Entscheidungsstichwort (Thema)

Abzweigungsanspruch der Kommune als Grundsicherungsträgerin

 

Leitsatz (redaktionell)

1) Tragen die kindergeldberechtigten Eltern mindestens in Höhe des Kindergelds Aufwendungen für ihr volljähriges schwerbehindertes Kind, für das die Kommune Grundsicherungsleistungen erbringt, hat die Kommune keinen Anspruch auf Abzweigung des Kindergelds an sie.

2) Bei im Haushalt der Eltern lebenden Kindern ist es geboten, den gesamten Lebensbedarf des Kindes und dessen eigenen Einkünfte und Bezüge zu ermitteln und einander gegenüber zu stellen. Ergibt sich dabei eine Deckungslücke, ist hinreichend nachvollziehbar, dass ein insoweit bestehender Lebensbedarf des Kindes aus dem Einkommen aus dem gemeinsamen Wirtschaftstopf der Kindeseltern gedeckt wurde.

3) Für die zeitliche Zurechnung glaubhaft gemachter Aufwendungen ist grundsätzlich nach dem Monatsprinzip zu verfahren. Aufwendungen, die im Kalenderjahr wiederholt nur in einzelnen Monaten anfallen, sind gleichmäßig auf das Jahr zu verteilen.

4) Die Berücksichtigung fiktiver Betreuungskosten ist nicht zulässig.

 

Normenkette

EStG § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 3; SGB XII § 41 ff; BGB § 1601 ff; EStG § 74

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte (Bekl) den Antrag der Klägerin (Klin) auf Abzweigung von Kindergeld gemäß § 74 Abs. 1 Einkommensteuergesetz (EStG) zu Recht abgelehnt hat.

Die Beigeladene (Beigel) erhält für ihren am 27. Juni 1980 geborenen Sohn E Kindergeld. Für den Sohn der Beigel ist ein Grad der Behinderung (GdB) in Höhe von 100 sowie das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen „B”, „G”, „H” und „RF” festgestellt.

E lebt im Haushalt der Beigel. Er ist tagsüber an den Werktagen in einer Behindertenwerkstatt untergebracht und dort im Arbeitsbereich tätig. Durch die Tätigkeit erzielte der Sohn der Beigel im Jahr 2010 ein Werkstatteinkommen i. H. v. insgesamt 1.261,75 EUR. Zudem erhielt der Sohn Pflegegelder der Pflegestufe III (Schwerstpflegebedürftigkeit) i. H. v. insgesamt 8.220 EUR in 2010.

Die Klin leistete an den Sohn fortlaufend Grundsicherungsleistungen bei Erwerbsminderung nach dem IV. Kapitel Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) i. H. v. 5.029,70 EUR im Jahr 2010.

Die Bekl lehnte den im September 2009 gestellten Antrag der Klin auf Abzweigung des Kindergeldes mit Bescheid vom 7. September 2010 ab. Die Auszahlung des Kindergeldes an die Beigel erfolgte bis einschließlich Februar 2010.

Der gegen die Ablehnung gerichtete Einspruch der Klin war erfolglos. Die Beigel wurde von der Bekl zum Einspruchsverfahren hinzugezogen und machte monatliche Aufwendungen geltend gemacht, welche den Betrag des monatlichen Kindergeldes überstiegen.

Mit der gegen die Ablehnungsentscheidung gerichteten Klage macht die Klin im Wesentlichen geltend, dass der gesamte Lebensunterhalt des Kindes durch die Grundsicherungsleistungen sichergestellt sei. Der Regelsatz der Sozialhilfe umfasse u.a. Aufwendungen für Nahrungsmittel, Getränke, Bekleidung, Freizeit, Unterhaltung, Kultur, Gesundheitspflege, Verkehr und Nachrichtenübermittlung.

Zunächst hat die Klin die Ansicht vertreten, dass aus Gründen der Gleichbehandlung von nicht behinderten Kindern und behinderten Kindern bei der Abzweigung nur Aufwendungen des Kindergeldberechtigen auf den behinderungsbedingten Mehrbedarf Berücksichtigung finden dürften, welche nicht durch die Grundsicherung oder durch Leistungen anderer Sozialleistungsträger gedeckt würden.

Soweit die Beigel für den Transport ihres Sohnes einen zweiten Pkw angeschafft und diesen auf den Sohn zugelassen habe, könne zwar unterstellt werden, dass der Pkw ausschließlich für den Sohn genutzt werde, da dieser auf den Sohn zugelassen worden sei. Die hieraus entstandenen Aufwendungen seien jedoch nachzuweisen.

Die übrigen von der Beigel geltend gemachten Aufwendungen für Urlaub, Arzneimittel und Bekleidung seien vom Regelsatz gedeckt oder würden bei ärztlicher Verordnung von der Krankenkasse getragen. Soweit die Kosten für Arzneimittel nicht von der Krankenkasse getragen würden, ergäbe sich die Frage nach der Notwendigkeit der Arzneimittel.

Zuletzt hat die Klin die Ansicht vertreten, dass es grundsätzlich unerheblich sei, in welcher Höhe der Kindergeldberechtigte über das durch die Grundsicherungsleistungen gesicherte Existenzminimum hinaus Aufwendungen getragen habe. Insoweit beruft sich die Klin auf den Nichtannahmebeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 11. März 2010 (1 BvR 3163/09, NJW 2010, 1803) zur Frage der leistungsmindernden Anrechnung des Kindergeldes auf die Sozialhilfe bei minderjährigen Kindern. Aus der Entscheidung ergäbe sich, dass es sich beim Kindergeld auch nicht teilweise um eine anderen Zwecken als den Leistungen des Sozialgesetzbuchs Zweites Buch (SGB II) dienende Einnahme handele. Was bei der Grundsicherung für Arbeitssuchende gelte, müsse auch für die Grundsicherung nach dem IV. Kapitel SGB XII gelten. Mithin müsse das Kindergeld zuerst der Sicherung des Existenzminimums des Kindes dienen. Der Ansat...

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