Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtsschutzbedürfnis bei vorläufiger Steuerfestsetzung - Verfassungsmäßigkeit einkommensteuerlicher Normen

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Einer Klage fehlt in der Regel das Rechtsschutzbedürfnis, wenn der Steuerbescheid in dem verfassungsrechtlichen Streitpunkt vorläufig ergangen ist, die verfassungsrechtliche Streitfrage sich in einer Vielzahl im Wesentlichen gleichgelagerter Verfahren stellt und bereits ein nicht von vornherein aussichtsloses Musterverfahren beim BVerfG anhängig ist.

2. Ein Rechtsschutzbedürfnis kann bei vorläufiger Steuerfestsetzung nur ausnahmsweise bestehen, wenn der Steuerpflichtige aus berechtigtem Interesse ein weiteres Verfahren einleiten will, weil er zum Beispiel bisher in den Musterverfahren nicht geltend gemachte Gründe substantiiert vorträgt und diese an das BVerfG oder den EuGH herantragen möchte.

 

Normenkette

EStG § 10a Abs. 4

 

Tatbestand

Streitig ist die Verfassungsmäßigkeit der einkommensteuerlichen Normen, die der Steuerfestsetzung des Klägers zugrunde liegen.

Der Kläger erzielte im Veranlagungszeitraum 2009 Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit und aus selbständiger Arbeit. Mit Bescheid vom 24.08.2010 setzte das Finanzamt die Einkommensteuer 2009 auf 9.967 € und den Solidaritätszuschlag dazu auf 548,18 € fest. Das zu versteuernde Einkommen des Klägers beträgt im Streitjahr 43.578 €.

Mit dem dagegen eingelegten Einspruch macht der Kläger geltend, dass der Einkommensteuerbescheid insgesamt rechtswidrig sei. Zur Begründung verweist er auf die Ausführungen im Einspruchs- sowie Klageverfahren gegen den Einkommensteuerbescheid für 2007 (Az: 3 K 113/2009). Hier rügte er insbesondere die Nichtberücksichtigung bzw. –beachtung der Inflation im Einkommensteuertarif bzw. der sog. "kalten Progression" sowie den Verstoß gegen das Leistungsfähigkeitsprinzip durch den Gesetzgeber.

Mit Einspruchsentscheidung vom 28.06.2011 wies das Finanzamt den Einspruch als unbegründet zurück und führte aus, der Kläger nenne in seiner Begründung keinen Gesichtspunkt, der seinen Einzelfall betreffe. Die vom Kläger allgemein aufgeworfenen Fragen nach der Gerechtigkeit des deutschen Steuersystems seien nicht geeignet, die Rechtmäßigkeit eines auf der Grundlage des geltenden Rechts ergangenen Bescheids in Frage zu stellen.

Die Einkommensteuerfestsetzung ist teilweise vorläufig hinsichtlich des beschränkten Abzugs von Vorsorgeaufwendungen (§ 10 Abse. 3, 4, 4a EStG), der Nichtabziehbarkeit von Steuerberatungskosten als Sonderausgaben, der Nichtabziehbarkeit von Beiträgen zu Rentenversicherungen als vorweggenommene Werbungskosten bei den Einkünften nach § 22 Nr. 1 Satz 3 a EStG für Veranlagungszeiträume ab 2005 und der Höhe des Grundfreibetrags (§ 32 a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG).

Mit seiner Klage beantragt der Kläger den Einkommensteuerbescheid für 2009 vom 24.08.2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 28.06.2011 dahin zu ändern, dass die festgesetzte Einkommensteuer einschließlich des Solidaritätszuschlages als Teil der staatlichen Zwangsabgaben des Klägers dem Grundgesetz entspricht.

Zur Begründung macht der Kläger weiterhin insbesondere die Verfassungswidrigkeit des Einkommensteuertarifs geltend. Es verstoße gegen das Leistungsfähigkeitsprinzip als Ausfluss des Gleichheitsgrundsatzes des Grundgesetzes, wenn der Gesetzgeber bestimmte Einkunftsarten einem progressiven Steuertarif unterwerfe und andere Einkunftsarten, wie z.B. ab dem Veranlagungszeitraum 2009 die Einkünfte aus Kapitalvermögen, nicht. So habe der Kläger bei Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von 47.368 € weitere 100 € mit einem Einkommensteuersatz von 37,9 % zuzüglich Solidaritätszuschlag zu versteuern, während bei Einkünften aus Kapitalvermögen diese weiteren 100 € nur mit 25 % zuzüglich Solidaritätszuschlag zu versteuern seien. Im Hinblick auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines Steuerpflichtigen dürfe es aber keinerlei Unterschied machen, welche Art von Einkünften der Steuerpflichtige erziele. Zudem könne bei einem konstanten Steuersatz keine kalte Progression auftreten. Dies sei ein Verstoß gegen die horizontale Steuergerechtigkeit.

Die Nichtbeachtung und Nichtberücksichtigung der Inflation im Einkommensteuertarif bzw. der sog. "kalten Progression" im Einkommensteuerrecht durch den Gesetzgeber sei verfassungswidrig. Der Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen werde dadurch nachhaltig und erheblich beeinträchtigt und führe zur Beschwer des Klägers. Sei der Anstieg des Bruttoeinkommens ein reiner Inflationsausgleich, so führe dies zwangsläufig zu einem Verlust an Realeinkommen, da bei unverändertem progressiven Steuertarif die durchschnittliche Steuerlast auf das Einkommen mit dessen nomineller Höhe steige. Bei einem intertemporalen Vergleich der Steuerbelastungen würden gleiche Realeinkommen unterschiedlich hoch belastet, obwohl die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit unverändert geblieben sei. Dies verstoße zweifelsohne gegen das Leistungsfähi...

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