Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine Vollstreckung sowjetzonaler Gerichtsurteile wegen Verletzung des sowjetzonalen Einkommensteuerrechts oder des sowjetzonalen Devisengesetzes in der Bundesrepublik Deutschland

 

Leitsatz (amtlich)

Die Vollstreckung von Urteilen sowjetzonaler Gerichte, die Strafen wegen Verletzung des sowjetzonalen Einkommensteuerrechts oder des sowjetzonalen Devisengesetzes ausgesprochen haben, darf in der Bundesrepublik Deutschland nicht zugelassen werden.

 

Normenkette

GG Art. 2 Abs. 1; RHG § 15

 

Verfahrensgang

OLG Frankfurt am Main (Beschluss vom 15.09.1959; Aktenzeichen 1 Ws 548/59)

 

Gründe

1. Der Beschwerdeführer war früher in der Sowjetzone selbständiger Handelsvertreter. Er ist am 27. Mai 1958 vom Kreisgericht Pößneck wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung (Vergehen nach §§ 396, 398 der Reichsabgabenordnung in der Fassung vom 22. Mai 1931 – RGBI. I S. 161) zu einer Freiheitsstrafe von sechs Wochen Gefängnis und zu einer Geldstrafe von 1000 DM-Ost und wegen eines Verstoßes gegen §§ 9, 19 des sowjetzonalen Gesetzes über Devisenverkehr und Devisenkontrolle (Devisengesetz) vom 8. Februar 1956 (GBl. I S. 321) zu einer Freiheitsstrafe von vier Wochen Gefängnis und zu einer Geldstrafe von 500 DM-Ost verurteilt worden. Aus den beiden Freiheitsstrafen hat das Kreisgericht eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Monaten Gefängnis gebildet.

Das Urteil hat festgestellt, der Beschwerdeführer und ein anderer Verurteilter hätten im Jahre 1956 mit einem Textilfabrikanten aus Greiz ein fingiertes Darlehen in Höhe von 10000 DM-Ost vereinbart. Der Fabrikant habe den Betrag aus eigenen Mitteln in seinen Betrieb eingebracht, in seinen Büchern aber die beiden Verurteilten als Darlehensgeber erscheinen lassen und die (tatsächlich gezahlten) Darlehenszinsen in Höhe von 5 % als Betriebsausgaben gebucht; dadurch sei im Jahre 1956 eine Verkürzung der Steuereinnahmen um 237 DM-Ost eingetreten. Außerdem sei der Beschwerdeführer in den Jahren 1954 bis 1957 verschiedentlich in Berlin (West) gewesen und habe dort jeweils 50 DM-Ost zum „Schwindelkurs” in Westgeld umgetauscht, das er dann verbraucht habe.

Die auf das Strafmaß beschränkte Berufung des Beschwerdeführers hat das Bezirksgericht Gera durch Urteil vom 9. Juli 1958 als unbegründet zurückgewiesen. Nach Ansicht des Berufungsgerichts hätte der Beschwerdeführer nicht wegen Verstoßes gegen das sowjetzonale Devisengesetz, sondern auf Grund der sowjetzonalen Anordnung über die Ein- und Ausfuhr von Zahlungsmitteln vom 23. März 1949 (ZVOBl. S. 211) in Verbindung mit § 9 der Verordnung über die Bestrafung von Verstößen gegen die Wirtschaftsordnung (Wirtschaftsstrafverordnung) vom 23. September 1948 (ZVOBl. S. 439) bestraft werden müssen. Zur Berichtigung des rechtskräftigen Schuldspruches hat sich das Gericht jedoch nicht für befugt erachtet.

Der Beschwerdeführer ist, ohne die Freiheitsstrafe verbüßt zu haben, in die Bundesrepublik geflohen.

