Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorsteuerabzug, Ausschlussfrist für die Geltendmachung des Vorsteuerabzugs, Verstoß gegen formelle Pflichten beim Recht auf Vorsteuerabzug, Vorsteuermissbrauch

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Art. 167, 168, 178, 179 Abs. 1, 180 und 182 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung nicht entgegenstehen, die für die Ausübung des Abzugsrechts eine Ausschlussfrist wie die im Ausgangsverfahren fragliche vorsieht, sofern die Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität beachtet werden, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist.

2. Die Art. 168, 178, 179, 193, 206, 242, 244, 250, 252 und 273 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen nicht entgegenstehen, nach der die Steuerbehörde einem Steuerpflichtigen das Recht auf Vorsteuerabzug versagen kann, wenn nachgewiesen ist, dass dieser Steuerpflichtige in betrügerischer Weise, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist, den meisten der formellen Pflichten, die ihm für eine Inanspruchnahme dieses Rechts oblagen, nicht nachgekommen ist.

 

Normenkette

EGRL 112/2006 Art. 167-168, 178, 179 Abs. 1, Art. 180, 182, 193, 206, 242, 244, 250, 252, 273

 

Beteiligte

Astone

Giuseppe Astone

 

Verfahrensgang

Tribunale di Treviso (Italien) (Beschluss vom 17.04.2015; ABl. EU 2015, Nr. C 320/16)

 

Tatbestand

„Vorlage zur Vorabentscheidung ‐ Gemeinsames Mehrwertsteuersystem ‐ Richtlinie 2006/112/EG ‐ Art. 167, 168, 178 bis 182, 193, 206, 242, 244, 250, 252 und 273 ‐ Recht auf Vorsteuerabzug ‐ Materielle Anforderungen ‐ Formelle Anforderungen ‐ Ausschlussfrist ‐ Nationale Vorschriften, nach denen eine Missachtung der meisten der formellen Anforderungen zum Ausschluss des Abzugsrecht führt ‐ Steuerhinterziehung“

In der Rechtssache C-332/15

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunale di Treviso (Landesgericht Treviso, Italien) mit Entscheidung vom 17. April 2015, beim Gerichtshof eingegangen am 6. Juli 2015, in dem Strafverfahren gegen

Giuseppe Astone

erlässt

DER GERICHTSHOF (Siebte Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin C. Toader sowie der Richter A. Rosas und E. Jarašiūnas (Berichterstatter),

Generalanwältin: E. Sharpston,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

‐ der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von G. Galluzzo, Avvocato dello Stato,

‐ der griechischen Regierung, vertreten durch K. Nasopoulou und A. Dimitrakopoulou als Bevollmächtigte,

‐ der Europäischen Kommission, vertreten durch D. Recchia und C. Soulay als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 167, 168, 178 à 181, 244 und 250 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1, im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie).

Rz. 2

Es ergeht in einem Strafverfahren gegen Herrn Giuseppe Astone als gesetzlichem Vertreter der Del Ferro Srl (im Folgenden: Del Ferro) wegen Nichtabgabe der Mehrwertsteuererklärung für das Steuerjahr 2010.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Rz. 3

Titel X („Vorsteuerabzug“) der Mehrwertsteuerrichtlinie umfasst fünf Kapitel. In Kapitel 1 („Entstehung und Umfang des Rechts auf Vorsteuerabzug“) dieses Titels stehen u. a. die Art. 167 und 168 der Richtlinie, in denen es heißt:

„Artikel 167

Das Recht auf Vorsteuerabzug entsteht, wenn der Anspruch auf die abziehbare Steuer entsteht.

Artikel 168

Soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für die Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden, ist der Steuerpflichtige berechtigt, in dem Mitgliedstaat, in dem er diese Umsätze bewirkt, vom Betrag der von ihm geschuldeten Steuer folgende Beträge abzuziehen:

a) die in diesem Mitgliedstaat geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert bzw. erbracht wurden oder werden;

b) die Mehrwertsteuer, die für Umsätze geschuldet wird, die der Lieferung von Gegenständen beziehungsweise dem Erbringen von Dienstleistungen … gleichgestellt sind;

c) die Mehrwertsteuer, die für den innergemeinschaftlichen Erwerb von Gegenständen … geschuldet wird;

d) die Mehrwertsteuer, die für dem innergemeinschaftlichen Erwerb gleichgestellte Umsätze …geschuldet wird;

e) die Mehrwertsteuer, die für die Einfuhr von Gegenständen in diesem Mitgliedstaat geschuldet wird oder entrichtet worden ist.“

Rz. 4

Kapitel 4 („Einzelheiten der Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug“) des genannten Titels X enthält die Art. 178 bis 182 der Richtlinie, die bestimmen:

„Artikel 178

Um das Recht auf...

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