Entscheidungsstichwort (Thema)

Säumniszuschläge ab 2019 ernstlich zweifelhaft

 

Leitsatz (redaktionell)

1) Es ist ernstlich zweifelhaft, ob nach dem 31.12.2018 verwirkte Säumniszuschläge verfassungsgemäß sind.

2) Dem Anspruch auf AdV steht nicht das Fehlen eines (besonderen) Aussetzungsinteresses entgegen.

 

Normenkette

AO § 218 Abs. 2, §§ 238, 233a, 240

 

Nachgehend

BFH (Beschluss vom 22.09.2023; Aktenzeichen VIII B 64/22 (AdV))

BFH (Beschluss vom 11.11.2022; Aktenzeichen VIII B 64/22 (AdV))

 

Tatbestand

I.

Zu entscheiden ist, ob die Vollziehung von Abrechnungsbescheiden über die Entstehung von Säumniszuschlägen zur Einkommensteuer und zum Solidaritätszuschlag 2019 sowie zur Einkommensteuer für das 1. Quartal 2021 in voller Höhe aufzuheben ist.

In der Sache streiten die Beteiligten über die Verfassungsmäßigkeit der Höhe der in den Abrechnungsbescheiden ausgewiesenen Säumniszuschläge.

Die Antragsteller sind Eheleute und werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt.

Am 21.12.2021 beantragten die Antragsteller die Erteilung von Abrechnungsbescheiden für alle ab dem 01.01.2010 angefallenen Säumniszuschläge zur Einkommensteuer und zum Solidaritätszuschlag.

Daraufhin erteilte der Antragsgegner am 10.01.2022 nach § 218 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) die begehrten Abrechnungsbescheide, und zwar einen Abrechnungsbescheid über Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag 2019 sowie einen weiteren Abrechnungsbescheid über Einkommensteuer für das 1. Quartal 2021.

In den Abrechnungsbescheiden vom 10.01.2022 sind die Säumniszuschläge wie folgt ausgewiesen:

Steuerart und Zeitraum

Entstandene

Säumniszuschläge

Stand: 04.01.2022

Zahlung

Offen

Einkommensteuer 2019

X €

X €

0,00 €

Solidaritätszuschlag zur Einkommensteuer 2019

X €

X €

0,00 €

Einkommensteuer 1. Quartal 2021

X €

X €

0,00 €

Sämtliche, in den Abrechnungsbescheiden ausgewiesenen Säumniszuschläge sind nach dem 31.12.2018 entstanden.

Gegen die Abrechnungsbescheide legten die Antragsteller am 11.02.2022 Einspruch ein und beantragten zugleich die Aufhebung der Vollziehung der Abrechnungsbescheide.

Der Antragsgegner lehnte die begehrte Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung der Abrechnungsbescheide vom 10.11.2022 mit Verfügung vom 04.03.2022 ab und teilte den Antragsteller zudem mit, die gegen die Abrechnungsbescheide erhobenen Einsprüche ruhten gemäß § 363 Abs. 2 Satz 2 AO wegen des beim Bundesfinanzhof (BFH) anhängigen Verfahrens zu dem Aktenzeichen (Az.) VII R 55/20.

Mit ihrem daraufhin am 09.03.2022 bei Gericht gestellten Aussetzungsantrag machen die Antragsteller geltend, die Vollziehung der in den Abrechnungsbescheiden ausgewiesenen Säumniszuschläge sei nach dem Beschluss des BFH vom 31.08.2021 in dem Verfahren VII B 69/21, unter Berücksichtigung der bisherigen Spruchpraxis des Finanzgerichts Münster in diversen gleichgelagerten Verfahren sowie vor dem Hintergrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 08.07.2021 (Az: 1 BvR 2237/14 und 1 BvR 2422/17) in voller Höhe aufzuheben.

Die Antragsteller beantragen sinngemäß,

  1. die Vollziehung des Abrechnungsbescheides über Säumniszuschläge zur Einkommensteuer und zum Solidaritätszuschlag 2019 vom 10.01.2022 in voller Höhe aufzuheben,
  2. die Vollziehung des Abrechnungsbescheides über Säumniszuschläge zur Einkommensteuer für das 1. Quartal 2021 vom 10.01.2022 in voller Höhe aufzuheben.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Den Antragstellern fehle das notwendige besondere Aussetzungsinteresse. Soweit ein Aussetzungsantrag mit ernstlichen Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit einer Norm begründet werde, müsse der Antragsteller ein besonderes Aussetzungsinteresse darlegen, da ansonsten dem Interesse der Allgemeinheit am Vollzug des Gesetzes Vorrang einzuräumen sei. Dies fuße auf dem Geltungsanspruch jedes formell zustande gekommenen Gesetzes. Das Interesse der Antragstellerin gehe nicht über das reine Zahlungssuspensorium hinaus. Demgegenüber würde die Gewährung der Aussetzung der Vollziehung mit Rücksicht auf die Gleichbehandlung aller Steuerpflichtigen zur faktischen Nichtanwendung des § 240 AO führen.

Im Übrigen bestünden keine ernstlichen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 240 AO.

Die Ausführungen des BVerfG in seinem Beschluss vom 08.07.2021 (Az.: 1 BvR 2237/14 und 1 BvR 2422/17) zur Verfassungswidrigkeit der Höhe der Zinsen nach § 233a in Verbindung mit § 238 Abs. 1 Satz 1 AO könnten auf die verfassungsrechtliche Bewertung der Höhe der Säumniszuschlage gemäß § 240 AO nicht übertragen werden. Der Normzweck und der Regelungsinhalt des § 240 AO unterschieden sich deutlich von § 233a AO. Bei den Säumniszuschlägen handele es sich nicht um Zinsen, sondern um ein Sanktionsmittel eigener Art. Säumniszuschläge stellten nicht nur eine Gegenleistung für das Hinausschieben der Zahlung fälliger Steuern und einen Ausgleich für den dadurch entstehenden zusätzlichen Verwaltungsaufwand dar, sondern seien vorwiegend ein Druckmittel eigener Art zur Durchsetzung von titulierten Zahlungsansprüchen. In erster Linie dienten Säumniszuschlä...

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