Entscheidungsstichwort (Thema)

Steuerfestsetzung gegen unbekannte Erben bei Nachlasspflegschaft – Schätzungsbefugnis der Finanzbehörde – Angemessene Frist zur Erbenermittlung

 

Leitsatz (redaktionell)

  1. Die Festsetzung der Erbschaftsteuer ist während der Nachlasspflegschaft auch gegenüber den durch den Nachlasspfleger vertretenen unbekannten Erben als Inhaltsadressaten möglich.
  2. Die Finanzbehörde ist befugt, die Anzahl der Erben, die Höhe ihrer Erbteile, die Höhe ihrer Freibeträge und die für sie anwendbare Steuerklasse unter Beifügung eines Vorläufigkeitsvermerks gemäß § 165 Abs. 1 AO zu schätzen.
  3. Sind zum Zeitpunkt der finanzgerichtlichen Entscheidung seit dem Erbfall und der Bestellung des Nachlasspflegers mehr als drei Jahre vergangen, ohne dass ein Ende der Nachlasspflegschaft absehbar ist, ist eine Steuerfestsetzung gegenüber den unbekannten Erben zur Sicherung des Steueraufkommens nicht zu beanstanden.
 

Normenkette

ErbStG § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 9 Abs. 1 Nr. 1, § 16 Abs. 1 Nr. 5, § 31 Abs. 6, § 32 Abs. 2; FGO §§ 57, 58 Abs. 2; ZPO § 53; AO § 34 Abs. 1, § 37 Abs. 1, §§ 38, 85, 90, 119 Abs. 1, § 162 Abs. 1, § 165 Abs. 1; BGB § 1960 Abs. 1 S. 2, § 1961

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 17.06.2020; Aktenzeichen II R 40/17)

 

Tatbestand

Mit notariellem Testament vom 17.12.1996 setzte der Erblasser seine Schwester A zu seiner Alleinerbin ein. Am 09.05.2011 verstarb die Schwester, am 27.02.2014 der Erblasser. Mit Beschluss vom 04.06.2014 ordnete das AmtsgerichtB Nachlasspflegschaft an und bestimmte Rechtsanwalt C zum Nachlasspfleger. Sein Wirkungskreis umfasste die Sicherung und Verwaltung des Nachlasses sowie die Ermittlung der Erben.

Am 23.09.2014 ging die vom Nachlasspfleger abgegebene Erbschaftsteuererklärung beim Beklagten ein. Danach sowie auf Grund von Mitteilungen der Kreditinstitute und von Feststellungsbescheiden über Grundvermögen zum Todestag betrug der Gesamtwert der Nachlassgegenstände 1.821.641 €.

Mit Steuerbescheid vom 27.04.2015 setzte der Beklagte gegenüber dem Nachlasspfleger für die unbekannte Erben 330.810 € Erbschaftsteuer fest, wobei er bei einem Reinnachlass von 1.502.700 € im Wege der Schätzung von 20 unbekannten Erben mit gleichen Erbanteilen der Steuerklasse III ausging. Zur Begründung führte er aus, die Steuerfestsetzung erfolge, weil die Erbenermittlung seit dem Tode des Erblassers noch nicht abgeschlossen sei.

Die Steuerfestsetzung erging unter dem Vorbehalt der Nachprüfung und vorläufig gemäß § 165 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) hinsichtlich der Anzahl der Erben, der Höhe ihrer Erbteile, der Höhe ihrer Freibeträge und der für sie anwendbaren Steuerklasse.

Gegen diesen Bescheid legte der Nachlasspfleger für die Kläger fristgerecht Einspruch ein und trug zur Begründung vor, eine Erbschaftsteuerschuld könne nicht festgesetzt werden, solange die Bemessungsgrundlagen im Einzelfall nicht feststünden.

Zudem werde es auch in diesem Fall Erben geben, deren Erwerb die jeweiligen Freibeträge nicht übersteige. Durch die Steuerfestsetzung würden auch diese Erben mit der Steuer belastet.

Auch sei nicht nur von mindestens 20, sondern sogar von mindestens 30 Erben auszugehen. Dementsprechend sei der Bescheid herabzusetzen.

Die Besteuerung unbekannter Erben sei unzulässig, da Unbekannte nicht an einem Steuerschuldverhältnis beteiligt sein könnten. Zudem stünden weder die Anzahl der Erben, noch die Zusammensetzung der Erbengemeinschaft oder die Höhe des jeweiligen Erbanteils fest. Diese Umstände liefen einer ordnungsgemäßen Steuerfestsetzung diametral entgegen.

Im Streitfall sei auch eine Schätzung nicht möglich, weil er die Steuererklärung ordnungsgemäß abgegeben habe.

Mit Erbschaftsteuerbescheid vom 24.09.2015 setzte der Beklagte die Erbschaftsteuer ausgehend von 30 Erben mit gleichen Erbanteilen der Steuerklasse III auf 265.500 € herab. Der Vorbehalt der Nachprüfung und die Vorläufigkeit nach § 165 Abs. 1 AO blieben - wie bisher - bestehen.

Mit Einspruchsentscheidung vom 14.01.2016 wies der Beklagte den weitergehenden Einspruch als unbegründet zurück und führte dazu aus: Der Nachlasspfleger sei als gesetzlicher Vertreter der unbekannten Erben Bekanntgabeadressat des Erbschaftsteuerbescheids nach § 32 Abs. 2 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) und nicht im eigenen Namen, sondern nur in dem der unbekannten Erben rechtmittelbefugt. Beteiligte seien nur die unbekannten Erben.

Seine Schätzungsbefugnis umfasse auch die Höhe etwaiger Freibeträge und die tatbestandlichen Voraussetzungen der Bestimmung der Steuerklasse.

Die unbekannten Erben seien auch Beteiligte eines Steuerschuldverhältnisses, der Steuerbescheid sei dem Nachlasspfleger bekannt zu geben. Für die Kläger sei die Erbschaftsteuer auch entstanden und damit gebe es auch ein Steuerschuldverhältnis. Nach § 31 Abs. 6 ErbStG sei an Stelle der unbekannten Erben der Nachlasspfleger zur Abgabe der Erbschaftsteuererklärung verpflichtet. Nach § 32 Abs. 2 ErbStG sei ihm der Steuerbescheid bekannt zu geben. Damit seien gerade auch Regelungen für den F...

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