Leitsatz

Gegen einen im Einspruchsverfahren erlassenen Änderungsbescheid, mit dem dem Antrag des Steuerpflichtigen voll entsprochen wird (Vollabhilfebescheid), ist der Einspruch statthaft.

 

Normenkette

§ 44 Abs. 1 FGO, § 347 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 348, § 351 Abs. 1, § 354, § 365 Abs. 3 Satz 1, § 367 Abs. 2 Satz 3 AO, § 3 Nr. 62, § 10 Abs. 3 Nr. 2 EStG

 

Sachverhalt

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) legten gegen den ESt-Bescheid 2001 Einspruch ein mit dem Begehren, die Einkünfte des Klägers aus einer Beteiligung an einer Personengesellschaft herabzusetzen. Das FA erließ einen Änderungsbescheid, der dem Begehren der Kläger entsprach. Die Kläger legten gegen den Änderungsbescheid Einspruch ein mit der Begründung, der Bemessung des sog. Vorwegabzugs nach § 10 Abs. 3 Nr. 2 EStG hätte nur der Arbeitslohn der Klägerin zugrunde gelegt werden dürfen, da im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis des Klägers keine Zukunftssicherungsleistungen erbracht worden seien.

Das FA verwarf den Einspruch als unzulässig.

Das FG gab der Klage statt (EFG 2006, 389): Die Auffassung des FA, der Einspruch gegen einen Änderungsbescheid, der aufgrund eines Einspruchs erlassen worden sei und der dem Einspruchsbegehren in vollem Umfang entspreche, sei unzulässig, finde im Gesetz keine Stütze.

 

Entscheidung

Der BFH wies die Revision des FA aus den in den Praxis-Hinweisen dargelegten Gründen als unbegründet zurück.

 

Hinweis

1. Gegen einen Steuerbescheid ist nach § 347 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO der Einspruch statthaft. Auch ein im Einspruchsverfahren erlassener Änderungsbescheid, der dem Einspruchsbegehren in vollem Umfang stattgibt, ist ein Steuerbescheid.

§ 348 AO regelt den "Ausschluss des Einspruchs". Nr. 1 der Vorschrift bestimmt, dass der Einspruch "gegen Einspruchsentscheidungen (§ 367)" nicht statthaft ist. Während des Einspruchsverfahrens erlassene Änderungsbescheide werden in § 348 AO nicht genannt. Sie werden auch nicht dadurch zu Einspruchsentscheidungen, dass es nach § 367 Abs. 2 Satz 3 AO keiner Einspruchsentscheidung mehr bedarf, wenn die Finanzbehörde dem Einspruch abhilft.

Rechtssystematische Gründe, den Einspruch über den Wortlaut des § 348 AO hinaus bei Vollabhilfebescheiden für nicht statthaft zu halten und diese insoweit einer Einspruchsentscheidung gleichzustellen, sind nicht ersichtlich. Wenn nach der Rechtsprechung des BFH wegen der Komplexität des Steuerrechts eine Anfechtungsklage regelmäßig auch nach Ablauf der Klagefrist betragsmäßig erweitert werden kann (vgl. Beschluss des Großen Senats vom 23.10.1989, GrS 2/87, BStBl II 1990, 327), würde es zu einem Wertungswiderspruch führen, wenn der Einspruch gegen einen Vollabhilfebescheid als nicht statthaft angesehen würde.

Denn hätte das FA dem Einspruchsbegehren nicht entsprochen, sondern den Einspruch durch eine Einspruchsentscheidung (§ 366 AO) als unbegründet zurückgewiesen, könnte der Steuerpflichtige mit der Klage einen Antrag stellen, der über das Einspruchsbegehren hinausgeht.

2. Ein statthafter Einspruch ist nur zulässig, wenn eine Beschwer geltend gemacht wird (§ 350 AO). Der Steuerpflichtige macht auch dann eine Beschwer geltend, wenn er einen Fehler des während des Einspruchsverfahrens erlassenen Änderungsbescheids rügt, der bereits in dem ursprünglichen Bescheid enthalten war. Ein Fehler verliert seine Beschwer nicht durch seine Wiederholung.

3. Allerdings bestimmt § 351 Abs. 1 AO, dass Verwaltungsakte, die unanfechtbare Verwaltungsakte ändern, nur insoweit angegriffen werden können, als die Änderung reicht, es sei denn, dass sich aus den Vorschriften über die Aufhebung und Änderung von Verwaltungsakten etwas anderes ergibt. Diese Einschränkung der Anfechtungsbefugnis liegt nicht vor, wenn der Vollabhilfebescheid, der während des Einspruchverfahrens erlassen wurde, einen erstmaligen Steuerbescheid ändert. Denn der erstmalige Steuerbescheid ist wegen des rechtzeitigen (ersten) Einspruchs nicht unanfechtbar geworden. Es ist auch nicht etwa eine Teilbestandskraft eingetreten. Denn dass der Steuerpflichtige mit seinem Einspruch ein bestimmtes Begehren verfolgt, bedeutet nicht, dass er den Bescheid im Übrigen unanfechtbar werden lassen will (vgl. z.B. BFH, Urteil vom 23.4.2003, IX R 28/00, BFH/NV 2003, 1140).

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 18.4.2007, XI R 47/05

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