rechtskräftig

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Aussetzung der Vollziehung: Lohnsteuerhaftung des Arbeitgebers bei Lohnsteuerabzug nach Steuerklasse I statt Steuerklasse VI, obwohl Lohnsteuerkarten mit entsprechenden Einträgen bzw. entsprechende ELSTAM-Daten nicht vorgelegen haben

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Haftungsinanspruchnahme des Arbeitgebers für Lohnsteuern begegnet keinen ernstlichen Zweifeln, soweit der Arbeitgeber den Lohnsteuerabzug für bei ihm beschäftigte Arbeitnehmer nicht nach Steuerklasse VI, sondern nach Steuerklasse I vorgenommen hat, obwohl die für einen Lohnsteuerabzug nach Steuerklasse I erforderlichen Lohnsteuerkarten mit entsprechendem Lohnsteuerklassen-Eintrag (für das Streitjahr 2012) oder sog. ELSTAM-Daten oder Bescheinigungen des Betriebsstätten-Finanzamts über die sog. Lohnsteuerabzugsmerkmale nicht vorgelegen haben.

2. Die Haftung des Arbeitgebers nach § 42d EStG hat Schadensersatz- und keinen Strafcharakter. Dementsprechend darf eine Haftungsinanspruchnahme nur für die gesetzlich entstandene Lohnsteuer erfolgen. Eine Haftung scheidet zudem aus, wenn (zweifelsfrei) feststeht, dass eine Einkommensteuerschuld des Arbeitnehmers nicht oder nicht in Höhe des Lohnsteuerabzugs entstanden ist.

3. Das Betriebsstätten-Finanzamt, bei dem die Lohnsteuer anzumelden und an das sie anschließend abzuführen ist, ist nicht verpflichtet, eine sog. „Schattenveranlagung” der Arbeitnehmer durchzuführen.

4. Die eTIN bietet anders als die Identifikationsnummer kein verlässliches Instrument für eine korrekte Erfassung aller Lohndaten eines Arbeitnehmers.

 

Normenkette

EStG § 42d Abs. 1 Nrn. 1, 3, § 39 Abs. 2-3, § 39c Abs. 1; AO § 191 Abs. 1; FGO § 69 Abs. 3 S. 1, Abs. 2 S. 2

 

Nachgehend

BFH (Beschluss vom 28.06.2019; Aktenzeichen VI B 103/18)

 

Tenor

Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Haftungsbescheides vom 29. August 2017 in Gestalt des ergänzenden Bescheids vom 10. September 2018 über die bereits gewährte Aussetzung in Höhe von 1 410,13 EUR (Lohnsteuer) sowie 89,79 EUR (Solidaritätszuschlag zur Lohnsteuer) hinaus wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens werden der Antragstellerin auferlegt.

Die Beschwerde wird zugelassen.

 

Tatbestand

I.

Die Beteiligten streiten um die Frage, ob der Antragsgegner die Antragstellerin als Arbeitgeberin wegen rückständiger Lohnsteuern nebst Solidaritätszuschlägen hierzu für den Zeitraum Februar 2012 bis Dezember 2015 in Höhe von rund 2, 1 Mio. EUR gemäß § 191 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) in Verbindung mit § 42 d Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in Haftung nehmen kann.

Die Antragstellerin ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, die als eines von insgesamt sieben Tochterunternehmen zu einem Konzern gehört. Konzernmutter war in den Streitjahren die B. GmbH mit Sitz in C.. Die Antragstellerin ist als Werkvertragsunternehmen auf dem Gebiet der Bauwirtschaft tätig. Im hier maßgebenden Zeitraum von 2012 bis 2015 erbrachte die Antragstellerin aufgrund von Werkverträgen für verschiedene deutsche Auftraggeber Bauleistungen. Hierbei setzte sie eine Vielzahl eigener Arbeitnehmer mit polnischer Staatsangehörigkeit ein. Diese Arbeitnehmer erfasste sie in ihrer Buchführung mit der Schlüsselung „Staatsangehörigkeit 152”.

Ausweislich ihrer Jahresabschlüsse erzielte die GmbH in den Jahren 2012 bis 2017 folgende Umsätze und Betriebsergebnisse mit folgender Anzahl von Arbeitnehmern [vgl. Bl. 98 R d. A.]:

Anzahl der Beschäftigten:

Umsatz:

Betriebsergebnis:

2012

698

4 033 000 EUR

280 000,00 EUR

2013

923

8 051 077 EUR

422 324,31 EUR

2014

971

7 022 200 EUR

893 764,33 EUR

2015

1 591

9 573 689 EUR

705 815,66 EUR

2016

8 104 207,97 EUR

./. 1 038 106,07 EUR

2017

8 007 943,94 EUR

60 673,81 EUR

In den Bilanzen zum 31. Dezember 2016 und zum 31. Dezember 2017 sind folgende Verbindlichkeiten gegenüber dem Antragsgegner enthalten:

2016: Konto 4901: Haftungsinanspruchnahme LSt-Außenp. i. H. v. 1 592 828,70 EUR

2017: Konto 4350: Haftungsinanspruchnahme LSt i. H. v. 530 942,89 EUR

Im Rahmen einer durch das vom Antragsgegner mit der Prüfung beauftragte Finanzamt D. durchgeführten Lohnsteuer-Außenprüfung betreffend den Zeitraum 01.01.2012 bis 31.12.2015 – deren Ergebnisse im Lohnsteuer-Außenprüfungsbericht vom 02.06.2017 zusammengefasst sind, auf den der Senat wegen des weiteren Inhalts ergänzend Bezug nimmt – stellten die beiden Prüfer fest, dass die Antragstellerin die Lohnsteuer für die in der Buchführung mit der Schlüsselung „Staatsangehörigkeit 152” erfassten Arbeitnehmer ausnahmslos nach Lohnsteuerklasse I berechnet hatte, obwohl für diese Arbeitnehmer weder Lohnsteuerkarten oder Lohnsteuerkarten-Ersatzbescheinigungen nach § 52 b Abs. 3 EStG mit einem entsprechenden Eintrag „Lohnsteuerklasse I” (betrifft nur das Streitjahr 2012) noch sog. ELSTAM-Daten noch Bescheinigungen des Antragsgegners als sog. Betriebsstätten-Finanzamt (FA) im Sinne von § 39 Abs. 2 oder 3 EStG über die sog. Lohnsteuerabzugsmerkmale vorgelegen haben (das Verfahren über die Bildung und den Abruf der elektronischen Lohnsteue...

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