Nach Ansicht des BFH war die auf den Einsatz der Steuerfahndung zur Durchführung einer Wohnungsbesichtigung gerichtete Ermessensentscheidung des Finanzamts unverhältnismäßig[10]. Zwar kann es sich nach §§ 92 S. 2 Nr. 4, 99 AO auch einer Wohnungsbesichtigung bedienen. Die Ausübung pflichtgemäßen Ermessens nach § 92 S. 1 i.V.m. § 5 AO verwehrt ihr dies im entschiedenen Fall jedoch.

Keine hinreichende Grundrechtsabwägung: Wenngleich eine Geeignetheit zur Feststellung des Umstandes, ob ein steuerlich berücksichtigungsfähiges häusliches Arbeitszimmer eingerichtet ist, anzunehmen ist, war die Maßnahme zu diesem Zweck nicht erforderlich, weil – angesichts des erheblichen Einschnitts in das Grundrecht aus Art. 13 Abs. 1 GG – mildere Mittel zur Verfügung standen.

Das Finanzamt hätte Unklarheiten etwa durch Rückfrage oder Auskunftsersuchen nach § 93 AO bei der Steuerpflichtigen oder ihrem Steuerberater aufklären können. Entsprechend moniert der BFH, dass die Tragweite des Grundrechtsschutzes der Unverletzlichkeit der Wohnung und ein davon umfasstes "Recht, in Ruhe gelassen zu werden," verkannt wurde.

Keine Anhörung: Unterblieben ist ferner ein rechtliches Gehör, das der BFH im Zusammenhang mit der nach § 99 Abs. 1 S. 2 AO erforderlichen Benachrichtigung über eine Wohnungsbesichtigung thematisiert. Hier hebt der BFH hervor, dass die Benachrichtigung und eine damit verbundene Anhörung den Regelfall (Soll-Vorschrift[11]) darstellt, von dem nur ausnahmweise abgewichen werden darf, wenn anderenfalls der Zweck der Maßnahme gefährdet oder vereitelt würde.[12] Als Beispiel hierzu nennt er die Veränderung oder das Wegschaffen des Besichtigungsobjekts. Ein solcher atypischer Fall wurde hier aber von der Finanzverwaltung nicht dargelegt. Es verbiete sich ferner die pauschale Annahme, ein Steuerpflichtiger würde bei Eingang einer Benachrichtigung das geltend gemachte Arbeitszimmer erst noch einrichten.[13]

Einsatz der Steuerfahndung: Als weiteren Aspekt der Unverhältnismäßigkeit führt der BFH schließlich den Einsatz eines Beamten der Steuerfahndung an. Selbst wenn er auf seine bloße Tätigkeit zur Ermittlung von Besteuerungsgrundlagen hinweist, stellt sein Einsatz eine übermäßige Belastung des Steuerpflichtigen dar, weil dieser dem Besichtigungsanliegen aus Sorge vor Repression eher nachgeben dürfte und zudem durch den Eindruck strafrechtlicher Ermittlungen in seinem Ansehen geschädigt werden könnte.[14]

[10] Bereits in seinem Urt. v. 4.12.2012 – VIII R 5/10, BFHE 239, 19 = BStBl. II 2014, 220 setzt sich der BFH für einen restriktiven Umgang mit dem Flankenschutz aus Gründen der Verhältnismäßigkeit ein. Anders sah der BFH den Einsatz der Steuerfahndung im Rahmen einer Außenprüfung in seinem Urt. v. 11.12.1991 – I R 66/90, BFHE 166, 490 = BStBl. II 1992, 595.
[11] Mit Sollvorschriften drückt der Gesetzgeber aus, dass die Behörde im Regelfall an die im Gesetz bestimmte Rechtsfolge gebunden ist. In atypischen Fällen soll ihr aber ein Ermessensspielraum zur Abweichung zustehen, vgl. BVerwG, Urt. v. 15.12.1989 – 7 C 35/87, BVerwGE 84, 220.
[12] Vgl. z.B. Kobor in BeckOK/AO, 24. Ed. 11.4.2023, AO § 99 Rz. 11; Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 99 AO Rz. 12 (175. Lfg Mai/2023); FG Nds., Urt. v. 9.3.1993 – VII 314/90, EFG 1994, 182.
[13] Roth, StBW 2013, 320 (321) weist indes darauf hin, dass in der Praxis gerade bei Arbeitszimmern regelmäßig dieses Risiko angenommen werde. Gerade dieses Risiko ist Gegenstand der Ziff. 3.4. der Verwaltungsanweisung des FinMin. NW v. 1.11.2003 – S 0242, FMNR329400003, juris.
[14] In seinem Urt. v. 11.12.1991 – I R 66/90, DStR 1992, 910 hatte der BFH indes keine Einwände gegen den Erlass einer Prüfungsanordnung durch eine vom Wohnsitzfinanzamt ersuchte Steuerfahndung. Auf dieser Basis meint Rüsken in Klein, AO, 16. Aufl. 2022, § 208 Rz. 50 f., dass der Indienstnahme der Fahndungsdienste das rechtsstaatliche Übermaßverbot schwerlich entgegenstehe, weil die Steuerfahndung nur das tue, was im Übrigen das zuständige Finanzamt zu tun hätte. Eine Abwägung mit dem Interesse, Ermittlungen der Steuerfahndungen nicht ausgesetzt zu sein, sollen hiernach nicht berücksichtigungsbedürftig sein. Dem trat der BFH mit seiner hier besprochenen Entscheidung vehement entgegen.

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Steuer Office Excellence. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge