Rz. 227

[Autor/Stand] Ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter als Sorgfaltsmaßstab. Beim Kriterium des ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters handelt es sich um ein Kriterium des deutschen Handelsrechts, das die BFH-Rspr. in das Steuerrecht übernommen hat und das in § 1 Abs. 1 Satz 3 AStG seine gesetzliche Grundlage hat. Hiernach ist bei der Anwendung des Fremdvergleichs davon auszugehen, "dass die voneinander unabhängigen Dritten [...] nach den Grundsätzen ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter handeln." Es dient den VWG VP 2023[2], den VWG-Arbeitnehmerentsendung[3], den VWG-Funktionsverlagerung[4], den VWG-BsGa[5] und den VWG 2020[6] als zentrales Angemessenheitskriterium. Wassermeyer betont, dass es sich bei dem Maßstab des ordentlichen Geschäftsführers um eine "Erfindung Döllerers" handele, der den Maßstab aus den §§ 93 Abs. 1 Satz 1 AktG, 43 Abs. 1 GmbHG abgeleitet habe, obwohl beide Vorschriften mit einer vGA im steuerlichen Sinne nichts zu tun hätten. Genau genommen sei dieser Maßstab ohne jede Rechtsgrundlage.[7] Dennoch erwächst die besondere Relevanz dieser Rechtsfigur als Objektivitätskriterium des deutschen Steuerrechts aus ihrer zentralen Stellung innerhalb der beiden dominanten Abgrenzungsregelungen, der vGA und der verdeckten Einlage, und schließlich auch in § 1 Abs. 1 Satz 3.

 

Rz. 228

[Autor/Stand] Bezüge in den OECD-Leitlinien. Geht man davon aus, dass man mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsleiters nicht über einen punktmäßig vorgegebenen Maßstab verfügt, sondern dass dem Geschäftsleiter unter Berücksichtigung seiner unternehmerischen Zielfunktion ein gewisser Spielraum kaufmännischen Ermessens eingeräumt werden muss, der sich im Einzelfall aus Art, Funktion, Marktsituation und Größe der betreffenden Unternehmen ergibt,[9] so muss man konzedieren, dass dieser Maßstab für viele Situationen der internationalen Einkünfteabgrenzung ein geeignetes Abgrenzungskriterium darstellt. Auch die OECD-Leitlinien haben die besondere Eignung des Maßstabs erkannt, indem sie in Kap. V zur Nachweisführung bei Verrechnungspreisprüfungen von "den Grundsätzen einer gewissenhaften Geschäftsleitung" bzw. "des gewissenhaften Geschäftsleiters" sprechen.[10] Die OECD-Leitlinien beziehen sich ferner im Zusammenhang mit Restrukturierungen und dem Ausnahmecharakter von Umdeutungen der konkreten Verbunddisposition auf die "kaufmännische Sinnhaftigkeit" ("commercially rational manner") bzw. "vernünftige geschäftliche Gründe" ("sound business reasons") der Verbundorganisation.[11] Im Hinblick auf die Anerkennung der vollständig umschriebenen Geschäftsbeziehungen nehmen die OECD-Leitlinien ebenso auf die kaufmännische Sinnhaftigkeit” ("commercially rational manner") bzw. auf "kaufmännisch vernünftig" ("commercially rational") Bezug.[12] Inhaltlich sollte diese Abgrenzung dem Sorgfaltsmaßstab eines ordentlichen Geschäftsleiters entsprechen.

 

Rz. 229

[Autor/Stand] Notwendigkeit der inhaltlichen Konkretisierung. Eine "Internationalisierung" der Rechtsfigur des ordentlichen Geschäftsleiters wird allgemein begrüßt und als "Retter" des Arm’s-Length-Tests in solchen konzernspezifischen Situationen angesehen, "bei denen mangels vergleichbarer unbeeinflusster Transaktionen nur noch ein hypothetischer Fremdvergleich möglich ist".[14] Die erweiterte Verwendungsmöglichkeit des ordentlichen Geschäftsleiters zur Konkretisierung des Fremdvergleichs resultiert aus der Flexibilität seines Angemessenheitskriteriums, welches allerdings für die praktische Anwendung einer zusätzlichen Präzisierung bedarf. Hierbei ergibt sich das zentrale Problem der Entwicklung sachgerechter Kriterien zur Bestimmung der Interventionspunkte bzw. Toleranzgrenzen von Entscheidungsspielräumen, innerhalb derer die Entscheidungen als – aus steuerlicher Sicht – akzeptabel anzusehen sind.

 

Rz. 230

[Autor/Stand] Entscheidungen über absatz- und beschaffungswirtschaftliche Preisgrenzen. Geht man von der Überlegung aus, dass es grundsätzlich dem rationalen Verhalten eines ordentlichen Geschäftsleiters widerspricht, Entgelte zu akzeptieren, die entweder zu einem völlig oder teilweise unentgeltlichen Liefer- oder Leistungstransfer führen oder über den Aufwand hinausgehen, der entstünde, wenn bestimmte Leistungen durch den eigenen Betrieb oder fremde Dritte erbracht werden würden, so erhält das Problem der Begrenzung von Entscheidungsspielräumen eher eine ökonomische als eine rechtliche Dimension. Dieser Umstand macht die einem betriebswirtschaftlichen Kalkül unterziehbare Entscheidungssituation deutlich, die durch Entscheidungen über absatz- und beschaffungswirtschaftliche Preisgrenzen gekennzeichnet ist. Diese Preisgrenzen determinieren das Ausmaß von Ermessensspielräumen. Der Gesetzgeber hat diese Überlegung in § 1 Abs. 3 Satz 7 und § 1 Abs. 3a Sätze 5 und 6 konsequent mit der Einigungsbereichsbetrachtung umgesetzt, wobei er vom "Mindestpreis des Leistenden" und vom "Höchstpreis des Leistungsempfängers" spricht.

 

Rz. 231

[Autor/Stand] Ausrichtun...

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