Entscheidungsstichwort (Thema)

Kosten des Einspruchsverfahrens und Notwendigkeit der Kosten der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten

 

Leitsatz (redaktionell)

Streitet das Kind mit der Familienkasse erfolgreich gegen den Ablehnungsbescheid der Abzweigung des an seinen Vater gezahlten Kindergelds, so sind die Kosten des Einspruchsverfahrens und der Hinzuziehung des Bevollmächtigten über den Wortlaut des § 77 Abs. 1 Satz 1 EStG notwendige zu erstattende Kosten.

 

Normenkette

EStG § 77 Abs. 1 S. 1

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 26.06.2014; Aktenzeichen III R 39/12)

 

Tatbestand

Die Klägerin (Klin) beantragte Anfang April 2011 bei der beklagten Familienkasse (Bekl) die Abzweigung des an ihren Vater für sie gezahlten Kindergeldes, weil ihr Vater keinen Unterhalt leiste. Die Bekl lehnte eine Abzweigung nach Anhörung des Vaters ab (Bescheid vom 27. April 2011). Hiergegen erhob die Astin, anwaltlich vertreten durch ihren Prozessbevollmächtigten, Einspruch und legte dar, dass sie nicht im Haushalt ihres Vaters lebe – die Mutter ist verstorben – und dass ihr Vater das Kindergeld teilweise einbehalte. Die Familienkasse zog den Vater zum Einspruchsverfahren hinzu. Dieser widersprach der Darstellung der Klin nicht. Daraufhin entsprach die Bekl dem Abzweigungsantrag der Klin mit Wirkung ab Juni 2011. Das Kindergeld war bis einschließlich Mai 2011 an den Vater ausgezahlt worden.

Eine Erstattung der im Einspruchsverfahren entstandenen Kosten lehnte die Bekl mit dem Abhilfebescheid ab (Bescheid vom 3. August 2011). Der dagegen erhobene Einspruch war erfolglos.

Mit ihrer Klage macht die Klin geltend, die § 77 Einkommensteuergesetz (EStG) sei der Regelung in § 63 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) nachgebildet. § 63 SGB X sehe eine Kostenerstattung in vergleichbaren Fällen vor, so dass eine Kostenerstattung auch nach § 77 EStG erfolgen müsse.

Die Klin beantragt sinngemäß,

die Bekl unter Änderung des Bescheids vom 3. August 2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19. Oktober 2011 zu verpflichten, die für den Einspruch gegen die Ablehnung der Abzweigung notwendigen Aufwendungen für erstattungsfähig und hierbei die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für notwendig zu erklären.

Die Bekl beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Bekl ist der Ansicht, dass § 77 EStG eine Kostenerstattung nicht vorsehe, wenn Gegenstand des Einspruchsverfahrens die Ablehnung der Abzweigung nach § 74 Abs. 1 EStG sei.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (§ 90 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung (FGO)) einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

Die Klage ist begründet.

1. Gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 EStG kommt eine Erstattung von Kosten des Vorverfahrens für Einsprüche „gegen die Kindergeldfestsetzung” in Betracht. Darunter fallen Einsprüche gegen eine zu niedrige Festsetzung, aber auch gegen die Ablehnung der Festsetzung oder gegen die Aufhebung einer Kindergeldfestsetzung gerichtete Einsprüche (BFH-Urteil vom 23. Juli 2002 VIII R 73/00, BFH/NV 2003, 25). Letzteres ergibt sich im Wege einer weiten Auslegung der Vorschrift. Als Grund für die weite Auslegung wird angeführt, dass die Aufhebung einer Kindergeldfestsetzung mehr noch als eine positive Festsetzung geeignet ist, den Kindergeldberechtigten in seinen Rechten zu verletzen. Es ist kein Grund ersichtlich, dem Kindergeldberechtigten im Falle des erfolgreichen Einspruchs gegen die Aufhebung der Festsetzung den Anspruch auf Erstattung seiner notwendigen Aufwendungen zu verwehren (BFH in BFH/NV 2003, 25).

2. Ob eine Kostenerstattung über den Wortlaut des § 77 Abs. 1 Satz 1 EStG „gegen die Kindergeldfestsetzung „) hinaus auch bei Einspruchsverfahren in Frage kommt, die sonstige Verwaltungsakte in Kindergeldsachen zu Gegenstand haben, wie namentlich Bescheide im Abzweigungsverfahren – hier: Ablehnung der Abzweigung –, ist in der Literatur umstritten (dagegen Bergkemper, in Hermann/Heuer/Raupach, § 77 EStG Rz. 2; Dürr in Frotscher, EStG, § 77 Rz. 4; wohl auch Felix, in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 77 Anm. B3; dafür Helmke in Helmke/Bauer, A.I. § 77 EStG Rz. 5; Pust in Littmann, EStG, § 77 Rz. 4; Greite in Korn, EStG, § 77 Rz. 4; Reuß in Bordewin/ Brandt, § 77 EStG Rz. 5; Claßen, in Lademann, EStG, § 77 Rn. 2) und ist finanzgerichtlich bislang nicht entschieden worden. Im Wesentlichen wird gegen eine Anwendung auf Einspruchsverfahren in Abzweigungsfällen der eindeutige Wortlaut sowie der Ausnahmecharakter der Regelung angeführt. Die Befürworter verweisen dagegen auf den Sinn und Zweck der Regelung, eine Schlechterstellung gegenüber der Rechtslage bei Anwendung des § 63 SGB X zu vermeiden.

Der Senat geht von einer Kostenerstattung nach § 77 Abs. 1 EStG auch in Abzweigungsfällen aus.

§ 63 SGB X ermöglichte vor der Neuregelung des Kindergeldrechtes durch das Jahressteuergesetz 1996 eine Kostenerstattung grundsätzlich für alle erfolgreichen Widerspruchsverfahren in Kindergeldsachen. Eine Abzweigung des Kindergeldes an das Kind oder andere Personen oder Stellen war nach der Regelung des § 48 SGB I

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