Rz. 59

[Autor/Stand] Bestimmtheitsgrundsatz. Vor dem Hintergrund der zahlreichen Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe, insbesondere aber des praktisch schwer zu handhabenden Principal Purpose Tests des Satzes 2 Alt. 1 des § 50d Abs. 3 EStG ("einer der Hauptzwecke", vgl. zur Verdeutlichung Rz. 504 ff., zum Hauptzweck-Kriterium Rz. 546 ff.), lässt sich die Frage aufwerfen, ob § 50d Abs. 3 EStG noch den verfassungsrechtlichen Anforderungen an Rechtssicherheit, insbesondere hinreichender Bestimmtheit gesetzlicher Normen gerecht wird. Nach dem Bestimmtheitsgrundsatz müssen die Folgen einer Rechtsnorm für den Normadressaten so vorhersehbar und berechenbar sein, dass er sein Verhalten danach ausrichten kann, dass der Verwaltung angemessen klare Handlungsmaßstäbe vorgeben werden und dass eine hinreichende gerichtliche Kontrolle möglich ist.[2] Das mag man bezweifeln, wenn man sich mit der praktischen Anwendung des § 50d Abs. 3 EStG, insbesondere mit der Anwendung des Principal Purpose Tests, einmal näher beschäftigt. Doch schließt der Bestimmtheitsgrundsatz nicht aus, dass der Gesetzgeber (insbesondere im Steuerrecht) unbestimmte Rechtsbegriffe verwendet, solange deren Auslegung unter Nutzung der juristischen Methodik zu bewältigen ist und die im konkreten Anwendungsfall verbleibenden Ungewissheiten nicht so weit gehen, dass Vorhersehbarkeit und Justiziabilität des Verwaltungshandelns gefährdet sind.[3] Die Konkretisierung durch Auslegung erfolgt dann durch die Rechtsprechung. Die Anforderungen des Bestimmtheitsgebots sind auch im Rahmen verfassungskonformer Auslegung in der Weise zu berücksichtigen, dass bei Tatbeständen, die auf der Grenze zur Unbestimmtheit liegen, im Wege restriktiver Auslegung ein Verfassungsverstoß vermieden werden muss.[4] Das ist auch bei § 50d Abs. 3 EStG zu berücksichtigen: Um § 50d Abs. 3 EStG aufgrund der Uferlosigkeit (einzelner) seiner Tatbestandsmerkmale nicht in die Verfassungswidrigkeit gleiten zu lassen, muss er (jedenfalls) verfassungskonform restriktiv ausgelegt werden, nämlich am Maßstab seines Missbrauchszwecks.

 

Rz. 60

[Autor/Stand] Vertrauensschutz. Auf diesen kann sich der Steuerpflichtige nicht berufen, wenn er die Rechtsfolge der begünstigenden Entlastungsnorm in Missbrauchsabsicht, wie sie § 50d Abs. 3 Satz 2 Alt. 1 EStG verlangt, erschleicht.[6] Zudem ist § 50d Abs. 3 EStG geschriebenes Recht und daher ebenso (negative) Vertrauensgrundlage wie die von ihm erfasste begünstigende Norm.

[Autor/Stand] Autor: Schönfeld/Erdem, Stand: 01.03.2022
[2] Grzeszick in Dürig/Herzog/Scholz, Art. 20 GG Rz. 58 m.w.N. aus der BVerfG-Rechtsprechung.
[4] Vgl. zu § 42 AO Fischer in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 42 AO Rz. 46 (Stand: Oktober 2010) strikte methodische Kontrolle; Drüen, Ubg 2008, 31 (38).
[Autor/Stand] Autor: Schönfeld/Erdem, Stand: 01.03.2022
[6] Drüen in Tipke/Kruse, § 42 AO Rz. 18 (Stand: Juli 2016); Schön, DStJG 33 (2010), 60 f.

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