Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Gemeinsames Mehrwertsteuersystem. Steuerbefreiungen für bestimmte dem Gemeinwohl dienende Tätigkeiten. Befreiung von Krankenhausbehandlungen und ärztlichen Heilbehandlungen. Private Krankenhauseinrichtung. Ordnungsgemäß anerkannte Einrichtung. In sozialer Hinsicht vergleichbare Bedingungen

 

Normenkette

EGRL 112/2006 Art. 132 Abs. 1 Buchst. b

 

Beteiligte

I

I-GmbH

Finanzamt H

 

Verfahrensgang

Niedersächsisches FG (Beschluss vom 02.03.2020; Aktenzeichen 5 K 256/17; EFG 2020, 1787)

 

Tenor

1. Art. 132 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die vorsieht, dass die von einem privaten Krankenhaus erbrachten Heilbehandlungen dann von der Mehrwertsteuer befreit sind, wenn dieses Krankenhaus infolge der Aufnahme in den Krankenhausplan eines Landes oder infolge des Abschlusses von Versorgungsverträgen mit den gesetzlichen Kranken- oder Ersatzkassen nach den nationalen Vorschriften über die allgemeine Krankenversicherung zugelassen ist, und damit dazu führt, dass vergleichbare private Krankenhäuser, die gleichartige Leistungen unter Bedingungen erbringen, die mit den Bedingungen für Einrichtungen des öffentlichen Rechts in sozialer Hinsicht vergleichbar sind, in Bezug auf die in dieser Bestimmung vorgesehene Steuerbefreiung unterschiedlich behandelt werden.

2. Art. 132 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2006/112 ist dahin auszulegen, dass die zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats bei der Feststellung, ob Heilbehandlungen, die von einem privaten Krankenhaus erbracht werden, unter Bedingungen durchgeführt beziehungsweise bewirkt werden, die mit den Bedingungen für Einrichtungen des öffentlichen Rechts in sozialer Hinsicht vergleichbar sind, die für Leistungen von öffentlich-rechtlichen Krankenhäusern geltenden regulatorischen Bedingungen sowie – sofern sie auch auf öffentlich-rechtliche Krankenhäuser anwendbar sind – Indikatoren der Leistungsfähigkeit dieses privaten Krankenhauses in Sachen Personal, Räumlichkeiten und Ausstattung sowie der Wirtschaftlichkeit der Betriebsführung berücksichtigen können, wenn mit diesen Bedingungen und Indikatoren das Ziel verfolgt wird, die Kosten der Heilbehandlungen zu senken und den Einzelnen eine qualitativ hochwertige Behandlung zugänglicher zu machen. Ebenfalls berücksichtigt werden können die Modalitäten der Berechnung der Tagessätze sowie die Kostenübernahme für die von dem betreffenden Krankenhaus des privaten Rechts erbrachten Leistungen im Rahmen des Systems der sozialen Sicherheit oder im Rahmen von mit Behörden geschlossenen Vereinbarungen dergestalt, dass die zulasten des Patienten gehenden Kosten den Kosten nahekommen, die der Patient eines öffentlich-rechtlichen Krankenhauses für gleichartige Leistungen trägt.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Niedersächsischen Finanzgericht (Deutschland) mit Entscheidung vom 2. März 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 2. Juni 2020, in dem Verfahren

I GmbH

gegen

Finanzamt H

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten der Ersten Kammer A. Arabadjiev in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Zweiten Kammer, der Richterin I. Ziemele (Berichterstatterin) sowie der Richter T. von Danwitz, P. G. Xuereb und A. Kumin,

Generalanwalt: G. Hogan,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • der I GmbH, vertreten durch Rechtsanwalt W. Franz,
  • des Finanzamt H, vertreten durch K. Hintzelmann als Bevollmächtigte,
  • der deutschen Regierung, vertreten durch J. Möller und S. Heimerl als Bevollmächtigte,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch J. Jokubauskaite und L. Mantl als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 23. September 2021

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 132 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1, im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie).

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der I GmbH und dem Finanzamt H (Deutschland) über die Befreiung der von I in den Steuerjahren 2009 bis 2012 erbrachten Krankenhausleistungen von der Umsatzsteuer.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Rz. 3

Art. 131 der Mehrwertsteuerrichtlinie ist der einzige Artikel in deren Titel IX („Steuerbefreiungen”) Kapitel 1 („Allgemeine Bestimmungen”) und lautet:

„Die Steuerbefreiungen der Kapitel 2 bis 9 werden unbeschadet sonstiger Gemeinschaftsvorschriften und unter den Bedingungen angewandt, die die Mitgliedstaaten zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung dieser Befreiungen und zur Verhinderung von Steuerhinterziehung, Steuerumgehung oder Missbrauch festlegen.”

Rz. 4

Art. 132 Abs. 1 der ...

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