Rz. 32

Konfliktstoff bietet das Stichtagsprinzip besonders dann, wenn nach dem Zeitpunkt der Steuerentstehung infolge verzögerter tatsächlicher Verfügbarkeit des Vermögensgegenstands ein Wertverlust eingetreten ist.

 

Rz. 33

Zu Einschränkungen der tatsächlichen Verfügbarkeit kann es in erster Linie bei Erwerben von Todes wegen kommen.[1] Fällt z. B. die Erbschaft nach Ausschlagung dem Nächstberufenen an, so gilt dieser rückwirkend vom Erbfall an als Erbe.[2] Entsprechende Folgen ergeben sich aus einer Erbunwürdigkeitserklärung.[3] Tatsächliche Hindernisse können der Verfügungsmöglichkeit des Erben über das ihm zugefallene Vermögen auch bei verspäteter Erteilung des Erbscheins (z. B. aufgrund von Erbstreitigkeiten) und häufig auch bei Erwerben von Auslandsvermögen entgegenstehen. Auch bei Anordnung der Testamentsvollstreckung ist die tatsächliche Verfügbarkeit für den Erben wegen der Verwaltungsbefugnis des Testamentsvollstreckers[4] eingeschränkt.[5]

 

Rz. 34

Vor allem beim Erwerb von Wertpapiervermögen oder Fremdwährungsguthaben können sich wegen der sich täglich ändernden Devisen- und Wechselkurse binnen kürzester Frist erhebliche Wertverluste ergeben. In besonders krassen Fällen ist es denkbar, dass z. B. bei einem starken Kurseinbruch bei Wertpapieren oder Währungsparitäten die nach dem Stichtagswert berechnete Steuer den Wert des Vermögens im Zeitpunkt seiner tatsächlichen Verfügbarkeit aufzehrt oder gar überschreitet.

 

Rz. 35

In all diesen Fällen verzögerter Verfügbarkeit des Erworbenen ist der Bewertungsstichtag der Zeitpunkt der Steuerentstehung. Wertverluste nach dem Stichtag, insbesondere solche aufgrund eines nach dem Erbfall eingetretenen Kursverfalls, bleiben grds. unberücksichtigt.[6] Davon geht auch die FinVerw aus. Dies gilt ebenso, in diesem Fall freilich zugunsten des Erwerbers, auch für nach dem Stichtag eintretende Wertsteigerungen.

 

Rz. 36

 
Hinweis

Als geeignete Gestaltungsmaßnahme, um nach einem Erbfall eine zeitnahe Verfügungsmöglichkeit des Erwerbs zu sichern, kann sich eine vom Erblasser zu seinen Lebzeiten erteilte Vollmacht auf den Todesfall (sog. postmortale Vollmacht)[7], ggf. auch die Anordnung der Testamentsvollstreckung oder der Abschluss eines Vertrags zugunsten Dritter erweisen.[8]

Bei Schenkungen unter Lebenden kann nachteiligen schenkungsteuerlichen Folgen durch Vereinbarung eines Rücktritts- oder Widerrufsrechts für den Schenker, das die Anwendung des § 29 Nr. 1 ErbStG ermöglicht, begegnet werden.[9]

[1] Dazu eingehend Klein-Blenkers, DStR 1991, 1549, 1581 ff.
[7] Vgl. dazu Weidlich, in Grüneberg (vormals Palandt), BGB, 81. Aufl. 2022, Einf. vor § 2197 Rz. 9 ff.
[8] Vgl. Kemmerling/Delp, BB 2002, 655.
[9] Vgl. Billig, UVR 2006, 254.

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