Entscheidungsstichwort (Thema)

Eigene Mittel des Kindes im Sinne des § 32 Abs. 4 S. 2 EStG

 

Leitsatz (redaktionell)

Leistungen Dritter an ein volljähriges Kind können nur dann als dessen Mittel angesehen werden, wenn die Inanspruchnahme der unterhaltspflichtigen Eltern aufgrund der Gewährung dieser Mittel nicht in Betracht kommt. Dies ist bei Sozialhilfeleistungen nicht der Fall.

 

Normenkette

EStG § 32 Abs. 4 S. 2, Abs. 4, 4 Sätze 1, 1 Nr. 3, § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1

 

Tatbestand

Streitig ist, ob ein volljähriges behindertes Kind, das im eigenen Haushalt lebt und Hilfe zum Lebensunterhalt erhält, außer Stande ist, sich selbst zu unterhalten.

Die Beigeladene erhielt Kindergeld für ihren am 20.04.1954 geborenen Sohn H. W. (H.W.). H.W. ist schwerbehindert. Der Grad der Behinderung ist seit dem 28.09.1977 auf 50 v.H., seit dem 27.01.1999 auf 90 v.H. mit dem Merkzeichen G. festgestellt. H.W. ist auf Grund der Behinderung außer Stande, seinen Lebensunterhalt durch eigene Erwerbstätigkeit sicherzustellen.

Das Kindergeld wurde an die Klägerin ausgezahlt. Diese gewährte dem Kind Sozialhilfe.

Mit Bescheid vom 07.01.1997 setzte der Beklagte gegenüber der Beigeladenen das Kindergeld ab Januar 1997 auf 0 DM fest.

Dagegen legte die Beigeladene keinen Einspruch ein. Die Klägerin begehrte mit Schreiben vom 16.10.1997 die Rücknahme des Bescheids nach § 44 SGB X und machte als nachrangig verpflichtete Leistungsträgerin ihren Erstattungsanspruch nach § 104 SGB X geltend. Der Beklagte wies unter dem 24.10.1997 darauf hin, dass eine Rücknahme der Entscheidung gem. § 44 SGB X nicht möglich sei, da das Kindergeld nach dem Einkommensteuergesetz gewährt werde.

Die Klägerin veranlasste eine erneute Antragstellung durch die Beigeladene. Dieser Antrag ging am 04.11.1997 beim Beklagten ein.

Der Beklagte lehnte gegenüber der Beigeladenen den Antrag auf Gewährung von Kindergeld mit Bescheid vom 09.12.1997 ab. Dagegen legte die Klägerin unter dem 16.12.1997 Einspruch ein. Der Beklagte wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 07.09.1998, auf die verwiesen wird, als unbegründet zurück.

Die Klägerin hat am 24.09.1998 Klage erhoben. Sie beruft sich darauf, dass das Kind außer Stande sei, sich selbst zu unterhalten. Die Bedürftigkeit des Kindes werde durch die Gewährung von Sozialhilfe nicht ausgeschlossen. Sozialhilfe werde nur nachrangig gewährt. Außerdem sei der Bedarf des Kindes höher als die gewährte Hilfeleistung. Insbesondere seien neben einem Grundbedarf von 12.000 DM noch die Unterkunftskosten zu berücksichtigen.

Die Klägerin hat Unterlagen über die gewährten Sozialleistungen vorgelegt, auf die verwiesen wird.

Die Klägerin beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 09.12.1997 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 07.09.1998 zu verpflichten, für die Zeit ab 01.11.1997 Kindergeld zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er macht geltend, der Nachrang der Sozialhilfe finde im Steuerrecht keine Anwendung. Dem Rechenwerk der Klägerin tritt er mit eigenen Berechnungen, auf die Bezug genommen wird, entgegen.

Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

 

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig.

Bei der Klage handelt es sich um eine Verpflichtungsklage. Die Aufhebung des Kindergelds durch Bescheid vom 07.01.1997 war bestandskräftig geworden. Die Beigeladene hatte keinen Einspruch eingelegt. Auch das Schreiben der Klägerin vom 16.10.1997 ist nicht als Einspruch auszulegen. Die Klägerin selbst hat dieses Schreiben nicht als Einspruch angesehen, denn sie hat eine erneute Antragstellung veranlasst. Der mit dem Antrag der Beigeladenen vom 04.11.1997 geltend gemachte Anspruch ist Gegenstand des Verfahrens.

Die Klägerin ist klagebefugt. Sie ist im Verfahren über die Festsetzung des Kindergelds Beteiligte, denn sie hat ein berechtigtes Interesse (§ 67 Satz 2, § 74 Abs. 1 Satz 4 Einkommensteuergesetz – EStG–) an der Leistung des Kindergelds (vgl. dazu Bundesfinanzhof – BFH–, Urteil vom 12.01.2001 VI R 181/97, BStBl II 2001, 443).

Die Klage ist auch begründet.

Der Bescheid des Beklagten vom 09.12.1997 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 07.09.1998 ist rechtswidrig. Der Kindergeldberechtigten steht ein Anspruch auf Kindergeld für die Zeit ab 01.11.1997 zu.

Gemäß § 62 Abs. 1, § 63 Abs.1 Sätze 1 und 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG in der in den Streitjahren geltenden Fassung besteht für ein Kind, das das 18. Lebensjahr vollendet hat, ein Anspruch auf Kindergeld, wenn es wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außer Stande ist, sich selbst zu unterhalten. Das Kind darf also nicht über eine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit verfügen, die zur Bestreitung seines gesamten notwendigen Lebensbedarfs ausreicht. Dies ist anhand eines Vergleichs zweier Bezugsgrößen, nämlich des gesamten Lebensbedarfs des Kindes einerseits sowie der finanziellen Mittel des Kindes andererseits, zu prüfen (so BFH, Urteil vom 15. Oktober 1999 VI R 183/97, BStBl II 2000, 72, Urteil vom 15. Oktober 1999 VI R 40/98, BStBl II 2000, 7...

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