Leitsatz

1. Eine Bindung des Revisionsgerichts an die tatsächlichen Feststellungen des FG tritt nicht ein, wenn diesen eine hinreichende Grundlage fehlt, die das Revisionsgericht in die Lage versetzt nachzuvollziehen, wie das FG zu der seine Entscheidung tragenden Überzeugung gelangt ist.

2. Der Tatrichter kann ausnahmsweise allein aufgrund einer Würdigung des streitigen Vortrags eines der Beteiligten zu der für seine Entscheidung erforderlichen Überzeugung vom Vorliegen einer Tatsache gelangen; dann muss dieser Vortrag aus sich heraus so überzeugend und nahe liegend erscheinen, dass es der Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung ausnahmsweise gestattet, sich über eine gegenteilige Behauptung eines anderen Beteiligten hinwegzusetzen.

3. Die Vorlage einer privatschriftlichen Bekundung über eine beweiserhebliche Tatsache ist keine Beweisführung, sondern Beteiligtenvortrag, und zwar auch dann, wenn es sich um die Erklärung eines Dritten handelt. Sie stellt jedenfalls dann keinen zulässigen Urkunds- oder gar Zeugenbeweis dar, wenn sie an die Stelle einer ohne weiteres möglichen Vernehmung des Ausstellers der betreffenden Bescheinigung als Zeuge gesetzt wird.

4. Ein Verstoß gegen die Vorschriften der RL 91/628/EWG über den Schutz von Tieren beim Transport hat den Verlust des Anspruchs auf Ausfuhrerstattung zur Folge, ohne dass dies zusätzlich davon abhängig wäre, dass tatsächliche Feststellungen dazu getroffen werden können, dass das Wohlbefinden der Tiere während des Transports beeinträchtigt war. Diese Regelung des Gemeinschaftsrechts verletzt den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht.

 

Normenkette

§ 81 Abs. 1 FGO , § 82 FGO , § 118 Abs. 2 FGO, RL , Art. 13 Abs. 9 VO Nr. 805/68 , 91/628/EWG , Art. 1 VO Nr. 615/98

 

Sachverhalt

33 lebende Rinder waren nach Marokko ausgeführt worden. Dafür Ausfuhrerstattung zu gewähren, lehnte das HZA aber ab, weil während des Transports der Tiere die Bestimmungen der Richtlinie 91/628/EWG nicht eingehalten worden seien; die in der Richtlinie vorgeschriebenen Ruhepausen seien nicht eingelegt worden. Der Ausführer legte daraufhin im Einspruchsverfahren Bescheinigungen der Geschäftsführer der mit der Beförderung der Tiere beauftragten Transportunternehmen vor, dass die Fahrer der beiden Lkw genau wie vorgeschrieben nach jeweils 14 Stunden eine zweistündige Fahrpause eingelegt hätten.

Das FG zeigte sich aufgrund dieser Bescheinigungen überzeugt, dass die Richtlinie beachtet worden sei. Überdies könne Ausfuhrerstattung nur versagt werden, wenn die Nichteinhaltung der gemeinschaftsrechtlichen Tierschutzvorschriften nachweislich zu einer Beeinträchtigung des Wohls der Tiere geführt habe. Hierzu lasse sich den Sachakten kein Hinweis entnehmen.

 

Entscheidung

Der BFH hat das Urteil aufgehoben und die Sache zurückverwiesen. Die vom FG getroffene Feststellung, dass die vorgeschriebenen Ruhepausen eingelegt worden seien, bindet den BFH nicht nach § 118 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 FGO, weil das FG bei der Aufklärung des Sachverhalts die Grenzen, die freier richterlicher Beweiswürdigung gesetzt sind, überschritten hat. Die zeitnah zu den Transporten erstellten Transportpläne bezeugen nämlich das Gegenteil; ihnen stehen die Bescheinigungen entgegen, die als ausreichenden Beweis anzusehen auch die Freiheit tatrichterlicher Überzeugungsbildung nicht gestattet.

Auch die zweite selbstständig tragende Begründung des FG-Urteils ist unrichtig. Das Gemeinschaftsrecht ordnet den Verlust des Erstattungsanspruchs bei Nichtbeachtung der Vorschriften der genannten Richtlinie an. Ob durch einen Verstoß gegen die Richtlinie das Wohlbefinden der Tiere im Einzelfall tatsächlich beeinträchtigt worden ist, ist nicht maßgeblich.

 

Hinweis

1. Die Feststellung des für die Entscheidung eines Rechtsstreits maßgeblichen Sachverhalts obliegt nach § 118 Abs. 2 FGO dem FG. Der BFH muss bei seiner Rechtsprüfung von dem Sachverhalt ausgehen, den das FG zugrunde gelegt hat. Dieser Grundsatz gilt jedoch nicht ausnahmslos. § 118 Abs. 2 FGO ist kein Freibrief für das FG, einen Sachverhalt zu unterstel-len, der nicht erwiesen ist; die Vorschrift räumt dem FG vielmehr lediglich ein Bewertungsvorrecht im Hinblick auf die aus den ihm vorliegenden Beweismittel zu ziehenden Schlussfolgerungen ein. Verstöße gegen die Verfahrensordnung, gegen die Denkgesetze oder gegen allgemeine Erfahrungssätze hat die revisionsrichterliche Rechtsprechung seit jeher nicht hingenommen. Sie ist allerdings im Allgemeinen sehr zurückhaltend bei der Überprüfung tatrichterlicher Feststellungen. Die eben genannte Formel von den Grenzen der Freiheit tatrichterlicher Sachverhaltsfeststellung findet sich daher zumeist in einem gleichsam defensiven Kontext, um solche Feststellungen nicht kritisch überprüfen zu müssen.

Anders in der Besprechungsentscheidung! Sie hebt die Grenzen hervor, die der Tatrichter bei der Sachverhaltsfeststellung beachten muss: Er muss als Erstes die Grundsätze beachten, die für das Verfahren der Beweiserhebung aufgestellt sind; dazu gehören der Kano...

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