Entscheidungsstichwort (Thema)

Pflicht der Finanzbehörde zur Mitteilung von Besteuerungsgrundlagen rechtfertigt Aussetzung der Vollziehung

 

Leitsatz (redaktionell)

  1. Die unterbliebene Mitteilung der Besteuerungsunterlagen zur Berechnung der pauschalen Lohnsteuer in einem Nachforderungsbescheid hat zur Folge, dass allein aus diesem Grund eine Aussetzung der Vollziehung gerechtfertigt ist.
  2. Hat der Steuerpflichtige nicht bereits hinsichtlich der Unterlagen, die er zum Gegenstand eines Anspruchs aus § 364 AO machen will, Akteneinsicht genommen, kann er nicht auf ein etwaiges Akteneinsichtsrecht im Rechtsbehelfsverfahren verwiesen werden.
  3. Auch das strafprozessuale Akteneinsichtsrecht kann ohne eine entsprechende Vereinbarung des Steuerpflichtigen mit den beteiligten Behörden den Anspruch auf Mitteilung (gem. § 364 AO) nicht ausschließen.
  4. Dem Anspruch aus § 364 AO kann nicht entgegengehalten werden, dass dem Steuerpflichtigen die bei ihm beschlagnahmten Unterlagen ursprünglich bekannt waren.
 

Normenkette

AO § 364; EStG § 40 Abs. 1 S. 1 Nr. 2; StPO §§ 147, 169a; FGO § 69 Abs. 3; GG Art. 103 Abs. 1

 

Streitjahr(e)

2005, 2006

 

Tatbestand

Die Antragstellerin (Astin) ist eine GmbH mit Sitz in Z-Stadt. Es handelt sich um einen Großhandelsbetrieb, dessen Kerngeschäft im Import und dem europaweiten Vertrieb von elektronischen Geräten wie Scannern, DVD-Playern, Digitalkameras etc. liegt. Alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer der Astin ist seit dem 30.11.1999 Herr B, der die chinesische Staatsangehörigkeit besitzt.

Bei der Astin wurde mit Prüfungsanordnung vom 27.1.2004 für den Zeitraum 1999 bis 2002 eine Prüfung des Finanzamtes für Groß- und Konzernbetriebsprüfung (Groß-BP) eingeleitet. Am 24.2.2005 wandte sich der Prüfer an das Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung (Steufa), da er gegen B den Verdacht der Körperschaftsteuer- und Gewerbesteuerhinterziehung zugunsten der Astin hegte. Am 18.4.2005 wurde gegen B ein Steuerstrafverfahren eingeleitet. Am 4.5.2005 ordnete das Amtsgericht die Durchsuchung der Geschäftsräume der Astin und des B an. Bei der Durchsuchung der Geschäftsräume der Astin am 8.6.2005 wurde festgestellt, dass bei Erscheinen der Ermittlungsbeamten mehrere Mitarbeiter fluchtartig das Gelände verließen. Die zurückgelassenen Taschen enthielten Ausweise von chinesischen Studenten. Im Keller des Wohnhauses des B fanden sich Stundenlisten namentlich benannter chinesischer Mitarbeiter. Infolgedessen erweiterte die Steufa am 13.6.2005 das Steuerstrafverfahren gegen B wegen des Verdachts der Hinterziehung von Lohnsteuer (LSt) zugunsten der Astin auf den Zeitraum 1999 bis Mai 2005. Am 4.10.2005 wurde mit einer LSt-Außenprüfung (AP) begonnen. Im AP-Bericht vom 13.1.2006 heißt es zu diesem Punkt (Tz.2 „geringfügig Beschäftigte”):

„Im Rahmen der zurzeit laufenden Steuerfahndungsprüfung wurden bei Durchsuchungsmaßnahmen Unterlagen sichergestellt, deren Auswertung in großem Umfang unversteuerte Arbeitsentgelte an auch zum Teil festbeschäftigte Arbeitnehmer ergaben. Da insbesondere die Steuermerkmale nicht mehr im Einzelnen festzustellen sind, erfolgt eine einheitliche Versteuerung der gezahlten Entgelte mit dem Nettoeingangssteuersatz für die einzelnen Jahre.”

Jahr

Betrag

Steuersatz

LSt

SolZ

ev.KiSt

rk.KiSt

1999

16.390,00

31,40%

5.143,32

282,88

231,45

231,45

2000

36.207,00

29,70%

10.753,48

591,44

483,91

483,91

2001

72,414,00

24,80%

17.958,67

987,73

808,14

808,14

2002

132.437,00

24,80%

32.844,38

1.806,44

1.478,00

1.478,00

2003

198.437,00

24,80%

49.176,91

2.704,73

2.212,96

2.212,96

2004

263.962,00

19,00%

50.152,78

2.758,40

2.256,88

2.256,88

2005

245.005,00

17,60%

43.120,88

2.371,65

1.940,44

1.940,44

Summe

209.150,42

11.503,27

9.411,78

9.411,78

Im Rahmen der strafrechtlichen Ermittlungen ließ sich B in einem (undatierten) Schreiben an die Steufa dahingehend ein, dass die von ihm gegründeten Unternehmen ordnungsgemäß und nicht zum Zwecke der Steuerhinterziehung geführt würden. Es sei zutreffend, dass er, um sich in einem von Verdrängungswettbewerb gekennzeichneten Markt zu behaupten, Verfehlungen begangen habe. Hiermit hätten die in seinem Privathaus geführten Unterlagen jedoch nichts zu tun. Insbesondere ergäben diese Unterlagen keinerlei Aufschluss über tatsächlich angefallene Arbeitsstunden. In den Buchhaltungsunterlagen seien die tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden zutreffend wiedergegeben worden. Die in seinem Arbeitszimmer aufbewahrten Unterlagen hätten einem anderen Zweck gedient. Es handle sich um fiktive Arbeitskosten, deren Darstellung dazu diene, die Verhandlungsposition der Astin bei Lieferanten- und Preisgesprächen zu verbessern. Denn bei den von der Astin vertriebenen elektronischen Geräten gebe es einen bestimmten Prozentsatz an Retouren. Angesichts des relativ geringen Wertes lohne es sich nicht, die Waren nach China zurückzusenden. Vielfach übernehme es die Astin, die Geräte zu untersuchen und ggf. zu reparieren. Für diese Tätigkeit erhalte die Astin von den Lieferanten eine Vergütung, die pausch...

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