Leitsatz

1. Zur Auslegung von Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL:

a) Kann ein Mitgliedstaat das ihm eingeräumte Ermessen zur Anerkennung als Einrichtung mit sozialem Charakter dahingehend ausüben, dass er zwar Personen anerkennt, die ihre Leistungen an Sozial- und Pflegekassen erbringen, nicht aber auch staatlich geprüfte Pflegekräfte, die ihre Leistungen unmittelbar an Pflegebedürftige erbringen?

b) Falls staatlich geprüfte Pflegekräfte als soziale Einrichtung anzuerkennen sind:

Ergibt sich die Anerkennung einer Zeitarbeitsfirma, die staatlich geprüfte Pflegekräfte an anerkannte Pflegeeinrichtungen (Zieleinrichtungen) verleiht, aus der Anerkennung des verliehenen Personals?

2. Zur Auslegung von Art. 134 Buchst. a MwStSystRL:

Ist die Gestellung von staatlich geprüften Pflegekräften für die Erbringung von Pflegeleistungen der Zieleinrichtung (Entleiher) als eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundener Umsatz unerlässlich, wenn die Zieleinrichtung ohne Personal nicht tätig werden kann?

 

Normenkette

§ 4 Nr. 16 Satz 1 Buchst. k UStG 2005, Art. 132 Abs. 1 Buchst. g, Art. 134 Buchst. a MwStSystRL

 

Sachverhalt

Die Klägerin, eine OHG, verlieh als Zeitarbeitsfirma im Streitjahr 2010 auf der Grundlage des Gesetzes zur Regelung der Arbeitnehmerüberlassung bei ihr angestellte Pflegefachkräfte (Krankenpfleger, Krankenschwestern, Altenpfleger und Altenpflegerinnen) an stationäre und ambulante Pflegeeinrichtungen i.S.v. § 4 Nr. 16 UStG. Die Arbeitnehmer der Klägerin waren organisatorisch in die jeweilige Pflegeeinrichtung eingegliedert. Sie führten die Pflegeleistungen im Auftrag dieser Einrichtung durch und waren insoweit weisungsgebunden. Die Dienst- und Fachaufsicht über die Tätigkeit der Leiharbeitnehmer/-innen oblag ebenfalls der betreffenden Pflegeeinrichtung. Das FA sah die Tätigkeit der Klägerin als umsatzsteuerpflichtig an. Dem schloss sich das FG an (FG Hamburg, Urteil vom 24.11.2011, 6 K 233/10, Haufe-Index 2905710).

 

Entscheidung

Der BFH hatte Zweifel an der zutreffenden Auslegung des Unionsrechts und hat daher die in den Leitsätzen wiedergegebenen Fragen dem EuGH im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens nach Art. 267 AEUV vorgelegt. Das Verfahren ist beim EuGH als Rechtssache "go fair" Zeitarbeit (C-594/13) anhängig.

 

Hinweis

1. § 4 Nr. 16 UStG befreit Pflegeleistungen unter der Bedingung, dass die Leistung entweder durch eine juristische Person des öffentlichen Rechts oder durch einen Unternehmer erbracht wird, der in einer vertraglichen Beziehung zu einer Pflege-, Sozial- oder Krankenkasse steht.

a) Danach sind z.B. die Pflegeleistungen einer nach dem Altenpflegegesetz zugelassene Pflegekraft, die selbstständig und aufgrund von Verträgen tätig ist, die sie unmittelbar mit pflegebedürftigen Personen abgeschlossen hat, von der Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 16 UStG ausgeschlossen.

b) Ob dies mit Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL vereinbar ist, kann man bezweifeln. Personenbezogen verlangt diese Regelung eine Anerkennung als Einrichtung mit sozialem Charakter.

Bei der Bestimmung, wer anzuerkennen ist, verfügen die Mitgliedstaaten über ein Ermessen. Zu berücksichtigen haben die Mitgliedstaaten bei ihrer Ermessensausübung insbesondere das mit den Tätigkeiten verbundene Gemeinwohlinteresse, die Tatsache, dass andere Steuerpflichtige mit den gleichen Tätigkeiten bereits in den Genuss einer ähnlichen Anerkennung kommen, und die Übernahme der Kosten der fraglichen Leistungen zum großen Teil durch Krankenkassen oder anderen Einrichtungen der sozialen Sicherheit.

c) Fraglich ist, ob der nationale Gesetzgeber sein Ermessen dadurch fehlerhaft ausgeübt hat, dass Berufsregelungen für Pflegeberufe für die Anerkennung und damit für die Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 16 UStG unerheblich sind. So sind nach nationalem Recht z.B. Gesundheits- und Krankenpfleger nicht anerkannt, während ein Gesundheits- und Krankenpfleger, der einen Versorgungsvertrag mit den Pflegekassen i.S. d. § 72 SGB XI abgeschlossen hat, als anerkannt angesehen wird. Damit differenziert das nationale Recht für die Frage der Anerkennung nach einem Umstand, der im Hinblick auf die Qualität der Leistung unter Berücksichtigung der Ausbildung des betreffenden Dienstleistungserbringers unerheblich ist.

2. Sind staatlich geprüfte Pflegekräfte als soziale Einrichtung anzuerkennen, die steuerfreie Pflegeleistungen erbringen, stellt sich die weitere Frage, ob auch die Gestellung derartiger Pflegekräfte durch eine Zeitarbeitsfirma steuerfrei sein kann.

Für eine derartige Sichtweise spricht, dass der EuGH die Personalgestellung bereits in der Vergangenheit als eng mit der Sozialfürsorge und sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistung angesehen hat und dass sich die unternehmerbezogene Anerkennung aus der Anerkennung des Personals ergeben kann, das für den Unternehmer tätig ist.

3. Art. 134 Buchst. a MwStSystRL schließt nicht unerlässliche Umsätze von der Steuerfreiheit aus. Der EuGH hat hierzu entschieden, dass z.B. eine vorübergehende Überlassung von Lehrkräften...

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