Entscheidungsstichwort (Thema)

Wiedereinsetzung wegen Störung des Telefax-Empfangs beim Finanzamt; Einspruchsfrist bei falscher Rechtsbehelfsbelehrung. Festsetzung von Zwangsgeld

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein Beteiligter kann sich auf die ihm vom Finanzamt eröffnete Zugangsmöglichkeit per Telefax verlassen, auch wenn er erst am Tag des Fristablaufs tätig wird. Ist er durch ein defektes Telefax-Empfangsgerät der Behörde gehindert, am letzten Tag der Rechtsbehelfsfrist Einspruch einzulegen, handelt er nicht schuldhaft, und ist nicht gezwungen, andere Vorkehrungen für eine fristgerechte Einspruchseinlegung zu treffen. Ihm ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

2. Nennt die Rechtsbehelfsbelehrung eines nach dem 31.12.1995 erlassenen Bescheides über die Festsetzung von Zwangsgeld als statthaften Rechtsbehelf die Beschwerde, so beginnt aufgrund der unrichtig erteilten Rechtsbehelfsbelehrung die Einspruchsfrist nicht zu laufen. Die Frist verlängert sich auf ein Jahr.

 

Normenkette

AO 1977 §§ 110, 356 Abs. 2 S. 1, § 347 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 356 Abs. 1, § 355

 

Tenor

Die Einspruchsentscheidung des Beklagten vom 13. Februar 1998 wird aufgehoben.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

 

Tatbestand

Die Kläger, selbständig tätige Zahnärzte, werden als Eheleute zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Mit notariellem Kaufvertrag vom 13. März 1992 erwarben sie eine Eigentumswohnung in …, ‚A’-Straße zum Kaufpreis von 163.300 DM. Die Übergabe und Abnahme der damals noch nicht ganz fertiggestellten Wohnung fand im Januar 1993 statt. Die Finanzierung des Objekts erfolgte durch zwei Darlehen bei der … (Konten … und …). … In … ihren Einkommensteuererklärungen für 1993 bis 1995 machten die Kläger jeweils aus diesem Objekt Verluste aus Vermietung und Verpachtung geltend. Als Werbungskosten erklärten sie u. a. Finanzierungskosten von 9.101 DM (für 1993 und 1994) und von 10.424 DM (für 1995). Diese Aufwendungen wurden i. d. R. durch Bankauszüge belegt und vom beklagten Finanzamt –im folgenden: FA– erklärungsgemäß berücksichtigt. Als Absetzung für Abnutzung –AfA– machten die Kläger für jedes Jahr einen Betrag von „ca. 8.400 DM” geltend, jeweils versehen mit dem Hinweis: „wird nachgereicht”. Im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung 1994 legten die Kläger in diesem Zusammenhang auszugsweise den notariellen Kaufvertrag vor und bezifferten ihre Anschaffungskosten mit 169.188 DM (Kaufpreis 163.300 + GrESt 3.266 + Notar/Gericht 2.622). Ausweislich einer Stellungnahme des Bausachverständigen des Finanzamts … vom 24. Februar 1997 beträgt –bezogen auf den Verkehrswert– der Gebäudewertanteil des Grundstücks 85% und der Wertanteil des Grund und Bodens 15%. Hieraus errechnete das FA eine jährliche AfA von 10.067 DM (7% von 85% von 169.188 DM).

In ihrer im April 1997 abgegebenen Einkommensteuererklärung für 1996 erklärten die Kläger u. a. einen Verlust aus der Vermietung der Eigentumswohnung, wobei sie Schuldzinsen von „ca. 9.000 DM” mit dem Vermerk „Belege werden nachgereicht” und wie in den Vorjahren eine AfA von „ca. 8.400 DM” geltend machten. Mit Schreiben vom 10. Juni 1997 forderte das FA eine Aufstellung der Anschaffungskosten ‚A’-str. … sowie Nachweise über die Finanzierungskosten an. Mit Verfügungen vom 2. Juli 1997 drohte das FA gegenüber dem Kläger und gegenüber der Klägerin Zwangsgelder an, und zwar zur Erzwingung der Abgabe der Aufstellung AK ‚A’-str. … jeweils 100 DM und zur Erzwingung der Abgabe des Nachweises der Finanzierungskosten ebenfalls jeweils 100 DM. Mit Verfügungen vom 4. August 1997 setzte das FA die Zwangsgelder von jeweils 200 DM gegen den Kläger und die Klägerin fest. Die Erledigungsvermerke für die Dokumentation der Postaufgabe auf den Aktenausfertigungen der Bescheide sind jeweils nicht ausgefüllt. Sowohl die Bescheide über die Androhung als auch über die Festsetzung des Zwangsgeldes enthielten Rechtsbehelfsbelehrungen, in denen die Beschwerde als statthafter Rechtsbehelf bezeichnet war.

Mit Schreiben vom 8. September 1997 (Montag), beim FA eingegangen am 9. September 1997, erhoben die Kläger vertreten durch ihren Prozeßbevollmächtigten Einspruch. Am 8. Oktober 1997 beantragten sie per Telefax, ihnen wegen der möglicherweise versäumten Einspruchsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Sie trugen vor, daß sowohl der Prozeßbevollmächtigte als auch seine Mitarbeiterin … am 8. September 1997 bis 23.00 Uhr mehrmals vergeblich versucht hätten, den Einspruch per Telefax an das FA zu übersenden; dies sei aufgrund eines Fehlers im Empfangsgerät des FA nicht möglich gewesen.

Das FA wies den Einspruch als unzulässig zurück. Die Kläger hätten die Einspruchsfrist versäumt; diese Frist habe am 7. September 1997 geendet. Gründe für eine Wiedereinsetzung seien trotz besonderer Aufforderung nicht vorgetragen worden. Im Einkommensteuerbescheid für 1996 ließ das FA die geltend gemachten Schuldzinsen unberücksichtigt und setzte als AfA nur einen Betrag von 9.716 DM (7 % von 85 % von 163.300 DM) an.

Mit ihr...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Steuer Office Excellence. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge