Entscheidungsstichwort (Thema)

Kosten der Rechtsverfolgung im Abzweigungsverfahren

 

Leitsatz (redaktionell)

§ 77 Abs. 1 Satz 1 EStG gilt auch für das Abzweigungsverfahren. Dem entsprechend sind die Kosten des Vorverfahrens insoweit zu erstatten, als der Einspruch erfolgreich war.

 

Normenkette

EStG § 77 Abs. 1 S. 1

 

Tatbestand

Auf Antrag der Stadt H zweigte die Beklagte das gegenüber dem Kläger für seinen behinderten Sohn M festgesetzte Kindergeld mit Wirkung ab März 2012 in voller Höhe an die Stadt H als Grundsicherungsträger ab.

Dagegen legte der Kläger, vertreten durch seine Ehefrau – die Kindesmutter – Einspruch ein. Bei der Abzweigungsentscheidung zu berücksichtigende Unterhaltsleistungen des Klägers wurden mit dem Einspruch und einer zweiten Stellungnahme zunächst nur pauschal vorgetragen. Nach Bestellung des Prozessbevollmächtigten bezifferte dieser etwaige Unterhaltsaufwendungen des Klägers im Einzelnen und legte hierzu einzelne Kostenbelege vor.

Die zum Verfahren hinzugezogene Stadt H nahm zu den vom Prozessbevollmächtigten vorgetragenen Unterhaltsaufwendungen Stellung und verwies auf den von der Grundsicherung gedeckten Lebensbedarf.

Mit Bescheid vom 1. Oktober 2012 hob die Beklagte den Abzweigungsbescheid auf und verwies „wegen der weiteren Zahlung” des Kindergeldes auf den beigefügten Abzweigungsbescheid vom 1. Oktober 2012, mit dem das Kindergeld ab März 2012 zur Hälfte an die Stadt H abgezweigt wurde. In dem Aufhebungsbescheid wies die Beklagte darauf hin, dass dem Einspruch damit „in vollem Umfang” entsprochen worden sei.

Eine Erstattung der im Einspruchsverfahren entstandenen Kosten lehnte die Beklagte mit dem Aufhebungsbescheid vom 1. Oktober 2012 ab.

Der dagegen erhobene Einspruch war erfolglos.

Mit seiner Klage macht der Kläger geltend, eine Kostenerstattung nach § 77 Abs. 1 Satz 1 Einkommensteuergesetz (EStG) komme auch im Abzweigungsverfahren in Betracht (Verweis auf Senatsentscheidung vom 18. Juli 2012 12 K 3884/11 Kg, EFG 2012, 1945, Rev. BFH Az. III R 39/12).

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Änderung des Bescheids vom 1. Oktober 2012 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 15. November 2012 zu verpflichten, die für den Einspruch gegen die Abzweigung notwendigen Aufwendungen für erstattungsfähig und hierbei die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für notwendig zu erklären.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte macht im Wesentlichen unter Verweis auf die Einspruchsentscheidung geltend, dass § 77 EStG nur auf Einspruchsverfahren anwendbar sei, welche die Festsetzung von Kindergeld beträfen, nicht hingegen auf Verfahren der Abzweigung von Kindergeld.

Der Senat hat die Sache mit Beschluss vom 22. Februar 2013 dem Berichterstatter als Einzelrichter übertragen (Bl. 20 der Gerichtsakte).

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (§ 90 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung (FGO)) einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

Die Klage ist teilweise begründet.

1. § 77 Abs. 1 Satz 1 EStG ist im Verfahren der Abzweigung anwendbar.

Gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 EStG kommt eine Erstattung von Kosten des Vorverfahrens für Einsprüche „gegen die Kindergeldfestsetzung” in Betracht. Darunter fallen Einsprüche gegen eine zu niedrige Festsetzung, aber auch gegen die Ablehnung der Festsetzung oder gegen die Aufhebung einer Kindergeldfestsetzung gerichtete Einsprüche (BFH-Urteil vom 23. Juli 2002 VIII R 73/00, BFH/NV 2003, 25). Letzteres ergibt sich aus einer weiten Auslegung der Vorschrift, die dadurch begründet ist, dass die Aufhebung einer Kindergeldfestsetzung mehr noch als eine positive Festsetzung geeignet ist, den Kindergeldberechtigten in seinen Rechten zu verletzen. Es ist kein Grund ersichtlich, dem Kindergeldberechtigten im Falle des erfolgreichen Einspruchs gegen die Aufhebung der Festsetzung den Anspruch auf Erstattung seiner notwendigen Aufwendungen zu verwehren (BFH in BFH/NV 2003, 25).

Ob eine Kostenerstattung über den Wortlaut des § 77 Abs. 1 Satz 1 EStG „gegen die Kindergeldfestsetzung „) hinaus auch bei Einspruchsverfahren in Frage kommt, die sonstige Verwaltungsakte in Kindergeldsachen zum Gegenstand haben, wie namentlich Bescheide im Abzweigungsverfahren, ist in der Literatur umstritten, wobei die herrschende Meinung dies bejaht (dagegen Dürr in Frotscher, EStG, § 77 Rz. 4; dafür Claßen, in Lademann, EStG, § 77 Rn. 2; Greite in Korn, EStG, § 77 Rz. 4; Helmke in Helmke/Bauer, A.I. § 77 EStG Rz. 5; Pust in Littmann, EStG, § 77 Rz. 4; Reuß in Bordewin/ Brandt, § 77 EStG Rz. 5; Weber-Grellet, in Schmidt, EStG, 33. Aufl. 2014, § 74 Rn. 1). Eine Entscheidung des Bundesfinanzhof zu der Frage ist bisher – soweit ersichtlich– nicht ergangen. Der Senat hat mit Urteil vom 18. Juli 2012 die Anwendbarkeit des § 77 Abs. 1 EStG für das Abzweigungsverfahren grundsätzlich bejaht (Az. 12 K 3884/11 Kg, EFG 2012, 1945, Revisionsverfahren: Az. III R 39/12); auf die Entscheidung beruft sich der Kläger.

Für eine Anwendung des § 77 Abs. 1 EStG auch im Streitfall spricht eine am Sinn und...

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