Rz. 6

[Autor/Stand] Um die Reichweite möglicher Abweichungen der Länder bei der Grundsteuer abschätzen zu können, ist an dieser Stelle ein kurzer Blick auf die verfassungsrechtlichen Grundlagen erforderlich (eingehend dazu VerfR GrStG Rz. 6 ff.), zumal insoweit partiell Dissens besteht.[2] Nur im Verfassungsvergleich vor und nach der Grundgesetz-Änderung vom 15.11.2019 "überträgt der Bund" durch Art. 72 Abs. 3 GG "einzelne Regelungsbefugnisse aus dem eigenen Zuständigkeitskreis".[3] Da nach dem Grundgesetz grundsätzlich den Ländern die Kompetenz zusteht (Art. 30, 70 GG) gewinnen diese dagegen nur die ihnen originär zustehende Gesetzgebungshoheit wieder zurück. Das ist keine "Übertragung von Bundes Gnaden", sondern systematisch nur eine Rückübertragung. Die Abweichungsgesetzgebung vermittelt eine "doppelte Vollkompetenz"[4] zur Gesetzgebung, wobei die letzte Regelung nach Art. 72 Abs. 3 Satz 3 GG den verfassungsrechtlich angeordneten Anwendungsvorrang genießt.[5] Darum macht der Bundesgesetzgeber bei der Grundsteuer nicht "nur partiell von seiner Gesetzgebungsbefugnis Gebrauch"[6], sondern umfassend. Er trifft eine Vollregelung des Grundsteuer- und Bewertungsrechts. Neben dem Bund steht aber dem Landesgesetzgeber parallel die Vollkompetenz zur Gesetzgebung für die Grundsteuer zu (s. VerfR GrStG Rz. 6).[7] Dabei kommt den Ländern durch die Abweichungsgesetzgebung politische Gestaltungsmacht zu.[8] Die Abweichungsbefugnis des Landesgesetzgebers ist inhaltlich nicht beschränkt.[9] Außerhalb der in Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, 2 und 5 GG benannten abweichungsfesten Kerne,[10] die Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 GG für die Grundsteuer nicht enthält,[11] steht die inhaltliche Abweichung im Ermessen[12] bzw. "im Belieben des Landesgesetzgebers".[13]

 

Rz. 7

[Autor/Stand] Trotz der Bedeutung der Grundsteuer und des (in Art. 106 Abs. 2 Satz 2 GG) verfassungskräftig garantierten Hebesatzrechts der Gemeinden besteht keine institutionelle Garantie der Grundsteuer.[15] Die Verfassung schafft mit der Ertragshoheit der Gemeinden (s. Rz. 5) ein Steuererhebungsrecht, aber keine Pflicht dazu.[16] Darum könnte ein Land auch ein "Radikalmodell" verfolgen und ganz auf die Grundsteuer verzichten. Schon wegen der Bedeutung der Grundsteuer für die Kommunalfinanzen (s. Einf. GrStG Rz. 30 f.) gilt sie aber als gewachsene und unverzichtbare Finanzierungsquelle für die Kommunen.[17] Sie wird bundesweit erhoben und kein deutsches Land verfolgt diesen theoretischen Ansatz. Gleichwohl verdeutlicht er die Weite des politischen Gestaltungsspielraums des Abweichungsgesetzgebers.

 

Rz. 8

[Autor/Stand] Ein abweichender Landesgesetzgeber ist nach Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG nicht auf die Wahrung der Grundkonzeption[19] oder der Grundsätze des von der Abweichung betroffenen Bundesgesetzes verpflichtet.[20] Die "systematische Konzeption der Abweichungsgesetzgebung schließt es aus, die abweichende landesgesetzliche Regelung an der überlagerten bundesgesetzlichen Regelung oder an systematisch damit nicht zusammenhängenden Regelungen des bundesrechtlichen Fachrechts zu messen, zu dem die überlagerte Vorschrift gehört".[21] Auch das BVerwG bestätigt die Möglichkeit des vollständig verdrängenden Landesabweichungsgesetzes.[22] Darum haben die Länder bei der Grundsteuer das Recht zur unkonditionierten konkurrierenden und abweichungsoffenen Gesetzgebung.[23] Die in Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG aufgeführten Kompetenztitel stellen deshalb echte konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeiten dar, weil Bund und Länder auf diesen Gebieten im Wortsinne miteinander im Wettbewerb stehen.[24] Das Bundes-Grundsteuergesetz ist verfassungsrechtlich kein Maßstab für den abweichenden Landesgesetzgeber. Abweichungen bedürfen verfassungsrechtlich keiner Rechtfertigung, sondern nur der landespolitischen Mehrheit. Die Bundesregelung ist nur ein "gesetzgeberisches Angebot", welches die Länder annehmen, aber auch ganz oder teilweise ausschlagen können.[25] Auf dem Gebiete des Grundsteuerrechts können die Länder etwaiges Bundesrecht "nach Gutdünken" durch eigenes im Wege des Anwendungsvorrangs verdrängen.[26] Nicht nur die Ziele, sondern auch der Umfang der Abweichungsgesetzgebung liegt in der Hand des Landesgesetzgebers. Ihm sind dabei ebenso grundsatz- wie detailbezogene und zudem materiell-rechtliche wie verfahrensrechtliche Abweichungen möglich, deren Inhalt er so ausformen kann, wie er dies nach seinem politischen Ermessen für sachgerecht erachtet.[27] Das gilt auch für den Belastungsgrund der Grundsteuer (s. Rz. 21).

 

Rz. 9

[Autor/Stand] Die verfassungsrechtliche Eröffnung der Abweichungsgesetzgebung hat einen föderalen Konzeptwettbewerb entfacht.[29] Ausdruck dessen sind die vom Bundesrecht abweichenden Bodenwert-, Flächen- und Flächen-Lage-Modelle (s. Rz. 1, 24). Kompetenzrechtlich verträgt der durch Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG eröffnete föderale Gesetzgebungswettbewerb keine Eingrenzung auf ein bestimmtes Grundsteuermodell (zum Belastungsgrund s. Rz. 21). Die Kompetenzregelung entbindet den Lan...

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