Entscheidungsstichwort (Thema)

Frage der Möglichkeit der Einreichung einer Steuererklärung für 2002 in 2008

 

Leitsatz (redaktionell)

Das EStG 2002 sah für Antragsveranlagungen gem. § 46 Abs. 2 Nr. 8 noch eine zweijährige Antragsfrist vor. Gem. § 52 Abs. 55 j EStG 2008 ist u.a. in allen Fällen, in denen am 28.12.2007 über einen Antrag auf Veranlagung zur ESt noch nicht bestandskräftig entschieden ist, § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG in seiner neuen Fassung anzuwenden. Diese sieht keine besondere Antragsfrist mehr vor.

 

Normenkette

EStG 2008 § 52 Abs. 55 j; EStG 2002 § 46 Abs. 2 Nr. 8

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 05.10.2011; Aktenzeichen VI R 17/11)

 

Tatbestand

Streitig ist, ob für das Streitjahr 2002 noch ein erstmaliger Einkommensteuer(ESt)-Bescheid ergehen kann.

Seine ESt-Erklärung 2002 reichte der Kläger am 21.08.2008 beim Beklagten ein. Hierin wurden Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erklärt (38.539 EUR Bruttoarbeitslohn, Steuerklasse I) sowie Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung i.H.v. ./. 11.249 EUR.

Mit Bescheid vom 22.08.2008 lehnte es der Beklagte ab, eine Einkommensteuerveranlagung durchzuführen. Die notwendigen Voraussetzungen des § 46 Abs. 2 Nr. 1 bis 7 EStG seien nicht erfüllt. Auch sei keine Veranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG möglich, da die Frist für die Abgabe der ESt-Erklärung mit dem 31.12.2004 abgelaufen sei. Die Änderung der Frist von zwei auf vier Jahre gelte erst ab dem Veranlagungszeitraum 2005.

Der hiergegen eingelegte Einspruch blieb erfolglos. In der Einspruchsentscheidung vom 06.08.2010 führte der Beklagte ergänzend Folgendes aus: Die Zweijahresfrist des § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG sei durch das Jahressteuergesetz (JStG) 2008 weggefallen. Diese Änderung sei erstmals ab dem Veranlagungszeitraum 2005 anzuwenden. Anträgen auf Veranlagung für ein Kalenderjahr vor 2005 sei nach neuer Rechtsprechung des BFH ebenfalls zu entsprechen, wenn der Antrag erst nach dem 28.12.2007 (= Tag der Verkündung des JStG) beim Finanzamt eingegangen sei, soweit Verjährungsfristen nicht entgegenstehen. Nach Wegfall der Zweijahresfrist könne der Antrag auf Durchführung einer ESt-Veranlagung innerhalb der Festsetzungsfrist gestellt werden. Diese betrage vier Jahre (§ 169 Abs. 2 AO) und beginne mit dem Ablauf des Kalenderjahrs, für das der Antrag auf ESt-Veranlagung gestellt werde. Nach § 170 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AO beginne die Festsetzungsfrist in Fällen, in denen eine ESt-Erklärung abzugeben sei, zwar abweichend von § 170 Abs. 1 AO mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Steuererklärung eingereicht werde, spätestens jedoch mit Ablauf des dritten Kalenderjahrs, das auf das Jahr folge, in dem die Steuer entstanden sei. Diese Regelung betreffe jedoch ausschließlich Fälle, in denen der Steuerpflichtige aufgrund einer gesetzlichen Regelung zur Abgabe der ESt-Erklärung verpflichtet sei oder das Finanzamt ihn zur Abgabe der Steuererklärung aufgefordert habe. Die Anlaufhemmung des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO gelte damit nicht, wenn ohne Aufforderung durch das Finanzamt eine Steuererklärung eingereicht werde, durch die der Antrag auf eine ESt-Veranlagung gestellt werde. Eine Pflichtveranlagung sei u.a. durchzuführen, wenn die Summe der nicht dem Lohnsteuerabzug unterliegenden Einkünfte positiv sei und über 410 EUR liege.

Im Streitfall sei der Antrag auf Veranlagung zur ESt 2002 nach dem 28.12.2007, nämlich am 21.08.2008, beim Finanzamt eingegangen. Demnach sei zu prüfen, ob Festsetzungsverjährung eingetreten sei. Die Festsetzungsfrist betrage vier Jahre und beginne mit Ablauf des 31.12.2002. Sie ende somit mit Ablauf des 31.12.2006. Die Anlaufhemmung des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO greife im Streitfall nicht, da es sich hier nicht um eine Pflichtveranlagung, sondern um eine Antragsveranlagung handele. Eine Pflichtveranlagung liege nicht vor, weil die Einkünfte, die nicht dem Lohnsteuerabzug unterworfen worden seien, negativ seien (Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung ./. 11.249 EUR).

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Klage. Er ist der Auffassung, dass die dreijährige Anlaufhemmung des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO auch für Antragsveranlagungen gelte. Eine verfahrensrechtlich unterschiedliche Behandlung von Pflicht- und Antragsveranlagungen verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG.

Der Kläger beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 22.08.2008 sowie der Einspruchsentscheidung vom 06.08.2010 zu verpflichten, die Einkommensteuer 2002 entsprechend der am 21.08.2008 eingereichten Einkommensteuererklärung festzusetzen.

Der Beklage beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er verweist im Wesentlichen auf die Ausführungen in der Einspruchsentscheidung.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten sowie die Steuerakten Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

Die Entscheidung ergeht durch Gerichtsbescheid (§ 90a Abs. 1 FGO).

Die zulässige Klage ist begründet.

Der Ablehnungsbescheid vom 22.08.2008 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.

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