I. Abweichungsbefugnis für das Grundsteuerverfahren

 

Rz. 27

[Autor/Stand] Die Abweichungsbefugnis des Landesgesetzgebers erstreckt sich auch auf das Grundsteuerverfahrensrecht (s. auch zum Folgenden VerfR GrStG Rz. 13 m.w.N.). Grundlegende Abweichungen zeigt allein das hessische Landesrecht, das bei der Grundsteuer künftig statt der dreistufigen Festsetzung mit Grundstückswert, Grundsteuermessbescheid und Grundsteuerbescheid (s. Rz. 32) mit einem zweistufigen Verfahren auskommt (s. Rz. 33). Das Verfahrensrecht spiegelt auch materielle Abweichungsentscheidungen: So verzichten Bayern, Hamburg und Niedersachsen in ihren grundsätzlich wertunabhängigen Grundsteuermodellen wegen der im Zeitablauf konstanten Bemessungsgrundlagen vollständig auf eine turnusmäßige Feststellung der Grundsteuerwerte bzw. Äquivalenzbeträge.[2] Auch Abweichungen von der Abgabenordnung sind landesgesetzlich bei der Grundsteuer zulässig. Denn der Bund, der nach Art. 108 Abs. 5 Satz 2, 3 GG mit Zustimmung des Bundesrates das von den Landesfinanzbehörden und den Kommunalbehörden bei der Erhebung landesgesetzlich oder kommunalrechtlich normierter Steuern anzuwendende Verfahren regeln könnte, hat diese Gesetzgebungszuständigkeit nicht vollständig ausgeschöpft. § 1 Abs. 1 AO beschränkt den Geltungsbereich auf bundesgesetzlich (oder unionsrechtlich) geregelte Steuern, so dass in den unmittelbaren Anwendungsbereich der AO nicht die landesgesetzlich geregelten Steuern fallen.[3] Die Abgabenordnung ist nach § 1 Abs. 1 nur anwendbar, sobald und solange der Bundesgesetzgeber eine Steuer geregelt hat.[4] Entscheidend ist nicht die abstrakte Kompetenz, sondern ihre tatsächliche Wahrnehmung.[5] Wenn und soweit der Landesgesetzgeber bei der Grundsteuer in zulässiger Weise von der Abweichungsgesetzgebung des Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 GG Gebrauch macht, entfällt die Anwendbarkeit der Abgabenordnung. Der abweichende Landesgesetzgeber muss – weil die Abgabenordnung nach § 1 Abs. 1 AO mangels bundesgesetzlicher Regelung nicht mehr gilt – durch eigene Regelungen oder (Teil-)Verweise auf die Abgabenordnung das Verfahrensrecht für die Grundsteuer regeln (s. VerfR GrStG Rz. 14).

[Autor/Stand] Autor: Drüen, Stand: 01.11.2022
[2] Bräutigam/Weber, DStR 2022, 337 (341).
[3] Näher zur Anwendbarkeit der AO bei der Grundsteuer Krumm in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 1 AO Rz. 17a.
[4] Musil in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 1 AO Rz. 24; Bock/Lapp, in Grootens, GrStG2, § 12 NGrStG Rz. 36.
[5] Ebenso Krumm/Paeßens, GrStG, § 2 BWGrStG Rz. 3.

II. Anwendbarkeit der Abgabenordnung in den abweichenden Ländern

 

Rz. 28

[Autor/Stand] Die Mehrzahl der abweichenden Länder sieht verfahrensrechtlich keine Abweichungen gegenüber dem Bundesrecht vor. Das gilt namentlich für Sachen (s § 15 Abs. 1 LGrStG Sachsen, LGrStG Sachsen Rz. 71 f) und das Saarland (LGrStG Saarland Rz. 72 ff.). Für sie gilt angesichts nur punktueller Abweichungen bei den Steuermesszahlen (s. Rz. 25) die Abgabenordnung nach § 1 Abs. 1 AO unmittelbar und als Bundesrecht.[2]

 

Rz. 29

[Autor/Stand] In den anderen abweichenden Ländern ist dagegen nach Geltungsgrund und Reichweite der Geltung der Abgabenordnung zu unterscheiden: Baden-Württemberg hat als einziges Land eine Vollregelung des Grundsteuerrechts getroffen (s. Rz. 15), verweist aber für die Tätigkeiten der Landesfinanzbehörden dynamisch[4] weitgehend auf die AO und das FVG, die nach § 2 Abs. 1 Satz 1 LGrStG BW für entsprechend anwendbar erklärt werden. Nicht erfasst von der Verweisung ist das Grundsteuer-Strafverfahren (§§ 369 ff. AO).[5] Die anwendbaren Vorschriften der Abgabenordnung werden zu Landesrecht.[6] § 2 Abs. 1 Satz 2 LGrStG BW erklärt § 1 Abs. 2 und 3 AO bei der Verwaltung der Grundsteuer durch die Gemeinden für entsprechend anwendbar.[7] Vollstreckung und außergerichtlicher Rechtsschutz richten sich indes nach dem LandesVwVfG und der VwGO mit dem Landes-Anwendungsgesetz.[8]

 

Rz. 30

[Autor/Stand] In Bayern erklärt Art. 10 Abs. 2 Satz 1 LGrStG Bayern die Vorschriften der Abgabenordnung für entsprechend anwendbar, soweit im LGrStG nichts anderes bestimmt ist. Daneben verweist Art. 6 Abs. 5 LGrStG Bayern für Anzeige- und Steuererklärungspflichten speziell auf die §§ 149 f. AO und Art. 6 Abs. 1 Satz 3 LGrStG Bayern schließt bei der Ermittlung der Äquivalenzbeträge gezielt § 163 AO aus (ebenso § 6 Abs. 1 Satz 3 LGrStG Hamb.). Diese Regelungen sind konstitutive und nicht nur deklaratorische (offenlassend mangels praktischer Bedeutung aber LGrStG Hessen Rz. 136) Abweichungsgesetzgebung (s. VerfR GrStG Rz. 14), die die Vorschriften der Abgabenordnung ins Landesrecht transformieren.[10] Dasselbe gilt für Hamburg (§ 11 Abs. 2 Satz 1 LGrStG Hamb.)[11], Hessen (§ 2 Abs. 5 Nr. 1 LGrStG Hessen; näher mit Einzelübersicht der anzuwendenden Vorschriften LGrStG Hessen Rz. 135 ff.)[12] und Niedersachen (§ 12 Abs. 2 Satz 1 NGrStG).[13] In Bayern und Niedersachen schließt der Verweis die Anwendbarkeit der AO für die Verwaltung der Grundsteuer durch die Gemeinden über § 1 Abs. 2 AO ein.[14] In Hessen gilt § 1 Abs. 2 AO mangels einer dezidierten Regelung der Verwaltungstätigkeit der Gemeinden dagegen un...

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