Entscheidungsstichwort (Thema)

Kinderfreibeträge für in den letzten vier Monaten des Veranlagungszeitraums geborene Kinder

 

Leitsatz (amtlich)

Es war mit dem Grundgesetz vereinbar, daß das EStG 1967 Lohnsteuerpflichtigen für Kinder, die innerhalb der ersten vier Monate des Besteuerungszeitraums gestorben sind oder das 18. Lebensjahr vollendet haben, den vollen Kinderfreibetrag gewährte, dagegen für Kinder, die innerhalb der letzten vier Monate des Besteuerungszeitraums geboren sind, nur einen zeitanteiligen Freibetrag.

 

Normenkette

EStG 1967 § 39 Abs. 2 Sätze 1, 2 Fassung: 1968-02-27; GG Art. 3 Abs. 1

 

Verfahrensgang

Hessisches FG (Beschluss vom 11.05.1971; Aktenzeichen I 206/70)

 

Gründe

A.

Die Vorlage betrifft die Verfassungsmäßigkeit der früheren lohnsteuerlichen Regelung über die Gewährung von Kinderfreibeträgen für Kinder, die während der letzten vier Monate eines Kalenderjahrs geboren wurden.

I.

Das Lohnsteuerrecht in der für das hier maßgebende Steuerjahr geltenden Fassung gewährte für Kinder, die in den letzten vier Monaten des Kalenderjahrs geboren wurden, einen anteiligen Kinderfreibetrag, während für Kinder, die zu Beginn eines Kalenderjahrs das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hatten, ein voller Freibetrag eingeräumt wurde. Im ersten Falle wurde diese Rechtsfolge in Rechtsprechung und Praxis aus § 39 Abs. 2 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes in der Fassung vom 27. Februar 1968 – EStG 1967 – (BGBl. 1968 I S. 145) entnommen. Diese Bestimmung lautete:

(2) … Treten bei einem Arbeitnehmer die Voraussetzungen für eine ihm günstigere Steuerklasse ein oder erhöht sich die Zahl der zu berücksichtigenden Kinder, so ist die Lohnsteuerkarte auf Antrag zu ergänzen.

Bei einer Geburt vor dem 1. September eines Kalenderjahrs ergab sich die Gewährung eines vollen Kinderfreibetrags aus § 38 Abs. 1 in Verbindung mit § 32 Abs. 2 Nr. 2 EStG 1967.

Die Einräumung eines vollen Kinderfreibetrags für ein Kind, das zu Beginn des Kalenderjahrs das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte, wurde aus § 39 Abs. 2 Satz 1 EStG 1967 entnommen, der lautete:

(2) Für die Eintragung der Steuerklasse und der Zahl der Kinder bei Ausschreibung der Lohnsteuerkarte sind die Verhältnisse zu Beginn des Kalenderjahrs maßgebend, für das die Lohnsteuerkarte ausgeschrieben wird.

Diese Handhabung wurde in der auf Grund des § 42 Abs. 2 und des § 51 Abs. 2 EStG in der Fassung vom 10. Dezember 1965 – EStG 1965 – erlassenen Verordnung über den Lohnsteuer-Jahresausgleich – JAV – in der Fassung vom 31. Januar 1966 (BGBl. I S. 98) im einzelnen geregelt. Die maßgebenden Bestimmungen lauteten:

§ 5

(2) …

1. Waren während des Ausgleichsjahrs nach den Eintragungen auf der Lohnsteuerkarte verschiedene Steuerklassen anzuwenden, so ist die günstigere Steuerklasse für das ganze Ausgleichsjahr zugrunde zu legen, wenn die Eintragung der günstigeren Steuerklasse für einen Zeitraum von mehr als vier Monaten gegolten hat; das gleiche gilt für die Zahl der Kinder. Das Finanzamt hat entsprechend zu verfahren, wenn die Durchführung des Lohnsteuer-Jahresausgleichs beantragt wird und die Voraussetzungen für die Gewährung einer günstigeren Steuerklasse mindestens vier Monate im Ausgleichsjahr vorgelegen haben; das gleiche gilt für eine günstigere Zahl der Kinder …

