Die für die Praxis wesentliche Frage ist die nach dem Anwendungsbereich der GRCh. Die Grundrechte sind nach Art. 51 GRCh nur anwendbar auf Maßnahmen der Organe und Einrichtungen der EU sowie auf die der Mitgliedstaaten, soweit sie Recht der EU durchführen. Im Steuerrecht sind die Grundrechte daher anwendbar auf Zölle, Verbrauchsteuern und die USt. Für direkte Steuern sind sie nur im Rahmen der EU-Richtlinien (Mutter-Tochter-Richtlinie, Fusionsrichtlinie, Zins- und Lizenzrichtlinie, ATAD-Richtlinien, Amtshilferichtlinie, Beitreibungsrichtlinie) anwendbar. "Durchführung" von EU-Recht stellt auch die Umsetzung der Richtlinien durch die Staaten dar. Die Frage der Anwendung der Grundrechte der GRCh im Steuerrecht ist deshalb von Bedeutung, weil die GRCh, anders als der AEUV, nicht nur Diskriminierungsverbote enthält, sondern auch Freiheitsrechte garantiert (z. B. Art. 15 GRCh Berufsfreiheit, Art. 16 GRCh unternehmerische Freiheit, Art. 17 GRCh Eigentumsrecht).

Der EuGH hat den Begriff der "Durchführung von EU-Recht" und damit den Anwendungsbereich der GRCh weit gefasst. Damit fällt jede Maßnahme unter den Schutzbereich der GRCh, der die Durchführung einer Richtlinie und ihre praktische Wirksamkeit sicherstellen soll. Der EuGH hat dies für Sanktionen bejaht, die der einzelne Staat an die Nichterfüllung der Pflichten, die auf einer EU-Richtlinie beruhen, knüpft. Dies hat er für eine Strafe wegen Umsatzsteuerhinterziehung und ein Zwangsgeld wegen Verstoßes gegen die Mitteilungspflichten der Amtshilferichtlinie bejaht.[1] Danach sind die Grundrechte der GRCh anwendbar, wenn ein u. U. auch nur mittelbarer Bezug zu EU-Recht einschließlich der Grundfreiheiten, der Verordnungen und der Richtlinien besteht. Andererseits sind die Grundrechte der GRCh nicht anwendbar, wenn der Inhalt der nationalen Regelung nicht durch europarechtliche Rechtsvorschriften unmittelbar oder mittelbar determiniert wird, also keine unionsrechtliche Bestimmung besteht, die den Erlass der infrage stehenden nationalen Regelung erfordert oder ihren Inhalt bestimmt. Ein sachlicher Bezug zu dem bloß abstrakten Anwendungsbereich des EU-Rechts oder tatsächliche Auswirkungen genügen nicht.[2]

[1] EuGH v. 26.2.2013, C-617/10 (Akerberg Fransson), EuZW 2013, 302; EuGH v. 16.5.2017, C-682/15 (Berlioz Investment), IStR 2017, 785.

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