Entscheidungsstichwort (Thema)

Umsatzsteuerforderung als privilegierte Masseverbindlichkeit oder bloße Insolvenzforderung

 

Leitsatz (redaktionell)

Die Rechtsstellung des Schuldners im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren entspricht nicht der Rechtsstellung eines starken vorläufigen Insolvenzverwalters nach § 22 Abs. 1 InsO. Insolvenzspezifische Befugnisse sind dem Schuldner nicht zugewiesen. Entgegen der Ansicht des beklagten FA begründet der Schuldner im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren nicht stets Masseverbindlichkeiten.

 

Normenkette

InsO § 270 Abs. 1 S. 2, § 55 Abs. 2 S. 1

 

Nachgehend

BFH (Beschluss vom 07.05.2020; Aktenzeichen V R 19/19)

BFH (Beschluss vom 07.05.2020; Aktenzeichen V R 19/19)

 

Tatbestand

Die Klägerin betrieb in L ein …. Wegen anhaltender Ertragsschwäche wurde in der Gesellschafterversammlung vom … die Liquidation der Klägerin beschlossen mit dem Ziel, nach Ausverkauf des Warenbestandes das … zum … zu schließen. Mit Schreiben vom … beantragte die Klägerin beim Amtsgericht L die Eröffnung des Insolvenzverfahrens und Anordnung der (vorläufigen) Eigenverwaltung gemäß §§ 270, 270a der Insolvenzordnung (InsO). Noch am gleichen Tag wurde durch das Amtsgericht L (… IN …) die vorläufige Eigenverwaltung nach § 270a InsO angeordnet und Rechtsanwalt X zum vorläufigen Sachwalter bestellt. Am … eröffnete das Amtsgericht L wegen drohender Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Klägerin. Zugleich wurde die Eigenverwaltung angeordnet und Rechtsanwalt X zum Sachwalter ernannt. Die Schuldnerin sollte berechtigt sein, unter der Aufsicht des Sachwalters die Insolvenzmasse zu verwalten und über sie zu verfügen (§§ 270285 InsO).

Für die Monate Februar bis April 2017 gab die Klägerin Umsatzsteuer-Voranmeldungen mit einer Zahllast von insgesamt rund … € ab. Der Beklagte stellte sich auf den Standpunkt, dass es sich bei den Umsatzsteuern aus der vorläufigen Eigenverwaltung (01.02.2017 bis 30.04.2017) nicht um Insolvenzforderungen, sondern um Masseverbindlichkeiten handele.

Für den Monat Februar 2017 setzte er dementsprechend gegenüber der Klägerin mit Bescheid vom 05.09.2017 eine Umsatzsteuer i.H.v. … € fest. In der Anlage zu dem Bescheid ist festgehalten, dass es sich um Masseverbindlichkeiten nach den§§ 270a, 270 Abs. 1 Satz 2 InsO i.V.m. § 55 Abs. 4 InsO handele. Nach § 45 Abs. 1 FGO sei eine Sprungklage ohne vorherigen Einspruch möglich.

Gegen den Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheid für den Monat Februar 2017 wendete sich die Klägerin zunächst mit dem Einspruch vom 15.09.2017. Mit Schriftsatz vom 27.09.2017 hat sie gegen den streitigen Bescheid die vorliegende Sprungklage erhoben und zur Klarstellung ausgeführt, dass der für den Monat Februar 2017 vom 15.09.2017 eingelegte Einspruch nunmehr in eine Sprungklage umgewandelt werde. Die erforderliche Zustimmung des Beklagten sei in der Anlage zum angefochtenen Bescheid bereits erteilt worden. In der Sache führt die Klägerin im Wesentlichen Folgendes aus:

Bei der Umsatzsteuer für den Monat Februar 2017 handele es sich entgegen der Auffassung des Beklagten nicht um eine (privilegierte) Masseverbindlichkeit nach§ 55 Abs. 4 InsO, sondern um eine bloße Insolvenzforderung im Sinne von § 38InsO. Nach § 55 Abs. 4 InsO würden auch die nach Eröffnung des vorläufigen Insolvenzverfahrens begründeten Steuerverbindlichkeiten als Masseverbindlichkeiten gelten, wenn diese von einem vorläufigen Insolvenzverwalter oder vom Schuldner mit Zustimmung eines vorläufigen Insolvenzverwalters begründet worden seien. Die Existenz eines vorläufigen Insolvenzverwalters erfordere das Vorliegen einer Regelinsolvenz.Hieran fehle es im Streitfall, weil durch das Amtsgericht L keine Regelinsolvenz, sondern die Eigenverwaltung angeordnet worden sei. Für das Eröffnungsverfahren nach § 270a InsO enthalte das Gesetz keine Ermächtigung zur Begründung von Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 4 InsO. Mithin scheide eine unmittelbare Anwendung der Vorschrift aus. Ebenso wenig komme eine analoge Anwendung für die Fälle der Eigenverwaltung nach § 270a InsO in Betracht; denn es fehle an einer planwidrigen Regelungslücke. Die Nichtanwendbarkeit des § 55 Abs. 4 InsO auf den (vorläufigen) Eigenverwalter sei vom Gesetzgeber zwar erkannt worden; trotzdem habe dieser eine Änderung des Gesetzeswortlauts unterlassen. Insoweit werde auf die Stellungnahme der Bundesregierung vom 04.05.2011 (BT-Drucks. 17/5712 S. 67f) verwiesen. Es komme hinzu, dass das Eröffnungsverfahren im Rahmen der Eigenverwaltung erst zum 01.03.2012 in das Gesetz aufgenommen worden sei, und zwar mit dem Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen vom 07.12.2011 (ESUG). Im Übrigen begründe der vorläufige Insolvenzverwalter im Regelinsolvenzverfahren aufgrund von § 55 Abs. 4 InsO nicht ohne weiteres Masseverbindlichkeiten. Vielmehr bedürfe es nach der Systematik der Insolvenzordnung immer eines entsprechenden gerichtlichen Beschlusses, damit bereits im Insolvenzeröffnungsverfahren Forderung...

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