2. Hat in den Fällen der Nummer 1 die Eintragung der günstigeren Steuerklasse auf der Lohnsteuerkarte nicht für einen Zeitraum von mehr als vier Monaten gegolten, so ist der Lohnsteuer-Jahresausgleich vom Arbeitgeber unter Zugrundelegung der ungünstigeren Steuerklasse durchzuführen; das gleiche gilt für die Zahl der Kinder. Ein etwaiger weiterer Lohnsteuer-Jahresausgleich bleibt dem Finanzamt vorbehalten. Das Finanzamt hat, wenn der Lohnsteuer-Jahresausgleich beantragt wird und die Voraussetzungen für die Gewährung der günstigeren Steuerklasse nicht mindestens vier Monate im Ausgleichsjahr vorgelegen haben, den Lohnsteuer- Jahresausgleich nach Maßgabe des § 8 durchzuführen; das gleiche gilt für die Zahl der Kinder.

§ 8

Anwendung der Jahreslohnsteuertabelle in besonderen Fällen

(1) Sind nach § 5 Abs. 2 im Ausgleichsjahr verschiedene Steuerklassen oder verschiedene Zahlen der Kinder zugrunde zu legen, so ist die Jahreslohnsteuer nach dem Jahresarbeitslohn und der Jahreslohnsteuertabelle für jede Steuerklasse oder Zahl der Kinder, die während des Ausgleichsjahrs maßgebend war, zu ermitteln und mit dem Teilbetrag zu berücksichtigen, der sich nach dem Verhältnis des Zeitraums der Gültigkeitsdauer der verschiedenen Steuerklassen oder der verschiedenen Zahl der Kinder zu zwölf ergibt;…

Danach ging das Lohnsteuerrecht vom Stichtagsprinzip aus, d. h. von den Verhältnissen zu Beginn eines Kalenderjahrs, soweit zu diesem Zeitpunkt das begünstigte Kindschaftsverhältnis schon bestanden hatte. Wenn das Kindschaftsverhältnis erst in den letzten vier Monaten eines Kalenderjahrs, z. B. durch Geburt entstand, sollte es lohnsteuerrechtlich in jedem Fall zumindest von diesem Zeitpunkt an – also wenigstens anteilig – berücksichtigt werden.

Nachdem das Bundesverfassungsgericht in der Entscheidung vom 13. Dezember 1967 – 1 BvR 679/64 – (BVerfGE 23, 1) die Verfassungswidrigkeit der im Lohnsteuer- und Einkommensteuerrecht verschiedenen Regelung über die Gewährung von Kinderfreibeträgen für Kinder, die im betreffenden Steuerjahr das 18. Lebensjahr vollenden, festgestellt hatte, hat der Gesetzgeber mit der auf Grund des Steueränderungsgesetzes 1968 vom 20. Februar 1969 (BGBl. I S. 141) erfolgten Neufassung im Einkommensteuergesetz 1969 in der Fassung vom 12. Dezember 1969 (BGBl. I S. 2265) für die Zukunft, beginnend mit dem Steuerjahr 1970, auch für Kinder, die in den letzten vier Monaten eines Kalenderjahrs geboren wurden, den vollen Kinderfreibetrag bei der Lohnsteuer eingeräumt (§ 52 Abs. 15 in Verbindung mit § 32 Abs. 2 Ziff. 1 EStG 1969). Lediglich für die Veranlagung in den Fällen, in denen ein Kind vor Ablauf der ersten vier Monate des Veranlagungszeitraums das 18. Lebensjahr vollendete (vgl. BVerfGE a.a.O.), hat der Gesetzgeber – in gewissem Umfang auch für bereits abgeschlossene Veranlagungen – eine Rückwirkung vorgesehen. § 52 Abs. 15 EStG 1969 in der Fassung vom 12. Dezember 1969 lautete:

