Leitsatz

Die Zustellung eines Verwaltungsakts an den Betroffenen persönlich führt in der Regel auch dann zur Wirksamkeit der Bekanntgabe und dem Lauf der durch diese ausgelösten Rechtsbehelfsfrist, wenn für das Verwaltungsverfahren ein Bevollmächtigter bestellt, eine schriftliche Vollmacht für diesen jedoch nicht vorgelegt worden ist.

 

Normenkette

§ 8 Abs. 1 Sätze 1 und 2 VwZG

 

Sachverhalt

Das FA hatte einen Haftungsbescheid nach vorheriger Anhörung des Betroffenen erlassen. In diesem Zusammenhang war für diesen ein Prozessbevollmächtigter aufgetreten. Gleichwohl ließ das FA den Haftungsbescheid dem Haftungsschuldner persönlich zustellen.

Der Einspruch dagegen wurde verspätet eingelegt und deshalb als unzulässig verworfen. Die Klage hatte vor dem FG Erfolg, weil dieses die Zustellung für unwirksam hielt.

 

Entscheidung

Der BFH hat das FG-Urteil aufgehoben und die Sache zurückverwiesen, damit die Frage der Wiedereinsetzung geprüft werde. Die Zustellung sei wirksam gewesen. Das FA sei nicht nach § 8 Abs. 1 Sätze 1 und 2 VwZG verpflichtet gewesen, den Haftungsbescheid an den Klägervertreter zuzustellen; denn eine schriftliche Vollmacht für diesen habe nicht vorgelegen.

 

Hinweis

1.Zustellungen können an den allgemeinen oder für bestimmte Angelegenheiten bestellten Vertreter gerichtet werden (§ 8 Abs. 1 Satz 1 VwZG); sie sind an diesen zu richten, wenn er schriftliche Vollmacht vorgelegt hat (§ 8 Abs. 1 Satz 2 VwZG). Mit dieser Vorschrift hat der Gesetzgeber der Behörde für die Auswahl zwischen dem Betroffenen und seinem Bevollmächtigten als Bekanntgabeempfänger Wahlfreiheit eingeräumt. Die diesbezügliche Ermessensentscheidung ist vom FA aufgrund der Verhältnisse im Einzelfall und unter Berücksichtigung des mutmaßlichen Interesses des Steuerpflichtigen zu treffen.

2. Eine völlig andere Frage ist, ob ein Ermessensfehler bei der Auswahlentscheidung die Unwirksamkeit der Zustellung zur Folge hat. Das hat das BVerwG für das allgemeine Verwaltungsverfahren schon vor längerer Zeit verneint (BVerwG, Urteil vom 30.10.1997, 3 C 35/96, BVerwGE 105, 288). Der BFH hatte in einer der vorliegenden fast genau gleichenden Sache zunächst offen gelassen, ob er dem folgen könne (BFH, Urteil vom 5.10.2000, VII R 96/99, BStBl II 2001, 86). Das ist in dieser Zeitschrift seinerzeit bedauert worden, zumal dem BFH ohne Anrufung des Gemeinsamen Senats schwerlich eine andere Möglichkeit blieb als dieser – zudem zweifellos überzeugenden – Rechtsprechung zu folgen (vgl. BFH-PR 2001, 33). Immerhin hat aber der BFH jetzt den Anschluss an die Rechtsprechung des BVerwG gefunden.

Danach steht nunmehr fest, dass die Bekanntgabe an den Betroffenen einen Verwaltungsakt in jedem Fall wirksam werden lässt, auch wenn der Verwaltungsakt nach dem Ermessen des FA ebenso gut einem Bevollmächtigten bekannt gegeben werden könnte. Dieses Wahlrecht stellt lediglich eine Erweiterung der der Behörde eröffneten Möglichkeiten der Bekanntgabe dar, berührt aber nicht die Wirksamkeit der Zustellung.

3.Unwirksam ist eine Zustellung an den Betroffenen selbst freilich dann, wenn Sie als Bevollmächtigter eine schriftliche Vollmacht vorgelegt haben. Beachten Sie aber, dass dies nur im Fall der förmlichen Zustellung gilt; eine einfache Bekanntgabe an den Betroffenen ist auch bei schriftlicher Vollmacht wirksam. Da die einfache Bekanntgabe im Besteuerungsverfahren die Regel ist und sogar die Einspruchsentscheidung nicht zugestellt werden muss (vgl. § 366 AO), kann sich der Betroffene gegen an ihn persönlich gerichtete fristsetzende Schreiben des FA also nicht wirksam "abschotten". Sie müssen deshalb Ihren Mandanten nachdrücklich einschärfen, Schreiben des FA umgehend an Sie weiterzuleiten!

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 3.2.2004, VII R 30/02

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