2. Am 18. Juni 1959 stellte der Beschwerdeführer beim Generalstaatsanwalt in Frankfurt/Main den Antrag, gemäß § 15 des Gesetzes über die innerdeutsche Rechts- und Amtshilfe in Strafsachen vom 2. Mai 1953 (BGBl. I S. 161) – im folgenden Rechtshilfegesetz oder RHG – die Vollstreckung des sowjetzonalen Urteils in der Bundesrepublik für unzulässig zu erklären. Er machte geltend, die ausgesprochenen Strafen seien rechtsstaatswidrig; ihre unangemessene Höhe weise auf politische Verfolgung hin. Der Generalstaatsanwalt verwarf den Antrag durch Verfügung vom 20. August 1959 als unbegründet. Dabei wies er das Vorbringen des Beschwerdeführers zu der Strafe wegen des Steuerdelikts als nicht stichhaltig zurück und führte weiter aus, die sowjetzonalen Vorschriften über den Geldverkehr mit der Bundesrepublik seien weder generell rechtsstaatswidrig noch in rechtsstaatswidriger Weise auf den Beschwerdeführer angewandt worden. Die Höhe der ausgesprochenen Strafe begegne keinen rechtlichen Bedenken.

Der Beschwerdeführer stellte daraufhin gemäß §§ 15 Abs. 3, 5 Abs. 1 RHG Antrag auf gerichtliche Entscheidung. Das Oberlandesgericht Frankfurt/Main verwarf ihn durch Beschluß vom 15. September 1959.

3. Mit der beim Bundesverfassungsgericht am 27. Oktober 1959 eingegangenen Verfassungsbeschwerde gegen den am 28. September 1959 zugestellten Beschluß des Oberlandesgerichts rügt der Beschwerdeführer die Verletzung der Art. 1, 2, 3, 33, 103 und 104 GG. Er vertritt die Auffassung, die sowjetzonalen Wirtschaftsstrafbestimmungen – dazu gehöre auch das Devisengesetz – seien rechtsstaatswidrig. Urteile, die auf ihnen beruhten, dürften daher im Geltungsbereich des Grundgesetzes nicht vollstreckt werden. Dasselbe müsse für sowjetzonale Urteile in Steuerstrafsachen gelten.

4. Das Bundesverfassungsgericht hat dem Hessischen Minister der Justiz Gelegenheit zur Äußerung gegeben. Nach seiner Ansicht ist die Verfassungsbeschwerde unbegründet.

Der Beschwerdeführer hat auf mündliche Verhandlung verzichtet.

B.

Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist begründet.

I.

Die Bestrafung des Beschwerdeführers wegen eines Steuerdelikts beruht auf den §§ 396 und 398 der Reichsabgabenordnung – im folgenden AO – in der Fassung vom 22. Mai 1931. Diese Vorschriften, deren Strafdrohungen wiederholt, in der Bundesrepublik Deutschland zuletzt durch Gesetz vom 11. Mai 1956 (BGBl. I S. 418) geändert wurden, sind für sich allein nicht rechtsstaatswidrig. §§ 396 und 398 AO sind aber Blankettstrafgesetze; sie umschreiben den gesetzlichen Unrechtstatbestand nicht vollständig, sondern nehmen Bezug auf Merkmale, an die die Steuergesetze eine Steuerpflicht oder eine sonstige im Interesse der Besteuerung auferlegte Pflicht knüpfen (vgl. Hartung, Das Steuerstrafrecht, 2. Aufl., 1956, S. 31). Wenn daher die steuerrechtlichen Vorschriften der Sowjetzone, die im Einzelfall den Tatbestand der §§ 396, 398 AO ausfüllen, oder ihre Auslegung und Anwendung sich mit der verfassungsmäßigen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland nicht vereinbaren lassen, so verstößt auch eine wegen Zuwiderhandlung gegen diese Vorschriften erkannte Strafe gegen das Rechtsstaatsprinzip. Sie darf somit in der Bundesrepublik Deutschland nicht vollstreckt werden. Um eine solche Strafe handelt es sich hier.

1. Der Beschwerdeführer ist, wie sich aus den Feststellungen des sowjetzonalen Urteils ergibt, wegen Beihilfe zur Hinterziehung von Einkommensteuer verurteilt worden. Das sowjetzonale Einkommensteuerrecht aber ist mit der durch das Grundgesetz geschaffenen verfassungsmäßigen Ordnung unvereinbar.

Die Einkommensteuer wird in der Sowjetzone zwar formal noch auf Grund des Reichseinkommensteuergesetzes erhoben. Ihr Wesen ist jedoch entscheidend verändert. Sie ist in erster Linie Instrument zur Umgestaltung der gesellschaftlichen Struktur im kommunistischen Sinne.

Das Steuersystem der Sowjetzone ist nach der Auffassung führender sowjetzonaler Finanzwissenschaftler dadurch gekennzeichnet, daß in ihm verschiedene „sozialökonomische Formationen” unterschiedlich behandelt werden (siehe Kaemmel, Das Finanzsystem der Deutschen Demokratischen Republik in: Handbuch der Finanzwissenschaft, 2. Aufl. 1958, 3. Bd. S. 396 [397]).

a) Die „volkseigene Wirtschaft” unterliegt nicht der Einkommensteuer. Von ihr wird die sogenannte Produktions-, Dienstleistungs- und Handelsabgabe erhoben; darüber hinaus muß sie den Nettogewinn abführen, „der nach der Finanzierung des Direktorfonds und der planmäßigen, aus dem Gewinn zu deckenden Investitionen verbleibt” (Kaemmel a.a.O. S. 412). Die Abgabe und die Nettogewinn-Abführung ergeben das sogenannte zentralisierte Reineinkommen des Staates. Bei diesen Abgaben handelt es sich nicht um echte Steuern, sondern um Umbuchungen im „Staats”-Haushalt.

b) Die Genossenschaften, insbesondere die landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften, die handwerklichen Produktionsgenossenschaften, die Konsumgenossenschaften und die Genossenschaften werktätiger Fischer, gehören ebenfalls zum „sozialistischen Sektor” der sowjetzonalen Volkswirtschaft. Für sie ist im Finanzsystem der Sowjetzone eine Reihe finanzieller, und zwar auch steuerlicher Förderungsmaßnahmen vorgesehen. So sind die landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften von der Steuer befreit, ihren Mitgliedern werden steuerliche Vergünstigungen gewährt. Für handwerkliche Produktionsgenossenschaften wird unter bestimmten Voraussetzungen die Körperschaftssteuer ermäßigt; Gewerbe- und Vermögenssteuern brauchen nicht entrichtet zu werden; die Mitglieder sind ebenfalls steuerlich begünstigt. Die Konsumgenossenschaften genießen Vergünstigungen auf dem Gebiet der Umsatzsteuer (Angaben nach Kaemmel a.a.O., S. 413).

c) Die Besteuerung von Privatbetrieben mit staatlicher Beteiligung geht grundsätzlich davon aus, daß die Unternehmen durch die staatliche Beteiligung zu halbsozialistischen Betrieben werden. Die staatliche Beteiligung beruht auf vertraglicher Grundlage. Der Betrieb wird dabei in eine Kommanditgesellschaft umgewandelt, bei der die „Deutsche Investitionsbank” als Vertreter der sogenannten Deutschen Demokratischen Republik als Kommanditist auftritt, während der private Unternehmer die Rolle des Komplementärs übernimmt. Die Vergütung des geschäftsführenden Komplementärs wird als Betriebsausgabe behandelt und unterliegt der Lohnsteuer. Der auf den privaten Kapitalanteil entfallende Gewinn wird hingegen nach den geltenden Bestimmungen der Einkommensteuer unterworfen (Kaemmel a.a.O., S. 416).

d) Von den „einfachen Warenproduzenten”, d. h. den Handwerkern, wurde zunächst nach dem Gesetz vom 6. September 1950 (GBl. S. 967) die Handwerkssteuer, eine sogenannte Normativsteuer mit verhältnismäßig günstigen Tarifen erhoben; sie sollte auch die Einkommensteuer ersetzen. An die Stelle des Handwerkssteuergesetzes aus dem Jahre 1950 ist das „Gesetz über die Besteuerung des Handwerks” vom 12. März 1958 (GBl. I S. 262) getreten. Es unterscheidet zwischen Handwerkern mit höchstens drei und Handwerkern mit vier oder mehr Beschäftigten. Die erste Gruppe hat die Handwerkssteuer A zu bezahlen, die aus einem für die einzelnen Handwerkszweige differenzierten Grundbetrag und Zuschlägen errechnet wird. Die zweite Gruppe muß die Handwerkssteuer B entrichten, die sich aus einer am Einkommensteuertarif orientierten Gewinnsteuer und der Umsatzsteuer zusammensetzt.

e) Das Arbeitseinkommen der Arbeitnehmer und der „freischaffenden Intelligenz” ist aus der Einkommensteuer herausgelöst. Die Lohnsteuer für Arbeitnehmer steigt progressiv bis zu einem Höchstsatz von 20 v. H., der bei etwa 15 000 DM-Ost Jahreseinkommen erreicht wird (vgl. Kaemmel a.a.O., S. 417 f.). Entsprechendes gilt für die „Einkünfte aus steuerbegünstigter freiberuflicher Tätigkeit” (§ 1 Abs. 1 des „Gesetzes zur Änderung der Besteuerung der steuerbegünstigten freischaffenden Intelligenz” vom 28. Mai 1958 – GBl. I S. 453). Zu diesen Einkünften gehören nach § 5 der Verordnung zur Besteuerung des Arbeitseinkommens – ASTVO – vom 22. Dezember 1952 (GBl. S. 1413) ausschließlich alle Einnahmen in Geld oder Geldeswert aus

(1) freier schriftstellerischer Tätigkeit, (2) freier wissenschaftlicher Forschungs- oder Lehrtätigkeit, (3) künstlerischer Tätigkeit, (4) freiberuflicher Tätigkeit als Arzt, Zahnarzt, Tierarzt oder Hebamme, (5) freiberuflicher Tätigkeit als Ingenieur, Architekt, Erfinder oder staatlich geprüfter Lebensmittelchemiker,

wenn die freiberuflich Tätigen nicht mehr als zwei „technische” Hilfspersonen und keine „qualifizierte” Hilfsperson beschäftigen (siehe auch Frenkel, Steuerverwaltung und Steuerrecht in der sowjetischen Besatzungszone, 3. Aufl., 1956, S.69 f.). Angehörige der steuerbegünstigten freien Berufe mit mehr als den steuerlich unschädlichen zwei „technischen Hilfspersonen” und Angehörige anderer freier Berufe (z. B. Rechtsanwälte und Steuerberater) unterliegen der Einkommensteuer. Der Steuersatz für die „freischaffende Intelligenz” entsprach zunächst dem der Lohnsteuer (vgl. Kaemmel a.a.O., S. 417 f.); er ist durch das Gesetz vom 28. Mai 1958 – im Hinblick auf die Abschaffung der Lebensmittelkarten (vgl. die Präambel des Gesetzes) – auf höchstens 30 v. H. erhöht worden, die bei einem Jahreseinkommen über 36000 DM-Ost abgeführt werden müssen.

f) Alle übrigen Einkünfte, insbesondere also jene aus privatem Gewerbebetrieb und aus nicht steuerbegünstigter freiberuflicher Tätigkeit, unterliegen der Einkommensteuer (oder der Körperschaftsteuer), die nach dem Reichseinkommensteuergesetz erhoben wird. Die Steuerpolitik der Sowjetzone wird von der Vorstellung bestimmt, daß die private Wirtschaft sich in der Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus befinde (Kaemmel a.a.O., S. 415). Dem entspricht der Steuertarif. Zunächst galt der durch die „Steueränderungsverordnung (STSVO)” vom 23. Juli 1953 (GBl. S. 889) eingeführte „Einkommensteuertarif F”. Er wurde im Jahre 1954 für Einkommen über 60000 DM-Ost unwesentlich gesenkt (§ 1 Abs. 1 der 3. STSVO vom 3. September 1954 – GBl. S. 775), durch das „Gesetz zur Änderung der Besteuerung der privaten Wirtschaft” vom 28. Mai 1958 (GBl. I S. 449) für Jahreseinkommen über 15 000 DM-Ost jedoch wieder erhöht (§ 2 a.a.O.). Dieses Gesetz führte den Einkommensteuergrundtarif K ein.

Das sowjetzonale Einkommensteuerrecht enthält neben einem sehr harten Steuertarif auch weitere Erschwerungen, die nur die Einkommensteuerpflichtigen treffen. Es bestimmt nämlich u. a., daß

(1) Familienermäßigungen nur gewährt werden dürfen, wenn das Einkommen 20 000 DM-Ost jährlich nicht übersteigt (§ 3 des Gesetzes vom 28. Mai 1958),

(2) der Unterschied von Steuerklasse zu Steuerklasse bei der Einkommensteuer selbst in den höchsten Tarifstufen 50 DM-Ost jährlich nicht übersteigen darf (§ 6 STAVO),

(3) ein Verlust-Ausgleich (§ 2 EStG) nicht stattfindet (§ 10 STÄVO),

(4) das sowjetzonale Finanzministerium die Befugnis hat, den Kreis der steuerlich abzugsfähigen Betriebsausgaben von sich aus abzugrenzen (§ 8 STÄVO),

(5) der Firmen- oder Geschäftswert eines Betriebs stets mit den Anschaffungskosten bewertet werden muß (Frenkel a.a.O., S. 78),

(6) als Sonderausgaben nur Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung abgezogen werden dürfen (§ 5 des Gesetzes vom 28. Mai 1958),

(7) Steuerermäßigung wegen außergewöhnlicher Belastung regelmäßig nur gewährt werden darf, wenn das Einkommen 20 000 DM-Ost jährlich nicht übersteigt (§ 4 des Gesetzes vom 28. Mai 1958).

Die Auswirkungen der unterschiedlichen Besteuerung sind aus der folgenden Tabelle ersichtlich:

Einkommen im Jahr

Lohnsteuer und Steuer der steuerbegünstigten Intelligenz

Steuer der steuerbegünstigten Intelligenz

Steuer der Privatwirtschaft und der nicht steuerbegünstigten Angehörigen freier Berufe

Tarif F

Tarif K

15.000

3.000

3.000

5.356

5.356

20.000

4.000

4.735

8.456

8.800

25.000

5.000

6.485

11.926

12.800

30.000

6.000

8.400

15.676

16.800

35.000

7.000

10.400

19.586

21.000

40.000

8.000

12.000

23.536

25.200

2. Aus den obigen Feststellungen ergibt sich: Das sowjetzonale Einkommensteuerrecht ist ein Mittel zur Umgestaltung der Gesellschaft im Sinne der marxistisch-leninistischen Theorie. Der Grundsatz der Gleichheit der Besteuerung ist ihm fremd. Für die Besteuerung von Unternehmen ist nicht die Höhe der Einkünfte, sondern die Frage entscheidend, wem sie gehören; die Besteuerung der Angehörigen freier Berufe richtet sich nach ihrer „gesellschaftlichen” Nützlichkeit. Der freie Unternehmer wird einem Sonderrecht unterstellt, das ihm härtere Lasten auferlegt als den anderen Bürgern. Dieses „Recht” ist ein Mittel des Klassenkampfes. Es verstößt ganz offensichtlich gegen den Grundsatz der materiellen Gerechtigkeit und gegen das Rechtsstaatsprinzip. Daher ist es mit der verfassungsmäßigen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland unvereinbar. Die Vollstreckung einer durch ein sowjetzonales Gericht wegen Verletzung der Einkommensteuerbestimmungen erkannten Strafe darf deshalb in der Bundesrepublik Deutschland nicht zugelassen werden.

Der angefochtene Beschluß des Oberlandesgerichts Frankfurt/Main, der die Vollstreckung der gegen den Beschwerdeführer in der Sowjetzone verhängten Steuerstrafe für zulässig erklärt hat, verkennt diese Rechtslage und verletzt damit das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 1 GG.

II.

Der Beschwerdeführer ist in der Sowjetzone außerdem wegen Verstoßes gegen das sowjetzonale Devisengesetz verurteilt worden. Ob das Strafurteil das sowjetzonale Recht auf den festgestellten Sachverhalt insoweit richtig angewandt hat, ist hier nicht zu untersuchen. Die nach dem Rechtshilfegesetz zuständigen Behörden und Gerichte haben bei der Prüfung der Zulässigkeit der Vollstreckung allein von dem Urteilsspruch des Zonengerichts und dem dabei angewandten Recht auszugehen.

Das sowjetzonale Devisengesetz, das auf den Beschwerdeführer angewandt worden ist, enthält vorwiegend technische Regelungen und sie ergänzende Strafbestimmungen. Die §§ 9 Abs. 1 und 19, auf die es hier ankommt, lauten:

§ 9

(1) Die Aus- und Einfuhr von Deutscher Mark der Deutschen Notenbank oder anderen Zahlungsmitteln dieser Währung aus dem oder in das Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik ist verboten.

§ 19

(1) Wer vorsätzlich und fahrlässig

  1. ohne Genehmigung oder Anmeldung oder entgegen den Bedingungen einer Genehmigung Devisenwerte im Inland oder Ausland besitzt,
  2. ohne Genehmigung oder entgegen den Bedingungen einer Genehmigung einen Devisenwertumlauf veranlaßt oder durchführt,
  3. Devisenwerte an den Zoll- oder Staatsgrenzen der Devisenkontrolle vorenthält,

wird mit Gefängnis und Geldstrafe oder mit einer dieser Strafen bestraft.

(2) Ist die Tat vorsätzlich begangen, so ist in schweren Fällen auf Zuchthaus zu erkennen. Ein schwerer Fall liegt insbesondere dann vor, wenn ein größerer Schaden entstanden oder zu erwarten, ein Devisenverbrechen mehrfach oder auf raffinierte Art und Weise begangen worden ist.

Es kann dahingestellt bleiben, ob dieses Gesetz formal den Erfordernissen der Rechtsstaatlichkeit entspricht. Es dient nach seinem Vorspruch der „Festigung und Erweiterung der internationalen Beziehungen” der Sowjetzone und der „Sicherung unseres Aufbaus”; es will eine Devisenpolitik ermöglichen, „die dem Willen der Werktätigen entspricht und in ihrem Interesse durchgeführt wird”. Unter dem Willen der Werktätigen ist nichts anderes als der Wille der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands zu verstehen. Dieser Wille ist aber, wie allgemein bekannt, darauf gerichtet, die gesellschaftlichen Verhältnisse in dem von ihr mit Hilfe der Sowjetunion beherrschten Teil Deutschlands im kommunistischen Sinne umzugestalten und die bolschewistische Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung in der Zone zu begründen und zu festigen. Das Gesetz dient damit unmittelbar dem Schutze und der Festigung der in der Sowjetzone ausgeübten politischen Macht und des dort bestehenden Wirtschaftssystems. Es gehört zu denjenigen Wirtschaftsgesetzen der Zone, die mit der verfassungsmäßigen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland in Widerspruch stehen. Eine Strafe, auf die von einem sowjetzonalen Gericht auf Grund der Strafdrohungen dieses Gesetzes erkannt worden ist, darf daher in der Bundesrepublik Deutschland nicht vollstreckt werden (siehe auch BVerfGE 11, 150 [163]). Der Beschluß des Oberlandesgerichts Frankfurt/Main verletzt daher das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 1 GG auch insoweit, als er sich auf die Bestrafung des Beschwerdeführers wegen Devisenvergehens bezieht.

III.

Der Beschluß des Oberlandesgerichts Frankfurt/Main vom 15. September 1959 war aufzuheben und die Sache an dieses Gericht zurückzuverweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1740433

BVerfGE, 99

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