Die Vorschriften des … § 32 Abs. 2 Ziff. 1, Ziff. 2 Buchstabe a… sind erstmals für den Veranlagungszeitraum 1970 anzuwenden. Beim Steuerabzug vom Arbeitslohn gilt Satz 1 mit der Maßgabe, daß diese Vorschriften erstmals für das Kalenderjahr 1970 anzuwenden sind. Die Vorschrift des § 32 Abs. 2 Ziff. 1 in der vor dem 1. Januar 1970 geltenden Fassung ist in allen noch nicht rechtskräftigen Veranlagungen früherer Veranlagungszeiträume mit der Maßgabe anzuwenden, daß ein Kinderfreibetrag dem Steuerpflichtigen auch dann zusteht, wenn das Kind im Veranlagungszeitraum vor Ablauf der ersten vier Monate das 18. Lebensjahr vollendet hatte…

Eine entsprechende Regelung enthält die Verordnung über den Lohnsteuer-Jahresausgleich in der Fassung vom 16. März 1971 (BGBl. I S. 195).

II.

1. Der Kläger des Ausgangsverfahrens und seine Ehefrau haben Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Für das Jahr 1968 waren sie nicht zu veranlagen. Im Rahmen des gemeinsamen Lohnsteuer-Jahresausgleichs für 1968 beantragten sie die uneingeschränkte Anwendung der Steuerklasse III, 1 wegen ihres am 8. September 1968 geborenen Kindes. Das Finanzamt berücksichtigte die Steuerklasse III, 1 nur für vier Monate. Hiergegen wendet sich der Kläger nach erfolglosem Einspruch mit der Klage. Er begehrt die Anwendung der Steuerklasse III, 1 für das ganze Jahr.

Das vorlegende Hessische Finanzgericht hält es für verfassungswidrig, daß auf Grund der für das anhängige Lohnsteuerausgleichsverfahren geltenden Regelung im Jahre 1968 ein Kinderfreibetrag nur für ein Kind eingeräumt wurde, das vor dem 1. September des Kalenderjahrs geboren wurde.

Dem Lohnsteuerpflichtigen, dessen Kind am 1. Januar des Ausgleichsjahrs noch nicht 18 Jahre alt gewesen sei, aber vor Ablauf von vier Monaten das 18. Lebensjahr vollendet habe, habe ein voller Kinderfreibetrag zugestanden, der ihm auch beim Lohnsteuer-Jahresausgleich verblieben sei. Damit habe insoweit im Lohnsteuerrecht schon vor der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 13. Dezember 1967 und der ihr folgenden Gesetzesänderung das uneingeschränkte Stichtagsprinzip gegolten. Entsprechend sei bei einem am 1. Januar lebenden, aber vor dem 1. Mai verstorbenen Kind verfahren worden.

Für ein erst nach dem 30. August geborenes Kind sei demgegenüber ein Kinderfreibetrag nur für die zeitlich nach Ergänzung der Lohnsteuerkarte liegenden Lohnzahlungsabschnitte in Betracht gekommen. Dabei sei es auch im Lohnsteuer-Jahresausgleich geblieben.

Nach dem Stichtagsprinzip habe daher der Steuerpflichtige stets den vollen Kinderfreibetrag erhalten, selbst dann, wenn er nach alsbaldigem Wegfall der Voraussetzungen, z. B. weil das Kind schon am 2. Januar 18 Jahre alt geworden oder verstorben sei, nur ganz vorübergehend mit der Unterhaltspflicht belastet gewesen sei. Diese Steuerpflichtigen seien damit erheblich besser gestellt gewesen als jene, bei denen das Viermonatsprinzip gegolten habe.

