rechtskräftig

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Abzweigung von Kindergeld. Vollstationär untergebrachtes behindertes Kind

 

Leitsatz (redaktionell)

1. § 74 Abs. 1 Satz 4 EStG ist nicht in der Weise isoliert von den Sätzen 1 bis 3 zu sehen, dass die Auszahlung des Kindergeldes ohne weiteres an eine andere Person erfolgen kann, wenn diese dem Kind Unterhalt gewährt. Vielmehr bewirkt § 74 Abs. 1 S. 4 EStG eine Erweiterung der für eine Auszahlung in Betracht kommenden Auszahlungsempfänger, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 74 Abs. 1 S. 1 bis 3 EStG erfüllt sind.

2. Die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Ermessensausübung nach § 74 Abs. 1 Satz 3 2. Alt. i.V.m. Abs. 1 Satz 4 EStG über einen Antrag auf Abzweigung des Kindergeldes sind erfüllt, wenn ein vollstationär in einer Behinderteneinrichtung untergebrachtes Kind Eingliederungshilfe durch den Sozialhilfeträger erhält und die Eltern zu einem monatlichen Kostenbeitrag von 26 EUR nach § 94 Abs. 2 SGB XII herangezogen werden. Die Ermessensentscheidung ist allerdings nicht anspruchsbegründend reduziert.

 

Normenkette

EStG 2002 § 74 Abs. 1 S. 3 Alt. 2, S. 4; SGB XII § 94 Abs. 2

 

Tenor

1. Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 16. Februar 2005 und der hierzu erlassenen Einspruchsentscheidung vom 17. Mai 2006 verpflichtet, über den Abzweigungsantrag des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.

2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Außergerichtliche Kosten des Beigeladenen werden nicht erstattet.

3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für den Kläger vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten des Klägers die Vollstreckung abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

 

Tatbestand

Streitig ist, ob der Bescheid über die Ablehnung der Abzweigung des Kindergeldes nach § 74 Abs. 1 Einkommensteuergesetz (EStG) rechtmäßig ist.

Der am … geborene Sohn des Beigeladenen, M, erhält vom Kläger Eingliederungshilfe nach den §§ 39 ff. Bundessozialhilfegesetz (BSHG) bzw. (ab dem 1.1.2005) nach den §§ 53 ff. Sozialgesetzbuch XII (SGB XII). M ist aufgrund einer Schwerbehinderung nicht in der Lage, ein selbständiges Leben zu führen und erhält Pflege und Betreuung in einer vollstationären Einrichtung. Daneben geht er einer Tätigkeit in einer Werkstatt für Behinderte nach. Die Kosten für Pflege und Betreuung belaufen sich nach Angaben des Klägers auf rund 5.700 EUR monatlich (rund 4.600 EUR für die Wohnheimbetreuung und rund 1.100 EUR für die Werkstatttätigkeit). Vom Beigeladenen wird ein Unterhaltsbeitrag von 26 EUR monatlich nach § 91 Abs. 2 BSHG bzw. § 94 Abs. 2 SGB XII gezahlt.

Mit Schreiben vom 22. September 2004 beantragte der Kläger bei der beklagten Familienkasse die Abzweigung des Kindergeldes für M. Der Beklagte teilte dies dem Beigeladenen mit und übersandte ihm – da dieser noch kein Kindergeld bezogen hat – Antragsformulare für das Kindergeld. Der Beigeladene reichte im November 2004 den Kindergeldantrag für M beim Beklagten ein. Er teilte darüber hinaus mit, dass ihm neben dem monatlichen Kostenbeitrag von 26 EUR Kosten für zwei Besuchsfahrten jährlich zum Sohn (einfache Entfernung 600 km) entstünden. Mit Bescheid vom 1. Februar 2006 setzte der Beklagte gegenüber dem Beigeladenen Kindergeld für M ab Januar 2000 fest.

Mit Schreiben vom 16. Februar 2005 lehnte der Beklagte die Abzweigung des Kindergeldes an den Kläger ab, da vom Beigeladenen Unterhalt gewährt werde. Dagegen erhob der Kläger Einspruch, den der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 17. Mai 2006 als unbegründet zurückwies mit der Begründung, eine Unterhaltspflichtverletzung des Beigeladenen sei nicht gegeben.

Dagegen richtet sich die Klage. Der Kläger trägt vor, eine Abzweigung des Kindergeldes nach § 74 Abs. 1 S. 4 EStG an die Stelle, die dem Kind Unterhalt gewähre, setze eine Unterhaltspflichtverletzung des Kindergeldberechtigten nicht voraus. Auch sei die Entscheidung, den Abzweigungsantrag deshalb abzulehnen, weil der Kindergeldberechtigte einen pauschalierten Unterhaltsbeitrag nach § 94 Abs. 2 SGB XII zahle, ermessensfehlerhaft. Denn Sinn dieser gesetzlichen Regelung sei es nicht, den unterhaltsrechtlichen Bedarf eines vollstationär untergebrachten volljährigen Kindes zu sichern. Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers habe die Regelung ausschließlich der Verwaltungsvereinfachung gedient. Damit nicht mehr in jedem Einzelfall die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Eltern überprüft werden müssten, könne der Sozialhilfeträger davon ausgehen, dass ein Anspruchsübergang in Höhe von 26 EUR stattgefunden habe. Zwischen der früheren Regelung des § 91 Abs. 2 BSHG und der Nachfolgeregelung in § 94 Abs. 2 SGB XII bestehe dabei kein Unterschied. Die Unterhaltsverpflichtung der Eltern gegenüber dem Kind nach bürgerlichem Recht werde durch diese Regelung nicht tangiert. Die Unterhaltspflicht ergebe sich aus §§ 1601 ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Nach § 161...

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