Entscheidungsstichwort (Thema)

Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 3 AO - zeitliche Ausdehnung eines Kindergeldantrages (Auslegung)

 

Leitsatz (amtlich)

Es ist nach den Umständen des Einzelfalles durch Auslegung zu ermitteln, ob und in welchem Umfang vom Antragsteller Kindergeld beantragt wird.

Im Interesse des Antragstellers ist ein Kindergeldantrag ohne ausdrückliche zeitliche Beschränkung in der Weise auszulegen, dass damit die maximale Festsetzung von Kindergeld erstrebt wird, insbesondere auch für die Vergangenheit

 

Normenkette

EStG § 62 Abs. 2, § 67 S. 1, § 70 Abs. 1; AO §§ 31, 47, 118, 119 Abs. 2, §§ 169, 171 Abs. 3

 

Tatbestand

Streitig ist, ob Kindergeld für zwei Kinder für den Zeitraum Juni 1996 bis Juni 2000 rechtzeitig gestellt worden ist.

Mit am 28. Juli 2000 bei der Beklagten eingegangenem Antrag beantragte die Klägerin Kindergeld für ihre beiden leiblichen Kinder M (geb. 31.10.1992) und N (geb. 26.06.1994). Dem Antrag beigefügt war die Kopie einer Bescheinigung über die Aufenthaltserlaubnis vom 10. Juli 2000 beigefügt. Ohne Erlass eines schriftlichen Festsetzungsbescheides zahlte die Beklagte Kindergeld für die beiden Kinder ab Juli 2000 in der gesetzlichen Höhe.

Mit Schreiben ihrer Bevollmächtigten vom 10. Januar 2008 beantragte die Klägerin Kindergeld für die beiden Kinder für den Zeitraum Juni 1996 bis Februar 2000 und verwies dazu auf die Rechtsprechung des FG Düsseldorf vom 20. April 2007 (18 K 5530/01 Kg).

Mit Bescheid vom 8. Februar 2008 lehnte die Beklagte den Antrag ab und führte unter Hinweis auf §§ 169, 170 AO zur Begründung aus, dass die Kindergeldansprüche für den Zeitraum vor Januar 2004 verjährt seien.

Der hiergegen form- und fristgerecht eingelegte Einspruch führte nicht zum Erfolg. Mit Einspruchsentscheidung vom 9. Mai 2008 wies die Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück.

Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer am 16. Juni 2008 bei Gericht eingegangenen Klage. Sie trägt zur Begründung im Wesentlichen vor, dass eine Bescheiderteilung (Ablehnung) für den Zeitraum vor Juli 2000 zu keinem Zeitpunkt erfolgt sei, auch nicht konkludent. Über ihren damaligen Kindergeldantrag vom 28. Juli 2000 sei mithin erstmals mit - dem jetzt angefochtenen - Ablehnungsbescheid vom 8. Februar 2008 entschieden worden. Eine Festsetzungsverjährung sei daher nicht eingetreten.

Die Klägerin beantragt,

  • unter Aufhebung des Bescheides vom 8. Februar 2008 und der Einspruchsentscheidung vom 9. Mai 2008 die Beklagte zu verpflichten, Kindergeld für die Kinder M und N für den Zeitraum Juni 1996 bis Juni 2000 festzusetzen.

Die Beklagte beantragt,

  • die Klage abzuweisen.

Die Beklagte tritt der Klage entgegen und führt klageerwidernd unter Hinweis auf die Einspruchsentscheidung aus, dass mit der Auszahlung des Kindergeldes ab Juli 2000 eine formlose Kindergeldfestsetzung stattgefunden habe.

In der mündlichen Verhandlung hat die Beklagte nunmehr mit Hinweis auf zwei Entscheidungen des FG Rheinland-Pfalz (in den Verfahren 4 K 2425/08 und 5 K 1301/08) vorgetragen, die Beklagte habe incidenter ihren Kindergeldantrag vom Juli 2000 zeitlich beschränkt und für den streitbefangenen Zeitraum überhaupt keinen Antrag gestellt.

Mit Beschluss des Senats vom 12. November 2008 ist der Rechtsstreit gemäß § 6 Abs. 1 FGO auf den Einzelrichter übertragen worden.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage führt auch in der Sache zum Erfolg. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Die Beklagte hat zu Unrecht die Festsetzung von Kindergeld für die beiden Kinder der Klägerin für den Zeitraum Juni 1996 bis Februar 2000 abgelehnt.

I. Materiell-rechtlich besteht zwischen Beteiligten - zu Recht - kein Streit über den Anspruch auf Kindergeld im streitbefangenen Umfang. Die Beklagte ist aber der Auffassung, es habe einen (Ablehnungs-)Bescheid gegeben, der durch "formlose Bekanntgabe" wirksam geworden sei. Im Termin hat die Beklagte dann ihre Rechtsauffassung offenbar geändert und mit Hinweis auf zwei Entscheidungen des FG Rheinland-Pfalz (in den Verfahren 4 K 2425/08 und 5 K 1301/08) nunmehr die Auffassung vertreten, die Beklagte habe incidenter ihren Kindergeldantrag vom Juli 2000 zeitlich beschränkt und für den streitbefangenen Zeitraum überhaupt keinen Antrag gestellt.

Beiden Rechtsauffassungen der Beklagten vermag das Gericht nicht zu folgen.

1. Die Beklagte hat keinen (bestandskräftig gewordenen) Ablehnungsbescheid erlassen.

Die Form eines Verwaltungsaktes ist in § 119 Abs. 2 AO geregelt. Er kann schriftlich, elektronisch, mündlich oder in anderer Weise erlassen werden. Da vorliegend ein ablehnender Verwaltungsakt - unstreitig - weder schriftlich, elektronisch noch mündlich erlassen wurde, bleibt nur die Alternative "in anderer Weise".

Gemäß § 70 Abs. 1 Satz 1 EStG wird das Kindergeld von der Familienkasse durch Bescheid festgesetzt und ausgezahlt. Das Kindergeld ist nach § 31 Satz 3 EStG materiell-rechtlich eine Steuervergütung. Für diesen Steuervergütungsanspruch, der nach den Bestimmungen der §§ 62 ff. EStG en...

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