2.1 Mehrebenenbesteuerung als strukturelles Problem

 

Rz. 41

Bei der bedeutsamsten Gruppe der Körperschaftsteuersubjekte, den Kapitalgesellschaften, sowie den anderen Körperschaften, die Gewinne ausschütten, ergibt sich aus der Tatsache, dass sie Gewinn ausschütten oder auf andere Weise Vermögen auf den Anteilseigner übertragen, ein strukturelles Problem. Diese Körperschaften sind selbstständige Steuerrechtssubjekte mit einer selbstständig zu ermittelnden wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit (Rz. 10ff.). Das Einkommen, aus dem sie die Ausschüttungen finanzieren, ist also bei ihnen steuerbar und grundsätzlich auch steuerpflichtig. Die Anteilseigner sind hiervon verschiedene Steuersubjekte, die eine eigenständige wirtschaftliche Leistungsfähigkeit haben, die nicht mit der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Körperschaft zusammengefasst werden darf ("Trennungsprinzip"; Rz. 15). Daher gehören die Gewinnausschüttungen und sonstigen Vermögensübertragungen von der Körperschaft auf die Gesellschafter zu ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und sind regelmäßig bei ihr steuerbar und steuerpflichtig. Dies steht in Übereinstimmung mit der Annahme einer eigenständigen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Körperschaft (vgl. Rz. 10ff.).

 

Rz. 42

Terminologisch handelt es sich um eine wirtschaftliche Doppelbelastung, bei der das gleiche wirtschaftliche Steuersubstrat zweimal besteuert wird, aber bei verschiedenen Steuersubjekten.[1] Es handelt sich nicht um eine rechtliche Doppelbesteuerung, bei der der gleiche Steuerpflichtige für das gleiche Steuersubstrat doppelt zur Besteuerung herangezogen werden müsste.

 

Rz. 43

Schüttet eine Kapitalgesellschaft ihren Gewinn ganz oder teilweise an ihre Anteilseigner aus, so wird dieser Gewinn aufgrund dieser Prinzipien – wirtschaftlich gesehen – i. d. R. zweimal einer Steuer vom Einkommen unterworfen: beim Unternehmen der KSt und beim Anteilseigner, sofern dieser eine natürliche Person ist, der ESt. Ist der Anteilseigner ebenfalls eine Körperschaft, unterliegt die Ausschüttung bei ihm grundsätzlich der KSt, es greift jedoch die Steuerfreistellung nach § 8b Abs. 1 KStG ein (Rz. 74, Rz. 102).

 

Rz. 44

Betriebliche Gewinne werden hiernach unterschiedlich besteuert. Während der Gewinn eines Einzelunternehmens und Gewinnanteile aus der Beteiligung an einer Personengesellschaft ebenso nur einmal mit ESt belastet wurden wie andere Einkommensbestandteile natürlicher Personen, z. B. Einkünfte aus der Vermietung und Verpachtung von Grundbesitz oder aus der Kapitalanlage in Form von Hypotheken, Grundschulden, Anleihen, Einlagen oder Guthaben bei Kreditinstituten, unterliegen Gewinne aus der Beteiligung an Körperschaften grundsätzlich einer doppelten Belastung. Diese Doppelbelastung bildet das entscheidende Kennzeichen der klassischen Körperschaftsteuersysteme. Zwar kann die Wirkung der Doppelbelastung auf verschiedene Weise gemindert werden (vgl. Rz. 67ff.), doch lässt dies die grundsätzliche Doppelbelastung, nämlich die Steuerbarkeit sowohl bei der Körperschaft als auch bei dem Anteilseigner, bestehen.

[1] Näher zur Berechtigung dieser Prämisse Desens, in H/H/R, EStG/KStG, Einf. KStG, Rz. 33f.

2.2 Gründe für die Doppelbelastung

 

Rz. 45

Die Doppelbelastung der ausgeschütteten Gewinne der Körperschaft beruht auf dem juristischen Trennungsprinzip, wonach die Körperschaft ein vom Anteilseigner getrenntes Steuerrechtssubjekt ist. Jedes der beiden selbstständigen Steuerrechtssubjekte hat grundsätzlich eine eigenständige wirtschaftliche Sphäre, aus der die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit fließt. Diese wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des einen Steuerrechtssubjekts ist grundsätzlich unabhängig von der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des anderen Steuerrechtssubjekts. Daraus folgt, dass allein deshalb, weil die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des einen Steuersubjekts zur Besteuerung herangezogen wird, nicht notwendig die steuerliche Belastung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des anderen Steuerrechtssubjekts niedriger ausfallen muss. Rechtlich ist die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit jedes Steuerrechtssubjekts für sich zu sehen.

 

Rz. 46

Diese juristische Sicht wird auf das Prinzip der Einheit der Rechtsordnung gestützt, wonach das Steuerrecht an das Zivilrecht anknüpfen soll. Auch das BVerfG hat in seinem Urteil v. 24.1.1962[1] die KSt als "notwendige Konsequenz aus der Verselbstständigung der juristischen Person" bezeichnet, "deren nicht ausgeschüttete Gewinne sonst überhaupt steuerfrei bleiben würden". Die unmittelbare Erfassung dieser Gewinne bei den Anteilseignern würde einen Durchgriff durch die juristische Person und damit einen Eingriff in ein grundlegendes Prinzip unserer Rechtsordnung darstellen. Ein solcher Eingriff ist nach Auffassung des BVerfG nur im engsten Rahmen und aus dringlichsten Gründen zulässig.

 

Rz. 47

Betriebswirtschaftlich und finanzwissenschaftlich ergibt sich jedoch ein anderes Bild. Wird nicht auf die Steuerrechtssubjekte abgestellt, sondern die insgesamt vorhandene wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, führt die körperschaftsteuerliche Doppelbelastun...

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