Anwendung von EuGH-Urteilen ...: Zunächst stellt sich natürlich die Frage, ob es eine Notwendigkeit gab, diese Neuregelungen im UStAE zu implementieren. Diese Frage ist im Grunde genommen zu bejahen. Schließlich sind die Behörden eines Mitgliedstaats verpflichtet, das Mehrwertsteuerrecht unionsrechtskonform in seiner Auslegung durch den EuGH anzuwenden. Außerdem hatte der EuGH die Aussagen, die er im Urteil vom 29.6.2017 getroffen hatte, in einem Urteil vom 8.11.2018 noch einmal bestätigt.[23]

... nur, wenn rechtssichere Anwendung möglich: Unter Berücksichtigung aller Aspekte muss man die Frage allerdings wohl verneinen. So sind die Aussagen des EuGH in den beiden vorgenannten Urteilen zu diesem Punkt so allgemein, dass eine rechtssichere "Umsetzung" mit Blick auf die vielfältigen Leistungen, die i.Z.m. der Ausfuhr erbracht werden, in der Praxis kaum möglich ist und damit vor der "Umsetzung" dieser Urteile noch diverse Punkte zu klären wären.[24]

Entscheidung A Oy: Des Weiteren ist zu beachten, dass der EuGH nur knapp zwei Monate vor dem Urteil vom 29.6.2017 in der Rechtssache A Oy entschieden hatte, dass Leistungen, die im Be- und Entladen eines Seeschiffes bestehen, auch dann steuerfrei sein können, wenn sie

  • nicht an den Betreiber des Schiffes erbracht werden, sondern auf einer vorhergehenden Handelsstufe (also durch einen Unterauftragnehmer an den Auftragnehmer) bzw.
  • an den Verfügungsberechtigten dieser Ladung, etwa deren Ausführer oder Einführer, erbracht werden.[25]

Im entschiedenen Fall hatte die die Klägerin des Ausgangsverfahrens ihre Be- und Entladeleistungen durch einen Unterauftragnehmer ausführen lassen, der die Leistungen ihr in Rechnung stellte, während sie sie wiederum an ihre Muttergesellschaft, den Inhaber der Waren, den Befrachter, das Beförderungsunternehmen oder den Reeder weiterberechnete.[26]

Ermittlung des systematischen Ansatzes: Es wäre also sicher sinnvoll gewesen zunächst zu ergründen, wie die Aussagen der beiden Urteile vom 29.6.2017 und vom 4.5.2017 im Zusammenhang zu verstehen sind bzw. welche (Gesamt-)Systematik der "Unmittelbarkeit" hinter den in Titel IX der MwStSystRL aufgeführten Steuerbefreiungen steht. Stückwerk hilft den Unternehmen, die die Urteile und Verwaltungsanweisungen letztendlich "ausbaden" müssen, nicht weiter. Insofern wäre es sicher vertretbar gewesen, von einer Änderung der deutschen Verwaltungsanweisungen abzusehen, bis – EU-weit einheitlich[27] – geklärt ist, was eigentlich genau gemeint ist. Insbesondere wäre auch interessant gewesen zu wissen, warum der EuGH es für so bedeutsam hielt, C habe seine Leistungen unter Verwendung von Fahrzeugen erbracht, die im Eigentum von B standen, dass er diesen Umstand in den Entscheidungsgründen noch einmal hervorhob.[28]

Keine Minderung des Steueraufkommens: Dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass dem Steueraufkommen so oder so kein Cent verloren gehen sollte. Rechneten nämlich früher die Unterauftragnehmer ohne MwSt an die Auftragnehmer ab, müssen sie jetzt mit MwSt abrechnen. Die Steuer ist aber für die Auftragnehmer als Vorsteuer abzugsfähig. Fiskalisch also im Prinzip ein Nullsummenspiel.[29]

Dafür aber jetzt Gefährdung: Die neue Auffassung der Verwaltung schafft allenfalls wieder Potential für Steuerausfälle: Fällt nämlich der Unterauftragnehmer nach Leistungserbringung und Abrechnung mit MwSt in Insolvenz oder verschwindet er auf sonstige Weise (Stichwort "Karussellbetrug"), bleibt dem Fiskus eine wertlose Forderung. Für den Auftragnehmer ist die vom Unterauftragnehmer in Rechnung gestellte und an diesen gezahlte MwSt gleichwohl als Vorsteuer abzugsfähig.[30] Man kann also die Mehrwertsteuer auch künstlich betrugsanfällig machen.[31]

[23] EuGH v. 8.11.2018 – C-495/17 – Cartrans Spedition SRL, UR 2018, 908 Rz. 35. Wobei in diesem Fall nicht klar wird, inwiefern die Aussage für die Entscheidung über den (auch in diesem Fall nur sehr rudimentär dargestellten) Sachverhalt relevant sein soll.
[24] S. dazu unten die nachfolgenden Ausführungen (ab IV.).
[25] EuGH v. 4.5.2017 – C-33/16 – A Oy, UR 2017, 468 Rz. 46.
[26] EuGH v. 4.5.2017 – C-33/16 – A Oy, UR 2017, 468 Rz. 10.
[27] S. dazu unten X.
[28] Vgl. oben II.2.
[29] Es sei denn die Finanzverwaltung sieht hier (wieder einmal) die Möglichkeit, durch Bemängelung von Formalien (fehlerhafte Rechnungen, fehlende Belege etc.) Steuern beim Leistenden zu erheben und den Vorsteuerabzug beim Leistungsempfänger zu versagen oder zumindest durch rückwirkende Steuererhebung oder Vorsteuerversagung Zinsaufkommen zu kreieren. Honni soit qui mal y pense.
[30] Vgl. z.B. EuGH v. 6.12.2012 – C-285/11 – Bonik EOOD, UR 2013, 195 Rz. 28.
[31] So wird auch eigentlich generell – gerade "andersherum" – versucht, z.B. durch die Ausweitung des Reverse-Charge-Verfahrens (Art. 199a und 199b MwStSystRL) bzw. durch eine generelle Reverse-Charge-Besteuerung (vgl. Art. 199c MwStSystRL) den Steuerausweis im zwischenunternehmerischen Bereich zu vermindern bzw. gänzlich zu eliminieren, um den Mehrwertsteuerbetrug z...

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