondern (nur) eine Leistung der Vorauszahlungsschuld dar.[3] Diese Vorauszahlungen werden gem. § 36 Abs. 2 Nr. 1 EStG auf die Jahressteuerschuld angerechnet. Mit dem Zeitpunkt dieser Anrechnung verliert die Vorauszahlung ihre eigenständige Bedeutung und geht durch die Anrechnung in der Jahressteuerschuld auf. Der Zeitpunkt dieser Anrechnung ist im EStG nicht bestimmt. Man wird diesen Zeitpunkt mit dem Wirksamwerden des Jahressteuerbescheids annehmen dürfen. Wie sich aus der Überschrift des § 36 EStG ergibt, handelt es sich bei dieser Anrechnung um einen Vorgang aus dem Bereich der Tilgung der ESt. Vor der Festsetzung der Steuer kann diese jedoch nicht getilgt werden, obwohl sie schon entstanden ist; die Festsetzung der Steuerschuld ist der formelle Rechtsgrund ("causa") für die Tilgung der Jahressteuerschuld. Vor diesem Zeitpunkt können alle Zahlungsvorgänge nur Vorauszahlungen sein, nicht Tilgung der Jahressteuerschuld. Zeitpunkt der Anrechnung ist der Zeitpunkt des Wirksamwerdens des Jahressteuerbescheids nach § 124 AO, d. h. mit wirksamer Bekanntgabe an den Stpfl. Der Zeitpunkt der Unanfechtbarkeit des Jahressteuerbescheids ist nicht maßgebend. Vorauszahlungen sind daher nicht als Minderung der Jahressteuer aufzufassen, sondern mit der Festsetzung der Jahressteuer als Tilgung.[4] Im Jahressteuerbescheid festgesetzt wird daher die um die Vorauszahlungen nicht geminderte Jahressteuerschuld; die Anrechnung der Vorauszahlungen erfolgt außerhalb des Steuerbescheids im "Abrechnungsteil".[5]

 

Rz. 5a

Auf die Jahressteuer angerechnet werden nur die tatsächlich entrichteten Vorauszahlungen, nicht die rückständigen Vorauszahlungsbeträge.[6] Nicht geleistete Zahlungen können folglich nicht zur Tilgung der Jahressteuerschuld führen. Die nach dieser Anrechnung noch bestehende Steuerforderung bildet die "Abschlusszahlung", die auch insoweit, als Vorauszahlungen rückständig sind, nur noch auf der Grundlage des Jahressteuerbescheids, jedoch nicht mehr auf der Grundlage des Vorauszahlungsbescheids, geltend gemacht und beigetrieben werden kann. Soweit die Abschlusszahlung den rückständigen Vorauszahlungen entspricht, tritt zwar nach § 36 Abs. 4 EStG sofortige Fälligkeit ein, trotzdem handelt es sich nicht mehr um Vorauszahlungen, sondern um einen bezüglich der Fälligkeit besonders behandelten Teil der Abschlusszahlung.[7] Der Vorauszahlungsbescheid kann also mit Ergehen des Jahressteuerbescheids nicht mehr vollzogen werden; er wird aufgrund seines Charakters als Bescheid über eine vorläufige Steuerschuld für die Zukunft gegenstandslos und hat sich damit "auf andere Weise" i. S. d. § 124 Abs. 2 AO erledigt (Rz. 33ff.).[8]

 

Rz. 6

Der Umstand, dass der Vorauszahlungsbescheid mit Wirksamwerden des Jahressteuerbescheids seine Bedeutung verliert und gegenstandslos wird, hat auch Auswirkungen auf die Erstattung von Vorauszahlungen im Wege der Aussetzung der Vollziehung (§ 361 AO; § 69 FGO; Rz. 69). Zwar war der Vorauszahlungsbescheid für die entrichteten Vorauszahlungen "causa", d. h. der formalrechtliche und materiell-rechtliche Grund dafür, dass Vorauszahlungen zu entrichten waren und von der Finanzbehörde behalten werden durften. Mit seinem "Gegenstandsloswerden" verliert der Vorauszahlungsbescheid jedoch auch insoweit seine Wirkungen für die Zukunft. De...

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