Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Steuerrecht. Mehrwertsteuer. Anwendungsbereich. Steuerbare Umsätze. Ort einer Beförderungsleistung. Touristische Fahrten auf der Mosel. Fluss mit dem Status eines Kondominiums

 

Normenkette

Sechste Richtlinie 77/388/EWG Art. 2 Abs. 1; Sechste Richtlinie 77/388/EWG Art. 9 Abs. 2 Buchst. b

 

Beteiligte

Navitours

État luxembourgeois

Administration de l'enregistrement, des domaines et de la TVA

Navitours Sàrl

 

Tenor

Art. 2 Abs. 1 und Art. 9 Abs. 2 Buchst. b der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage in der durch die Richtlinie 91/680/EWG des Rates vom 16. Dezember 1991 geänderten Fassung

sind dahin auszulegen, dass

ein Mitgliedstaat Dienstleistungen der touristischen Schifffahrt, die von einem in diesem Mitgliedstaat ansässigen Dienstleistenden innerhalb eines Gebiets erbracht werden, das aufgrund eines zwischen diesem Staat und einem anderen Mitgliedstaat geschlossenen völkerrechtlichen Vertrags ein gemeinschaftliches Hoheitsgebiet unter gemeinsamer Hoheitsgewalt dieser beiden Mitgliedstaaten bildet und für das im Unionsrecht keine Ausnahme vorgesehen ist, zu besteuern hat, sofern diese Leistungen nicht bereits durch den anderen Mitgliedstaat besteuert wurden. Die Besteuerung dieser Leistungen durch einen dieser Mitgliedstaaten hindert den anderen Mitgliedstaat daran, diese Leistungen seinerseits zu besteuern, unbeschadet der Möglichkeit dieser beiden Mitgliedstaaten, die Besteuerung von Leistungen, die in diesem Gebiet erbracht werden, anders zu regeln, insbesondere durch eine Vereinbarung, sofern die Nichtbesteuerung von Einnahmen und die Doppelbesteuerung vermieden werden.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Cour de cassation (Kassationsgerichtshof, Luxemburg) mit Entscheidung vom 6. Mai 2021, beim Gerichtshof eingegangen am 10. Mai 2021, in dem Verfahren

État luxembourgeois,

Administration de l'enregistrement, des domaines et de la TVA

gegen

Navitours Sàrl

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Arabadjiev, des Vizepräsidenten des Gerichtshofs L. Bay Larsen in Wahrnehmung der Aufgaben eines Richters der Ersten Kammer, der Richterin I. Ziemele sowie der Richter P. G. Xuereb und A. Kumin (Berichterstatter),

Generalanwalt: M. Szpunar,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen:

  • der Navitours Sàrl, vertreten durch C. Kaufhold, Avocat,
  • der luxemburgischen Regierung, vertreten durch A. Germeaux und T. Uri als Bevollmächtigte im Beistand von F. Kremer, Avocat,
  • der deutschen Regierung, vertreten durch J. Möller und P.-L. Krüger als Bevollmächtigte,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch A. Armenia und V. Uher als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 7. April 2022

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 2 Abs. 1 und Art. 9 Abs. 2 Buchst. b der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. 1977, L 145, S. 1) in der durch die Richtlinie 91/680/EWG des Rates vom 16. Dezember 1991 (ABl. 1991, L 376, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Sechste Richtlinie).

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem État luxembourgeois (luxemburgischer Staat) und der Administration de l'enregistrement, des domaines et de la TVA (Einregistrierungs-, Domänen- und Mehrwertsteuerverwaltung, Luxemburg) (im Folgenden: luxemburgische Steuerverwaltung) einerseits und der Navitours Sàrl andererseits über die mehrwertsteuerliche Behandlung der von Navitours auf der Mosel erbrachten Dienstleistungen der touristischen Schifffahrt.

Rechtlicher Rahmen

Völkerrecht

Rz. 3

Art. 1 Abs. 1 des am 19. Dezember 1984 in Luxemburg unterzeichneten Vertrags zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Großherzogtum Luxemburg über den Verlauf der gemeinsamen Staatsgrenze (im Folgenden: Vertrag vom 19. Dezember 1984) lautet:

„Wo Mosel, Sauer und Our nach dem Vertrag vom 26. Juni 1816 die Grenze bilden, sind sie gemeinschaftliches Hoheitsgebiet beider Vertragsstaaten.”

Rz. 4

Art. 5 Abs. 1 dieses Vertrags bestimmt:

„Die Vertragsstaaten regeln die Fragen des im gemeinschaftlichen Hoheitsgebiet anzuwendenden Rechts durch eine zusätzliche Vereinbarung.”

Unionsrecht

Rz. 5

Die Sechste Richtlinie wurde mit Wirkung vom 1. Januar 2007 aufgehoben und durch die Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1) ersetzt. In Anbetracht des Zeitpunkts des Sachverhalts des Ausgangsrechtsstreits ist j...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Steuer Office Excellence. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge