Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Steuerrecht. Gemeinsames Mehrwertsteuersystem. Steuerpflichtige. Wirtschaftliche Tätigkeit, die selbständig ausgeübt wird. Begriff der ‚wirtschaftlichen Tätigkeit’. Begriff der ‚selbständigen wirtschaftlichen Tätigkeit’. Tätigkeit eines Mitglieds des Verwaltungsrats einer Aktiengesellschaft

 

Normenkette

EGRL 112/2006 Art. 9 Abs. 1, 1 Unterabs. 1

 

Beteiligte

Administration de l'enregistrement, des domaines und de la TVA

TP

Administration de l'enregistrement, des domaines und de la TVA

 

Verfahrensgang

Tribunal d`arrondissement de Luxembourg (Luxemburg) (Beschluss vom 26.04.2022; ABl. EU 2022, Nr. C 326/5)

 

Tenor

1. Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem

ist dahin auszulegen, dass

das Mitglied des Verwaltungsrats einer Aktiengesellschaft nach luxemburgischem Recht eine wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne dieser Bestimmung ausübt, wenn es dieser Gesellschaft eine Dienstleistung gegen Entgelt erbringt und diese Tätigkeit einen nachhaltigen Charakter aufweist und gegen eine Vergütung ausgeübt wird, deren Festsetzungsmodalitäten vorhersehbar sind.

2. Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 2006/112

ist dahin auszulegen, dass

die Tätigkeit als Mitglied des Verwaltungsrats einer Aktiengesellschaft nach luxemburgischem Recht nicht selbständig im Sinne dieser Bestimmung ausgeübt wird, wenn dieses Mitglied – trotz der Tatsache, dass es die Modalitäten der Ausübung seiner Arbeit frei regelt, das Entgelt, das sein Einkommen darstellt, selbst vereinnahmt, im eigenen Namen handelt und keinem hierarchischen Unterordnungsverhältnis unterliegt – weder für eigene Rechnung noch in eigener Verantwortung handelt und das mit seiner Tätigkeit einhergehende wirtschaftliche Risiko nicht trägt.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunal d'arrondissement de Luxembourg (Bezirksgericht Luxemburg, Luxemburg) mit Entscheidung vom 26. April 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 29. April 2022, in dem Verfahren

TP

gegen

Administration de l'Enregistrement, des Domaines et de la TVA

erlässt

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin K. Jürimäe sowie der Richter N. Piçarra, M. Safjan (Berichterstatter), N. Jääskinen und M. Gavalec,

Generalanwältin: J. Kokott,

Kanzler: K. Hötzel, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 17. Mai 2023,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • von TP, vertreten durch E. Adam, N. Le Gouellec und K. Veranneman, Avocates,
  • der luxemburgischen Regierung, vertreten durch A. Germeaux und T. Schell als Bevollmächtigte im Beistand von F. Lerch, Avocate,
  • der tschechischen Regierung, vertreten durch O. Serdula, M. Smolek und J. Vláčil als Bevollmächtigte,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch A. Armenia, M. Björkland und C. Ehrbar als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 13. Juli 2023

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 9 und 10 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1, im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie).

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen TP und der Administration de l'Enregistrement, des Domaines et de la TVA (Einregistrierungs-, Domänen- und Mehrwertsteuerverwaltung, Luxemburg) über einen Mehrwertsteuerbescheid, den Letztere im Zusammenhang mit der Tätigkeit von TP als Mitglied des Verwaltungsrats mehrerer Aktiengesellschaften nach luxemburgischem Recht erlassen hat.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Rz. 3

Art. 2 Abs. 1 Buchst. c der Mehrwertsteuerrichtlinie bestimmt:

„Der Mehrwertsteuer unterliegen folgende Umsätze:

c) Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Gebiet eines Mitgliedstaats gegen Entgelt erbringt;

…”

Rz. 4

Art. 9 Abs. 1 dieser Richtlinie sieht vor:

„Als ‚Steuerpflichtiger’ gilt, wer eine wirtschaftliche Tätigkeit unabhängig von ihrem Ort, Zweck und Ergebnis selbständig ausübt.

Als ‚wirtschaftliche Tätigkeit’ gelten alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden einschließlich der Tätigkeiten der Urproduzenten, der Landwirte sowie der freien Berufe und der diesen gleichgestellten Berufe. Als wirtschaftliche Tätigkeit gilt insbesondere die Nutzung von körperlichen oder nicht körperlichen Gegenständen zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen.”

Rz. 5

Art. 10 dieser Richtlinie lautet:

„Die selbständige Ausübung der wirtschaftlichen Tätigkeit im Sinne des Artikels 9 Absatz 1 schließt Lohn- und Gehaltsempfänger und sonstige Personen von der Besteuerung aus, soweit sie an ihren Arbeitgeber durch einen Arbeitsvertrag oder ein sonstiges Rechtsverhältnis gebunden sind, das hinsichtlich der Arbeitsbedingungen und des Arbeitsentgelts sowie der Verantwortlichkeit des Arbeitgebers ein Verhältnis der Unterordnung s...

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