Rz. 48

[Autor/Stand] Aufzeichnungs- und Dokumentationspflichten im Allgemeinen. Eng verbunden mit der Problematik der Korrektur von Verrechnungspreisen sind die Aufzeichnungs- und Dokumentationspflichten.[2] Aus unionsrechtlicher Perspektive kommt dieser Thematik jedenfalls dann eine besondere Bedeutung zu, wenn in Bezug auf den grenzüberschreitenden Sachverhalt höhere Hürden als im Rahmen eines vergleichbaren inländischen Sachverhalts zu nehmen sind. Der EuGH wurde mit dieser Frage in der Rechtssache Futura konfrontiert und hatte darüber zu befinden, inwieweit der Betriebsstättenstaat verlangen kann, dass neben der – die Geschäftsvorfälle der Betriebsstätte erfassenden – Buchführung des ausländischen Stammhauses eine separate Buchführung für die inländische Betriebsstätte vorzunehmen ist, wie es etwa vom deutschen Recht unter bestimmten Voraussetzungen eingefordert wird. Unabhängig von der Frage, inwieweit diese Aufzeichnungen sogar im Inland zu führen und aufzubewahren sind, erblickte der Gerichtshof bereits in dem Erfordernis einer zusätzlichen Buchführung eine Beschränkung der Grundfreiheiten. Mit Blick auf seine Entscheidung in der Rechtssache Cassis de Dijon gab er aber zugleich zu bedenken, dass eine solche Pflicht aus Gründen der Steueraufsicht gerechtfertigt sein kann.[3] Insbesondere gab der EuGH der luxemburgischen Regierung zu, dass sie ein legitimes Interesse daran habe, die von der luxemburgischen Zweigniederlassung begründeten Geschäftsvorfälle belegt zu sehen. Mithin spricht einiges dafür, dass ein ausländischer Akteur denjenigen Nachteil hinzunehmen hat, dem er sich mit einer zusätzlichen Buchführungspflicht als Standortbedingung bewusst ausgesetzt hat, sofern diese Pflicht – wie nach deutschem Recht – konsequent praktiziert wird.[4] Die Finanzverwaltung hat jedoch dem oben geschilderten Verhältnismäßigkeitsgedanken im Rahmen der Beurteilung der unter § 90 Abs. 3 AO zu erstellenden Unterlagen und Dokumentationen Rechnung zu tragen.

 

Rz. 48.1

[Autor/Stand] Besondere Dokumentations- und Mitwirkungspflichten gem. § 90 Abs. 3 AO. Ein aus unionsrechtlicher Perspektive weitaus stärkeres Störgefühl ruft hingegen § 90 Abs. 3 AO mit seinen dezidierten Dokumentationspflichten sowie den drastischen Rechtsfolgen des § 162 Abs. 3, 4 und 4a AO hervor.[6] Dafür spricht auch, dass sich aus den gem. § 90 Abs. 2 AO beizubringenden Unterlagen zwar nicht alle notwendigen, aber doch vergleichsweise aussagekräftige Daten entnehmen lassen werden, die im Rahmen einer Betriebsprüfung einen zumindest annähernden Fremdvergleich ermöglichen.[7] Anders liegen die Dinge nur, wenn der Steuerpflichtige sämtliche diesbezüglichen Unterlagen bewusst vernichtet oder erst gar nicht führt.[8] Aber dann dürfte er bereits seine Pflichten aus § 90 Abs. 2 AO verletzt haben und den Fiskus zur Schätzung berechtigen. Der BFH ist diesen Argumenten indessen nicht gefolgt und vertritt die Auffassung, dass die von § 90 Abs. 3 AO unstreitig ausgehende Beschränkung der unionsrechtlichen Grundfreiheiten aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt sei.[9] Nach Auffassung des BFH rechtfertigt es der vom EuGH als Rechtfertigungsgrund anerkannte Grundsatz einer wirksamen Steueraufsicht, dem Steuerpflichtigen besondere Mitwirkungspflichten abzuverlangen, die über das inländische Maß hinausgehen. Nach seinem eigenen Verständnis bewegt sich das Gericht hier auf der Linie der bisherigen EuGH-Rechtsprechung.[10] Ferner gehen die in § 90 Abs. 3 AO normierten besonderen Mitwirkungspflichten nicht über das zur Zielerreichung erforderliche Maß hinaus, weil – so der BFH – die "Ermittlung des Fremdvergleichspreises allein durch die Finanzverwaltung nicht in gleich effektiver Weise möglich [ist]. Die zur Vornahme eines Fremdvergleichs erforderlichen Informationen stammen vornehmlich aus der Sphäre des Steuerpflichtigen, der deshalb besser als die Finanzverwaltung in der Lage ist, die notwendigen Informationen zu dokumentieren." Dem soll auch die im Grundsatz aufseiten der Finanzbehörden bestehende Möglichkeit, die notwendigen Informationen im Wege eines EU-Amtshilfeersuchens zu beschaffen, nicht entgegenstehen. Der BFH beruft sich an dieser Stelle auf den vom EuGH aufgestellten Grundsatz, wonach die Instrumente der EU-Amtshilfe auf der einen sowie die steuerlichen Mitwirkungspflichten auf der anderen Seite als unabhängig nebeneinanderstehend anzusehen sind.[11] Die besonderen Dokumentations- und Mitwirkungspflichten gem. § 90 Abs. 3 AO verletzen vor diesem Hintergrund nicht die einschlägigen Grundfreiheiten. Auch die zum Teil überzogenen Regelungen in den VWG 2020[12] stehen dem nicht entgegen. Denn diese binden lediglich die Verwaltung und können damit keine gesetzliche Regelung unterlaufen. Sollte die Finanzverwaltung allerdings überzogene Anforderungen stellen, kann sich der Steuerpflichtige gegen entsprechende Bescheide zur Wehr setzen. Diese überzogenen Anforderungen können sich unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten auch dann ergeben...

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