Für diese unterschiedliche Regelung gebe es keine sachliche Rechtfertigung. Der einzige erkennbare Grund, daß im Lohnsteuerabzugsverfahren nur mit dem Stichtagsprinzip die erforderliche Vereinfachung zu erzielen sei, greife, wie das Bundesverfassungsgericht im Beschluß vom 13. Dezember 1967 (BVerfGE 23, 1 ff.) in anderem Zusammenhang festgestellt habe, nicht durch. Zumindest sei nicht erkennbar, warum in den Fällen, in denen das Kind innerhalb der ersten vier Monate des Ausgleichsjahrs das 18. Lebensjahr vollendet habe oder das Kind den 1. Januar erlebt habe, aber vor dem 1. Mai verstorben sei, auch beim späteren Lohnsteuer-Jahresausgleich, also bei einer ohnehin durchzuführenden individuellen Überprüfung des Steuerfalls, am Stichtagsprinzip festgehalten werden sollte. Diese Unvereinbarkeit mit dem Gleichheitsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG gelte auch für § 52 Abs. 15 Satz 2 und 3 EStG 1969, der per argumentum e contrario, d. h. indem er dem als allgemeinen Grundsatz neu eingeführten Erlebensprinzip ausdrücklich erst vom Kalenderjahr 1970 an Geltung verleihe, für die zurückliegenden Jahre die oben geschilderte Rechtslage weiter für maßgebend erkläre. Deshalb sei die „in Rede stehende Regelung der Lohnsteuer-Jahresausgleichsverordnung, die die Anwendung der günstigeren Steuerklasse von einer Mindestlebensdauer von vier Monaten abhängig macht, bzw. die sie betreffende Übergangsregelung des § 52 Abs. 15 Satz 1-3 EStG 1969 wegen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG verfassungswidrig”.

Das Finanzgericht hat daher das Verfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die Frage zur Entscheidung vorgelegt,

ob die Regelung des § 52 Abs. 15 Satz 2 und 3 EStG 1969, nach der die Änderung der Kinderfreibetragsregelung durch das Steueränderungsgesetz 1968 erstmals für den Veranlagungszeitraum 1970 bzw. – beim Steuerabzug vom Arbeitslohn – erstmals für das Kalenderjahr 1970 anzuwenden sei, gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstößt.

2. a) Namens der Bundesregierung hat sich der Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen zu der Vorlage geäußert. Er ist der Auffassung, die Vorlage könne schon deshalb keinen Erfolg haben, weil im Ausgangsverfahren für die Gewährung des Kinderfreibetrags § 39 Abs. 2 Satz 2 EStG 1967 und die Bestimmungen der Lohnsteuer-Jahresausgleichsverordnung maßgebend seien und nicht die zur Prüfung gestellte Vorschrift des § 52 Abs. 15 Satz 2 und 3 EStG 1969. § 52 Abs. 15 Satz 3 betreffe nach seinem klaren Wortlaut lediglich das Veranlagungsverfahren. § 52 Abs. 15 Satz 2 EStG 1969 behandle zwar das im Ausgangsverfahren maßgebende Steuerabzugsverfahren, regle indessen nur die erstmals für das Kalenderjahr 1970 anzuwendenden Vorschriften.

Die im Lohnsteuer-Jahresausgleichsverfahren für das Jahr 1968 geltende Regelung über die Gewährung von Kinderfreibeträgen hält der Bundesminister für Wirtschaft und Finanzen im übrigen für verfassungsgemäß.

b) Der zuständige VI. Senat des Bundesfinanzhofs, der gemäß § 82 Abs. 4 Satz 1 und 2 BVerfGG zu der Vorlage Stellung genommen hat, hält die Regelung für verfassungsmäßig.

B. – I.

Im Ausgangsverfahren handelt es sich lediglich um die Gewährung von Kinderfreibeträgen im Lohnsteuerabzugsverfahren und im Lohnsteuer-Jahresausgleichsverfahren. Die vom Finanzgericht zur Prüfung gestellte Norm des § 52 Abs. 15 Satz 2 und 3 EStG 1969 ist für die Entscheidung des vorlegenden Gerichts nicht erheblich, da sie über die lohnsteuerliche Behandlung der Einkünfte des Jahres 1968 keine Regelung trifft. § 52 Abs. 15 Satz 3 EStG 1969 gewährt lediglich mit gewisser Rückwirkung einen Kinderfreibetrag im Veranlagungsverfahren für den – im Ausgangsverfahren nicht gegebenen – Fall, daß das Kind in den ersten vier Monaten das 18. Lebensjahr vollendet. Damit wurde insoweit die bis dahin im Lohnsteuerabzugsverfahren geltende Rechtslage auch auf das Veranlagungsverfahren erstreckt. Deshalb kann es auf diese Bestimmung für das Ausgangsverfahren – ein lohnsteuerliches Verfahren – nicht ankommen. § 52 Abs. 15 Satz 2 EStG 1969 ordnet erstmals für das Kalenderjahr 1970 an, daß beim Steuerabzug vom Arbeitslohn einem Steuerpflichtigen ein nicht nur wie bisher anteiliger, sondern voller Kinderfreibetrag auch für solche Kinder zusteht, die nach dem 30. August 1970 geboren wurden. Daß diese Regelung insoweit verfassungswidrig wäre, als sie – wie das vorlegende Gericht meint – sich keine rückwirkende Kraft für die noch nicht rechtskräftig abgeschlossenen Steuerfälle aus den vor 1970 liegenden Steuerjahren beilegt, wäre für das Ausgangsverfahren nur von Bedeutung, wenn der bis dahin geltende Rechtszustand mit der Verfassung nicht mehr in Einklang gestanden hätte. Das Finanzgericht wendet zwar für den früheren Zeitraum offensichtlich die Lohnsteuer-Jahresausgleichsverordnung an (Vorlagebeschluß II 1 b dd, 2 a), die es als eine unter dem Gesetz stehende Norm selbst auf ihre Verfassungsmäßigkeit prüfen könnte. Da diese auf Grund des § 42 Abs. 2 und des § 51 Abs. 2 EStG 1965 erlassene Verordnung bei der hier strittigen Regelung jedoch nur den wesentlichen Inhalt des ermächtigenden Gesetzes und des insoweit gleichlautenden EStG 1967 wiedergibt, kommt es nicht nur auf die Verfassungsmäßigkeit der Verordnung, sondern auf die des Gesetzes selbst an. Die Verfassungswidrigkeit würde in diesem Falle auf dem Willen des Gesetzgebers beruhen (BVerfGE 32, 260 [266 f.]). Die gesetzliche Regelung ist in § 39 Abs. 2 Satz 1 EStG 1967 für den Fall der Vollendung des 18. Lebensjahrs oder des Todes eines Kindes innerhalb der ersten vier Monate eines Kalenderjahrs und in § 39 Abs. 2 Satz 2 EStG 1967 für den Ausgangsfall der Geburt eines Kindes innerhalb der letzten vier Monate des fraglichen Jahrs enthalten. Die Vorlage ist daher nur mit der Auslegung zulässig, daß das Gericht das Verhältnis dieser Bestimmungen zueinander zur Prüfung stellt.

II.

1. Die verschiedenen Regelungen über die Gewährung von Kinderfreibeträgen im Jahr der Geburt eines Kindes und im Jahr der Vollendung des 18. Lebensjahrs oder im Jahr des Todes führten zu verschiedenen steuerlichen Ergebnissen: Auf der einen Seite wurde bei der Geburt eines Kindes innerhalb der letzten vier Monate des Kalenderjahrs der Kinderfreibetrag auch im Lohnsteuer-Jahresausgleich nur anteilig gewährt; auf der anderen Seite wurde der volle Jahresfreibetrag gewährt, wenn das Kind etwa schon bald nach Beginn des Steuerjahrs das 18. Lebensjahr vollendete oder wenn ein noch nicht 18 Jahre altes Kind bald nach Beginn des Steuerjahrs starb.

2. In diesen verschiedenen Regelungen des § 39 Abs. 2 Satz 2 und Satz 1 EStG 1967 lag jedoch kein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG.

a) Diese Bestimmungen wären für sich allein betrachtet mit dem Grundgesetz vereinbar. Es gehört zur Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers, für das ganze Jahr einzuräumende Steuervergünstigungen an die zu Beginn des Kalenderjahrs bestehenden Verhältnisse des Steuerpflichtigen anzuknüpfen. Er ist auch nicht verpflichtet, die Steuererleichterung für das ganze Jahr zu gewähren, wenn das die Begünstigung begründende Ereignis erst im Laufe des Jahrs eintritt. Er kann in diesem Fall auch eine Mindestfrist bestimmen, innerhalb der die Voraussetzungen zur Gewährung des Freibetrags vorgelegen haben müssen, um eine Berücksichtigung für das ganze Jahr zu ermöglichen.

b) Es war auch nicht willkürlich, wenn der Gesetzgeber für das Jahr der Geburt eines Kindes und für das Jahr, in dem die altersmäßigen Voraussetzungen für die Gewährung des Kinderfreibetrags entfielen, verschiedene Regelungen traf. Die Ausgangslage ist für den Gesetzgeber in beiden Fällen verschieden. Im Jahr der Geburt eines Kindes steht das Ereignis, an das der Beginn der Gewährung des Kinderfreibetrags sachgerecht anknüpft, nämlich die Geburt, fest. Bis zu welchem Kindesalter der Gesetzgeber hingegen einen Kinderfreibetrag einräumen will, steht weitgehend in seiner Gestaltungsfreiheit, zumal sich der Zeitraum, innerhalb dessen ein Kind üblicherweise von den Eltern unterhalten wird, kaum generell genau bestimmen läßt. Ebenso wie der Gesetzgeber das für die Beendigung der Freibetragsregelung maßgebende Kindesalter anstatt auf 18 auf 19 Jahre hätte festsetzen können, war es ihm möglich, im Fall der Erreichung des nach der getroffenen Regelung maßgebenden 18. Lebensjahrs auf andere Weise zugunsten des Steuerbürgers großzügig zu verfahren.

c) Diese Erwägung trifft allerdings nicht für den Fall zu, in dem das Kind, bevor es das 18. Lebensjahr vollendet, in einem der auf das Geburtsjahr folgenden Jahre innerhalb der ersten vier Monate stirbt. Hier wurde und wird ebenfalls lohnsteuerlich der gesamte Jahresfreibetrag gewährt, obwohl der Zeitpunkt des Ereignisses, an das der Wegfall des Kinderfreibetrags anknüpft, feststeht. In diesem, allerdings selten vorkommenden Fall beruht die Besonderheit auf den Eigenheiten des lohnsteuerlichen Verfahrens. Dessen Grundlage bildet die Lohnsteuerkarte, die alle vom Arbeitgeber zu beachtenden Steuermerkmale enthält. Da der Steuerabzug bereits von Beginn des Jahres an bei jeder Lohnzahlung vorzunehmen ist, die Lohnsteuerkarte also schon zu diesem Zeitpunkt vorliegen muß, mußte der Gesetzgeber von den Verhältnissen ausgehen, die am 1. Januar bestanden haben. Der noch unbekannte spätere Tod des Kindes kann dabei noch nicht berücksichtigt werden. Dieser Sachverhalt ist daher nicht mit dem vergleichbar, der der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 13. Dezember 1967 (BVerfGE 23, 1 [7 f.]) zugrunde lag. Dort ging es um die Berücksichtigung der Vollendung des 18. Lebensjahrs durch das Kind beim Ausschreiben der Lohnsteuerkarte, also um ein Ereignis, das auch vorausschauend bereits beachtet werden kann.

Es ist auch kaum ein praktisch anwendbares Verfahren denkbar, das eine generelle Berücksichtigung des Todes eines Kindes für das Todesjahr ermöglichen würde. Nicht jeder Lohnsteuerpflichtige beantragt die Durchführung eines Lohnsteuer-Jahresausgleichs. Eine Verpflichtung des Steuerpflichtigen zur Vorlage der Lohnsteuerkarte im Falle des Todes eines eingetragenen Kindes wäre auch kaum durchsetzbar, da es an einer Überwachungsmöglichkeit mangelt und der Steuerpflichtige selbst kein Interesse an einer solchen, für ihn ungünstigen Korrektur seiner Lohnsteuerkarte hätte.

Es erscheint daher nicht willkürlich, wenn der Gesetzgeber in diesem Fall vom Stichtagsprinzip ausging und im Gegensatz zur Geburt eines Kindes in den letzten vier Monaten des Jahres einen vollen Kinderfreibetrag gewährte.

 

Fundstellen

BVerfGE, 115

NJW 1972, 1891

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