Umsatzsteuerbefreiung für Leistungen einer Hygienefachkraft

Das FG Münster hat entschieden, dass die Leistungen einer selbstständigen Hygienefachkraft gegenüber Alten- und Pflegeeinrichtungen gem. Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL umsatzsteuerfrei sind.

Das FG Münster hat festgestellt: Infektionshygienische Leistungen sind nur steuerfrei gemäß § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG, wenn ein unmittelbarer Bezug zu einer Heilbehandlungstätigkeit in Krankenhäusern oder anderen medizinischen Einrichtungen besteht. Das Vorliegen einer Heilbehandlung kann ohne Nachweis im Einzelfall nicht ohne Weiteres unterstellt werden.

Der Ausschluss des Steuerpflichtigen von der Steuerbefreiung für eng mit der Betreuung oder Pflege hilfsbedürftiger Personen verbundener Leistungen durch die in § 4 Nr. 16 UStG aufgestellten Voraussetzungen ist nicht mit der in Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL geregelten Steuerbefreiung vereinbar. Die Unvereinbarkeit führt zur unmittelbaren Anwendbarkeit der Richtlinienvorschrift, deren Voraussetzungen der Steuerpflichtige erfüllt.

Leistungen einer Hygiefachkraft

Worum ging es in dem Fall vor dem FG Münster? Strittig ist, ob und inwieweit der Kläger als selbständige "Hygienefachkraft" an "Alten- bzw. Pflegeheime" im Streitjahr 2012 umsatzsteuerfreie Dienstleistungen erbracht hat. Für das Jahr 2008 hatte der BFH Urteil vom 05.11.2014 - XI R 11/13, entschieden, dass die infektionshygienischen Leistungen des Klägers an Krankenhäuser steuerfrei sind. Betreffend den infektionshygienischen Leistungen des Klägers an "Alten- bzw. Pflegeheime" sollte dagegen die Vorinstanz FG Münster prüfen, ob insoweit die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 16 Buchst. d UStG a. F., § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG a. F. oder Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL greifen könnten (die Rückverweisung endete mit einer einvernehmlichen Erledigung für das Jahr 2008). Für das jetzige Streitjahr 2012 sind nach Auffassung des Finanzamts die infektionshygienischen Leistungen des Klägers an "Alten- bzw. Pflegeheime" weder steuerfrei nach § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG noch nach § 4 Nr. 16 UStG.

Steuerfreiheit nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL

Die Leistungen des Klägers an Alten- und Pflegeheime sind nicht steuerfrei nach § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG oder § 4 Nr. 14 Buchst. e UStG bzw. nach § 4 Nr. 16 Buchst. d UStG, § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG oder § 4 Nr. 16 Buchst. h UStG. Jedoch kann sich der Kläger nach Auffassung des FG Münster unmittelbar auf die unionsrechtliche Befreiung des Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL berufen.

Bei den Leistungen des Klägers an Alten- und Pflegeheime handelt es sich weder um eine "ärztliche Heilbehandlung" noch um eine infektionshygienische Leistung im Sinne des § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG bzw. des – mit Wirkung zum 01.07.2013 (also nach dem Streitjahr 2012) – eingeführten § 4 Nr. 14 Buchst. e UStG. Für beide Befreiungsnormen ist ein unmittelbarer Bezug der infektionshygienischen Leistungen zu einer Heilbehandlungstätigkeit in Krankenhäusern oder anderen medizinischen Einrichtungen erforderlich (BFH Urteil vom 05.11.2014 - XI R 11/13). Die Leistungsempfänger müssen mit den empfangenen Leistungen bei der Ausübung ihrer Heilbehandlungstätigkeit, die hierfür bestehenden medizinisch unerlässlichen und gesetzlich vorgeschriebenen infektionshygienischen Anforderungen im Einzelfall erfüllen. Dass bzw. in welchem Umfang die Alten- und Pflegeheime als Empfänger der Leistungen des Klägers solche Tätigkeiten ausgeübt haben, konnte der Kläger im Einzelfall nicht nachweisen und kann im Einzelfall auch nicht ohne Nachweis zu Gunsten des Klägers unterstellt werden.

Voraussetzungen für die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 16 Buchst. d UStG oder § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG

Die Voraussetzungen des § 4 Nr. 16 Buchst. d UStG oder § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG in der Fassung des Streitjahres 2012 liegen entweder nicht vor (keine häusliche Krankenpflege durch die Alten-/Pflegeheime erbracht) oder konnten vom Kläger nicht nachgewiesen werden, der die strittigen Leistungen gegenüber den Alten-/Pflegeheimen erbracht hat (und nicht unmittelbar gegenüber den Heimbewohnern) und selbst auch nicht die Voraussetzungen für die in der nationalen Vorschrift genannten Einrichtungen erfüllt.

Der Kläger kann sich jedoch unmittelbar auf die Steuerbefreiung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL berufen. Danach befreien die Mitgliedstaaten "eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistungen …, einschließlich derjenigen, die durch … Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder andere von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen bewirkt werden". Diese Voraussetzungen erfüllt der Kläger.

Seit dem Urteil, EuGH Urteil vom 08.10.2020 - C-657/19 (zu Pflegebedürftigkeitsgutachten im Auftrag des MDK; nachfolgend BFH Urteil vom 24.02.2021 - XI R 30/20 (XI R 11/17)) ist abstrakt geklärt, dass die Leistungen dann eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbunden sind, wenn die fraglichen Dienstleistungen für die Durchführung der Maßnahmen der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit als solche unerlässlich sind. Die Steuerbefreiung des Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL bezweckt die Kostensenkung für im sozialen Sektor erbrachten dem Gemeinwohl dienenden Leistungen. Auch ist die Tätigkeit des Klägers von überragendem Gemeinwohlinteresse an der Einhaltung höchster hygienischer Standards in den Alten- und Pflegeheimen.

Hygienische Anforderungen

Dass die Einhaltung hygienischer Anforderungen gerade in Alten-/Pflegeheimen unerlässlich ist, ist nach Auffassung des FG Münster gerade während der noch andauernden Corona-Pandemie mehr als deutlich geworden. Das FG hat die Revision beim BFH wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.

FG Münster Urteil vom 01.06.2021 - 15 K 2712/17 U