Rz. 15

Gesetzessystematisch besteht kein Gegensatz zwischen dem Stichtagsprinzip und dem für das ErbStG zentralen Bereicherungsprinzip. Zwar wird das Stichtagsprinzip gelegentlich als ein zentrales Grundprinzip des ErbStG angesehen, das jedoch bei bestimmten Voraussetzungen – insbesondere bei verzögerter Verfügbarkeit über das durch Erbfall bzw. Schenkung zugefallene Vermögen[1] – hinter dem Bereicherungsprinzip zurücktreten müsse[2]; es trifft jedoch weder das eine noch das andere zu. Das Stichtagsprinzip ist kein zentrales, nach Ausgleich mit dem Bereicherungsprinzip verlangendes Prinzip des ErbStG.[3] Vielmehr sind Stichtags- und Bereicherungsprinzip von vornherein einander ergänzende Prinzipien, die nicht in einem Konkurrenz- oder Rangverhältnis stehen.[4] Das Bereicherungsprinzip verlangt, da es regelmäßig auf die Erfassung einmaliger Erwerbe (freigebige Zuwendungen bzw. Erwerbe von Todes wegen) ausgerichtet ist, von vornherein eine zeitpunktbezogene – und "nicht" etwa eine auf eine längere Zeitspanne ausgerichtete zeitraumbezogene – Betrachtung[5]; eine solche wird durch § 11 ErbStG gewährleistet. Nur insoweit schränkt das Stichtagsprinzip das Bereicherungsprinzip ein.[6] Aus diesen rechtlichen Eigenheiten des § 11 ErbStG leitet die BFH-Rspr. ab, dass eine (latente) Einkommensteuerbelastung des auf einen Erben übergehenden Vermögens nicht bereicherungsmindernd zu berücksichtigen ist.[7] Das gilt auch für die Berücksichtigung einer zukünftigen erbschaftsteuerlichen Steuerbelastung bei der künftigen Liquidation einer Kapitalgesellschaft.[8] Im Blick auf ein dadurch bewirktes Belastungsübermaß wird sich hier allerdings besonders dringlich die Frage nach etwa gebotenen Billigkeitsmaßnahmen stellen.[9]

 

Rz. 16–19

einstweilen frei

[1] Dazu Rz. 32 ff.
[2] Kapp, DStR 1985, 174, 175.
[3] Ähnlich Meincke/Hannes/Holtz, ErbStG, 18. Aufl. 2022, § 9 Rz. 4; Gebel, in T/G/J, ErbStG, § 11 Rz. 9; Geck, FR 2007, 631, 632.
[5] Gebel, in T/G/J/G, ErbStG, § 11 Rz. 9; Billig, UVR 2006, 254; Geck, FR 2007, 631/632.
[7] BFH v. 17.2.2010, II R 23/09, BStBl II 2010, 641; Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, BVerfG v. 7.4.2015, 1 BvR 1432/10, ZEV 2015, 426; zur Problematik vgl. Einleitung Rz. 31 ff.
[8] BFH v. 27.9.2017, II R 15/15, BFH/NV 2018, 469, BStBl II 2018, 281; dazu abl. Hübner/Friz/Grünwald, ZEV 2019, 390.
[9] Vgl. Rz. 50 f.

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Steuer Office Excellence. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge