Entscheidungsstichwort (Thema)

Förmliche Zustellungen durch private Postdienstleister sind umsatzsteuerpflichtig

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Förmliche Zustellungen sine keine Universaldienstleistung im Sinne von Art 132 Abs. 1 Buchst. a der Mehrwertsteuersystemrichtlinie. Ihre Erbringung durch private Postdienstleister ist umsatzsteuerpflichtig.

2. Da sich die Dienstleistungen Einschreibsendung und Postzustellungsauftrag in wesentlichen Punkten unterscheiden, liegt in deren umsatzsteuerlicher Ungleichbehandlung kein Verstoß gegen Art 3 GG.

 

Normenkette

UStG § 4 Nr. 11b; EGRL 112/2006 Art. 132 Abs. 1 Buchst. a; EGRL 67/97 Art. 3 Abs. 4; GG Art. 3 Abs. 1; PostG § 11 Abs. 1; PUDLV § 1

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 06.02.2020; Aktenzeichen V R 36/19 (V R 30/15))

BFH (Urteil vom 06.02.2020; Aktenzeichen V R 36/19)

BFH (Beschluss vom 31.05.2017; Aktenzeichen V R 30/15)

 

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger (Kl) ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der S Holding AG, der Insolvenzschuldnerin (S). Diese ist Unternehmerin und Organträgerin einer umsatzsteuerlichen Organschaft. Sie erbringt im Rahmen ihres Unternehmens durch verschiedene Organgesellschaften im wesentlichen Postdienstleistungen. Im Streitzeitraum führte sie unter anderem durch ein bundesweit strukturiertes Zustellnetz Postzustellungsaufträge im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland aus, die sie als umsatzsteuerfrei behandelte.

Auf Antrag verschiedener Organgesellschaften der S wurden die beantragten Entgelte für förmliche Zustellungen in Höhe von 2,50 EUR bis 3,44 EUR (jeweils ohne die gesetzlich geschuldete Umsatzsteuer – USt –) durch Beschlüsse der Bundesnetzagentur vom 11. Mai 2006, vom 3. November 2006, vom 11. Dezember 2006, vom 11. Mai 2007, vom 15. Mai 2008, vom 27. Juni 2008, vom 19. Oktober 2009 und vom 6. Mai 2010 genehmigt. Wegen der Einzelheiten wird auf die in den Akten befindlichen Beschlüsse Bezug genommen (Rechtsbehelfsakten I, Bl. 52-96).

Anlässlich einer bei S durchgeführten USt-Sonderprüfung für die Besteuerungszeiträume 08/2008 bis 05/2009 vertrat der Prüfer die Ansicht, die Umsätze aus förmlichen Zustellungen seien steuerpflichtig. Der Beklagte (Bekl) schloss sich dieser Auffassung an und behandelte die Umsätze in den geänderten USt-Vorauszahlungsbescheiden für die Monate August 2008 bis Mai 2009 vom 20. April 2010 (08/2008 bis 02/2009) und 22. April 2010 (03/2009 bis 05/2009) als steuerpflichtig.

Gegen diese geänderten Bescheide legte S Einspruch ein, den der Bekl mit Einspruchsentscheidung vom 16. November 2010 als unbegründet zurückwies.

Mit ihrer am 30. Januar 2012 erhobenen Klage begehrt der Kl die USt-Freiheit der von S erzielten Umsätze aus förmlichen Zustellungen. Die Befreiung ergebe sich unmittelbar aus Art. 132 Abs. 1 Buchstabe a der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2005 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL). Soweit § 4 Nr. 11b des Umsatzsteuergesetzes in der bis zum 30. Juni 2010 geltenden Fassung (UStG a.F.) dem entgegenstehe, könne sie sich unmittelbar auf die MwStSystRL berufen. Die innerstaatliche Vorschrift setze die Richtlinie nicht vollständig um. Die Steuerbefreiung begünstige ausweislich der Titelüberschrift bestimmte, dem Gemeinwohl dienende Tätigkeiten und nicht bestimmte Unternehmen. Es gehe darum, dass bestimmte, für die Allgemeinheit wichtige „Tätigkeiten” nicht durch staatliche Abgaben unnötig verteuert würden. Von der Richtlinienregelung würden somit alle Unternehmen ungeachtet ihrer Rechtsform erfasst, die mit ihren Postdienstleistungen dem Gemeinwohl dienen, d.h. einen öffentlichen Auftrag im Rahmen der Daseinsvorsorge erfüllen würden. Die förmliche Zustellung stelle eine Universaldienstleistung im Sinne der Richtlinie 97/67/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Dezember 1997 über gemeinsame Vorschriften für die Entwicklung des Binnenmarktes der Postdienste der Gemeinschaft und die Verbesserung der Dienstequalität, zuletzt geändert durch Richtlinie 2008/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Februar 2008 (nachfolgend: Post-RL) dar. Zur Umsetzung der Post-RL sei nach Auffassung des Bekl das Postgesetz sowie die Post-Universaldienstleistungsverordnung (PUDLV) erlassen worden. Diese sei jedoch nicht als europarechtskonform anzusehen, da sie die Anforderungen des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) in seinem Urteil TNT Post UK vom 23. April 2009 (C-357/07, EU:C:2009:248, Umsatzsteuer-Rundschau – UR – 2009, 348) nicht umsetze. Sie sei vor dieser Entscheidung entstanden, zu einer Zeit des deutschen Postmonopols. Falls doch von einer europarechtskonformen Umsetzung der PUDLV auszugehen sei, falle der Postzustellungsauftrag unter die in der PUDLV genannte „Einschreibsendung”. § 1 Abs. 2 Nr. 1 PUDLV bestimme, dass die Briefbeförderung auch die Sendungsform „Einschreibsendung” umfasse. Zwar werde der Postzustellungsauftrag in der PUDLV nicht ausdrücklich gen...

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