Leitsatz

Dem EuGH wird folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

§ 15 Abs. 1 Satz 2 des deutschen UStG bestimmt, dass die Lieferung, die Einfuhr oder der innergemeinschaftliche Erwerb eines Gegenstands, den der Unternehmer zu weniger als 10 % für sein Unternehmen nutzt, nicht als für das Unternehmen ausgeführt gilt – und schließt insoweit den Vorsteuerabzug aus.

Die Regelung beruht auf Art. 1 der Entscheidung des Rates vom 19.11.2004 (2004/817/EG), der Deutschland ermächtigt, abweichend von Art. 17 Abs. 2 der 6. EG-RL Ausgaben für solche Gegenstände und Dienstleistungen vom Abzug der Mehrwertsteuer auszuschließen, die zu mehr als 90 % für private Zwecke des Steuerpflichtigen oder seines Personals oder allgemein für unternehmensfremde Zwecke genutzt werden.

Gilt diese Ermächtigung entsprechend ihrem Wortlaut nur für die in Art. 6 Abs. 2 der 6. EG-RL (Art. 26 MwStSystRL) geregelten Fälle oder darüber hinaus in sämtlichen Fällen, in denen ein Gegenstand oder eine Dienstleistung nur teilweise unternehmerisch genutzt wird?

 

Normenkette

§ 15 Abs. 1 Satz 2, § 2 Abs. 1 und 3, § 15 Abs. 1 UStG, Art. 13, Art. 26 Abs. 1 Buchst. a, Art. 168 Buchst. a MwStSystRL

 

Sachverhalt

Der Kläger ist ein Landkreis. Ihm obliegt als hoheitliche Aufgabe u.a. der Bau, die Unterhaltung und die Erhaltung der Verkehrssicherheit der Straßen in seinem Gebiet. Diese Aufgaben erfüllte der Kläger durch einen Eigenbetrieb ohne Rechtspersönlichkeit mit der Bezeichnung "Kreisstraßenbetrieb".

Der Kläger erwarb verschiedene Gegenstände (Arbeitsmaschinen, Nutzfahrzeuge und Zubehörteile). Diese verwendete er zu 97,35 % für die von ihm im Rahmen der öffentlichen Gewalt als Träger der Straßenbaulast erbrachten Leistungen und – wozu er nach seiner Betriebssatzung befugt war – zu 2,65 % für die Erbringung von steuerpflichtigen Leistungen gegenüber Dritten.

Das FA ließ die vom Kläger zu 2,65 % der Anschaffungskosten geltend gemachten Vorsteuerbeträge nicht zum Abzug zu, weil die angeschafften Gegenstände nicht gemäß § 15 Abs. 1 Satz 2 UStG zu mindestens 10 % für das Unternehmen des Klägers genutzt worden seien.

Das FG wies die Klage ab (FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 17.1.2013, 7 K 7132/10, Haufe-Index 3688550, EFG 2013, 987).

 

Entscheidung

Der BFH setzte das Revisionsverfahren aus und legte die Sache dem EuGH zur Vorabentscheidung vor.

§ 15 Abs. 1 Satz 2 UStG schließt in sämtlichen Fällen den Vorsteuerabzug aus, in denen ein Gegenstand zu weniger als 10 % vom Unternehmer für sein Unternehmen genutzt wird. Die Vorschrift sollte nach der Gesetzesbegründung eigentlich nur beim Zusammentreffen von Eigenverbrauch (unent­geltlicher Wertabgabe) und unternehmerischer ­Nutzung gelten und nur Fahrzeuge sowie andere Gegenstände erfassen, die neben einem Eigenverbrauch nur ganz geringfügig für unternehmerische Zwecke genutzt werden.

Die § 15 Abs. 1 Satz 2 UStG zugrunde liegende Entscheidung 2004/817/EG ermächtigt dem Wortlaut nach die Bundesrepublik Deutschland (nur dann) zum Vorsteuerausschluss, wenn ein Gegenstand für private Zwecke des Steuerpflichtigen oder seines Personals oder allgemein für unternehmensfremde Zwecke genutzt wird – also in den Fällen des Eigenverbrauchs.

Der BFH hat Zweifel daran, ob die Entscheidung 2004/817/EG (als Ausnahmeregelung) entsprechend dem (engen) Wortlaut nur in Fällen des Eigenverbrauchs oder ob sie auch in sonstigen Fällen gilt, etwa dann, wenn Gegenstände vom Steuerpflichtigen nicht zu mehr als 90 % für seinen Eigen­verbrauch verwendet werden, sondern – wie im Ausgangsverfahren – zu mehr als 90 % für nicht wirtschaftliche Tätigkeiten, die nicht in den Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer fallen (für hoheitliche Aufgaben).

 

Hinweis

Das Recht auf Vorsteuerabzug ist nach ständiger Rechtsprechung des EuGH integraler Bestandteil des Mehrwertsteuersystems und kann grundsätzlich nicht eingeschränkt werden. Durch die Abzugsregelung soll der Unternehmer vollständig von der im Rahmen seiner wirtschaftlichen Tätigkeiten geschuldeten oder entrichteten Mehrwertsteuer entlastet werden. Steuerpflichtige können sich gegenüber einer mit dem Unionsrecht unvereinbaren nationalen Regelung bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen unmittelbar auf das günstigere Unionsrecht berufen.

Der EuGH hat entschieden, dass das Recht auf Vorsteuerabzug für den Steuerpflichtigen uneingeschränkt besteht, "wie gering auch immer der Anteil der Verwendung für unternehmerische Zwecke sein mag. Eine Vorschrift oder eine Verwaltungspraxis, die das Recht auf Vorsteuerabzug im Falle einer begrenzten, gleichwohl aber tatsächlichen unternehmerischen Verwendung allgemein einschränkt, stellt eine Abweichung von Artikel 17 der Sechsten Richtlinie dar und ist nur gültig, wenn sie den Anforderungen des Artikels 27 Absatz 1 oder des Artikels 27 Absatz 5 der Sechsten Richtlinie genügt" (vgl. EuGH, Urteil vom 11.7.1991, C-97/90, Lennartz, Haufe-Index 60604, EuZW 1991, 539, Rz. 35).

Die Entscheidung 2004/817/EG beruht auf Art. 27 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie.

 

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